Intendantinnen-Treffen von TATORT OPER am 11. März: Von der Notwendigkeit sich gesellschaftlich zu positionieren
Am Donnerstag, den 11. März, fand zum 39. Mal (!) das traditionelle Intendanteninnentreffen unseres Jugendprogramms TATORT OPER mit um die 100 Jugendlichen im Marschnersaal der Staatsoper statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Leiterin Frau Krokauer und dem Leiter Herrn Dr. Schmidt des Programms, während von Herrn Brandt, dem Leiter der Xchange-Abteilung der Staatsoper Hannover, alles professionell organisiert wurde.
Das Besondere an diesem Treffen war in diesem Jahr, dass Frau Berman leider verhindert war und so von Frau Palmai, der Chef-Dramaturgin und Stellvertreterin der Intendantin, den Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort stand.
Als erstes Werk wurde Bizets CARMEN besprochen. Frau Krokauer wies eingangs darauf hin, dass die weibliche Hauptfigur mit ihrer für das 19. Jahrhundert ungewöhnlichen Selbständigkeit und ihrem Freiheitsdrang am Ende der Oper von Don José aufgrund dessen toxischen Männerbildes und weil er Carmens Emanzipation nicht ertragen kann, einem brutalen Femizid zum Opfer fällt – einem Schicksal, dem auch Desdemona in Verdis OTELLO erbarmungslos zum Opfer fällt. In der anschließenden Diskussion wollte dann eine Schülerin des Gymnasiums Lehrte auch wissen, ob CARMEN gerade wegen dieses Femizids ins Programm genommen worden sei. Frau Palmai erklärte, dass es die Aufgabe der Kultur sei, gesellschaftliche Probleme zu thematisieren: Was bringt einen Menschen dazu, das größte Unrecht, das man begehen kann, zu begehen und einen Mitmenschen oder sogar seine Partnerin zu ermorden?
Auch in OTELLO ist ein Aspekt der Oper die Ermordung Desdemonas durch ihren Ehemann Otello, der in dieser Inszenierung als traumatisierter Kriegsheimkehrer dargestellt wird. In der Diskussion mit Frau Palmai wurde deutlich, dass es das Regieteam u.a. als seine Aufgabe ansah, den späteren Mörder Otello nicht nur als Außenseiter darzustellen, sondern als eine Figur, mit der der Zuschauer auch mitfühlen kann. Auch wenn posttraumatische Belastungsstörungen natürlich keinen Mord rechtfertigen, so können sie doch den Weg einer Figur zum Mörder in gewisser Weise nachvollziehbarer machen. Um Otellos Störungen auch bühnenbildnerisch zu verdeutlichen, wurden daher nacheinander mehrere nahezu identische Räume geschaffen, die Otello immer wieder betritt und die verdeutlichen, dass die Hauptfigur in ihrem Wahn ihr inneres Gefängnis nicht verlassen kann und ihm ausgeliefert ist.
Auch das Gymnasium Bad Nenndorf mit seinem Lehrer Carsten Groß widmete sich sehr eindringlich dem zentralen Thema des traumatisierten Kriegsheimkehrers, indem es zu Beginn ihrer kurzen szenischen Darstellung einen einsamen Soldaten auf die Bühne stellt, der immer wieder vergeblich klagend fragt, ob noch jemand da sei und schließlich zusammenbricht, als ihn eine große Gruppe als Heimkehrer feiern will und er dies nicht ertragen kann.
Neben OTELLO wurde auch über I CAPULETI E I MONTECCHI diskutiert, wobei beide Inszenierungen am Ende eine gewisse Parallelität aufweisen, denn weder wird Desdemona in der Inszenierung von Immo Karamann ermordet, noch stirbt Julia in der Inszenierung von Michael Talke. Beide Frauen leben am Ende: Julia geht in der letzten Szene der Oper einfach weg, während Desdemona plötzlich wieder erscheint und nur in Otellos Wahnvorstellungen ermordet wurde.
Die Gründe für diese Änderungen interessierten die Schülerinnen und Schüler und Frau Palmai erklärte die Überarbeitung damit, dass Frauenmorde, wie sie in der Oper des 19. Jahrhunderts selbstverständlich waren, aus heutiger Sicht so nicht mehr tragbar sind und sich auch die Oper einer veränderten Realität stellen und sich gesellschaftlich positionieren muss. Frauen sollten nicht nur als Opfer dargestellt werden.
In der gelungenen Einführung zu CAPULETI durch Schülerinnen und Schüler der Ricarda-Huch-Schule mit ihrer Lehrerin Frau Krokauer wurden vor der Diskussion die verschiedenen Spielebenen in der Inszenierung thematisiert und die Handlung zweigeteilt – quasi auf Vorder- und Hinterbühne – dargestellt.
Als letztes Werk wurde Tschaikowskys EUGEN ONEGIN besprochen, das die Schülerinnen und Schüler erst zwei Tage vor dem Treffen gesehen hatten und das ihnen daher noch gut in Erinnerung war. Besonders interessiert waren die Schülerinnen und Schüler an der Frage, warum Eugen Onegin im letzten Akt in das Terrarium auf der Bühne kriecht und sich mit Erde beschmiert. Dazu erklärte Frau Palmai, dass man zunächst verstehen müsse, dass Eugen Onegin durch das Duell mit seinem Freund Lenski am Ende des 2. Aktes, das Onegin nicht wollte, aber bei dem er dennoch seinen Freund tötete, traumatisiert ist und nun nach vielen Jahren in der Großstadt St. Petersburg bei einer Feier unerwartet Tatjana begegnet. In dieser Situation wird der geläuterte Eugen Onegin von seinen Gefühlen überwältigt und es zieht ihn zurück zu seinen Ursprüngen, auf das Land, wo er vor vielen Jahren Tatjana kennengelernt hat und von dem in einer Großstadt wie St. Petersburg nur noch Rudimente wie in einem Terrarium übrig geblieben sind. Mit diesem Schritt versteckt er sich sozusagen im Terrarium, um seiner ersten Begegnung mit Tatjana nahe zu sein.
Abschließend wiesen Frau Krokauer und Herr Dr. Schmidt auf das 40-jährige Jubiläum von TATORT OPER hin, das in der kommenden Spielzeit gefeiert werden soll. Dazu wird es eine Ausstellung mit Kunstwerken (z.B. kleine Installationen, Bilder, Kostümentwürfe, Bühnenbildentwürfe oder Videos) geben, die am Sonntag, den 11. Mai 2025 mit einer kleinen Vernissage eröffnet wird. Die dargestellten Kunstwerke werden von den an TATORT OPER teilnehmenden Schulen mit ihren Schülerinnen und Schülern erstellt und sie werden sich auf die sechs Musiktheaterstücke beziehen, die die TATORT-OPER-Gruppen in der kommenden Spielzeit sehen werden.
Übrigens waren die Aufführungen von OTELLO und EUGEN ONEGIN bei den TATORT-OPER-Schülerinnen und -Schülern gleichermaßen beliebt und belegten beide den ersten Platz bei der Wahl zur Aufführung der Spielzeit, die für die Schülerinnen und Schüler noch nicht zu Ende ist, sondern mit HOKUS POKUS und KASIMIR UND KAROLINE fortgesetzt wird.
Schulen, die an dem Programm TATORT OPER teilnehmen möchten, können sich per E-Mail an stephan.schmidt@gbg-seelze.eu wenden.
Dr. Stephan Schmidt, Leitung TATORT OPER