Schüler:innenkritiken 2023/24

Schüler:innenkritiken zu „I Capuleti e I Montecchi“

Kritik zur Operninszenierung „Eugen Onegin“, 18.01.2024

Zwei die sich lieben, doch nicht bereit sind, alles für den anderen aufzugeben. Emotionale Höhen und Tiefen, unerwiderte Liebeserklärungen, Eifersucht, tragische Entscheidungen. Schafft man es überhaupt, dass man als Zuschauer versteht, wie sich die Figuren fühlen, wie sie handeln und vor allem, warum sie so handeln?

Tschaikowski zumindest versucht, genau das zu zeigen und erreicht in der Oper „Eugen Onegin” eine neue Sichtweise auf die Komplexität menschlicher Beziehungen. Doch wie genau gelang es ihm und der Hannoverschen Inszenierung, durch Tschaikowskis distanzierte Herangehensweise an die Darstellung der Figuren im Versroman von Puschkin, der mitunter ironisch über ihre Gefühle scherzte, diesen Charakteren eine bemerkenswerte Emotionalität zu verleihen, die auch das Publikum mitfühlen lässt?

Die Handlung der Oper, eine einfache Geschichte, spielt in einem Frauenhaushalt, bewohnt von den Figuren Olga, einer aufgeweckten und fröhlichen Frau und ihrer verträumten Schwester Tatjana, nahe der Stadt St. Petersburg gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

Im ersten Akt bei einem Besuch des Dichters Lenskis, Olgas Verlobten, bringt dieser seinen Freund Eugen Onegin mit. Tatjana findet in Onegin den ersehnten Mann ihrer Träume wieder und entwickelt direkt ein starkes Gefühl der Liebe für ihn. Noch in derselben Nacht schreibt sie einen Brief und offenbart ihm ihre Gefühle. Allerdings wird sie von Eugen Onegin abgewiesen und er fordert sie auf, sich im Griff zu behalten.

Im zweiten Akt findet anlässlich Tatjanas Namenstages eine Feier statt, zu welcher sich besagte Figuren erneut treffen. Hier meiden sich Tatjana und Onegin, doch im Laufe des Abends tanzt Eugen Onegin mit ihrer Schwester Olga. So geraten Onegin und Lenski, Olgas Verlobter, in einen Streit, da der Dichter aufgrund seiner Verlobung eifersüchtig wird. Die Situation verschärft sich so, dass sie sich zum Duell herausfordern, welches schließlich für Lenski ein tödliches Ende nimmt.

Der dritte Akt spielt viele Jahre später. Onegin kommt von seinen Reisen zum Fürsten Gremin und trifft dort dessen Ehefrau Tatjana wieder. Erst dort versteht Onegin seine Gefühle für Tatjana und gesteht ihr diese. Auch Tatjana erwidert die Liebe, doch ist diese Chance verpasst und gehört der Vergangenheit an.

Allgemein handelt es sich also um ungewöhnlich alltägliche Figuren, welche man als Zuschauer in einem intimen Drama beobachtet. Die Inszenierung zeichnet sich vor allem darin aus, dass diese die Echtheit der Figuren betont und eine emotionale Nähe aufgebaut wird. So erhalten Figuren wie Tatjana und Eugen Onegin einen sehr ausgeprägten, tiefgründigen Charakter, dessen Gefühle man besonders gut nachvollziehen und mitfühlen kann. Erreicht wird dies beispielsweise durch ein Bühnenbild mit zurückhaltenden Farben, die den Fokus auf das Drama selbst legen. Dabei dient jeder Akt der intensiven Ausarbeitung der Charaktere und stellt jeweils eine Figur in den Vordergrund.

Im Vordergrund des ersten Aktes stehen Tatjana und die Briefszene, in welcher sie ihre Gefühle niederschreibt. Dem Zuschauer fallen verschiedene szenische Mittel auf, ihre Gedanken authentisch erlebbar zu machen. Während Tatjana an Eugen denkt, öffnen sich die Wände des Mehrgenerationenhauses und zum Vorschein kommt eine idyllische Naturlandschaft. Offensichtlich entwickelt Tatjana eine Leidenschaft oder animalische Lust. Andererseits treffen Tatjana in derselben Szene auch gegensätzliche Gefühle, denn gleichzeitig ist sie sich bewusst, welche Folgen ein Abschicken des Briefes haben könnte. Ausgedrückt wird dies unter anderem von einer überraschenden Aktion, in welcher sie sich eine Vase voll Wasser über den Kopf schüttet. Ob es nun ein Abkühlen von dem Dilemma oder eine Demütigung im Voraus aus Scham darstellt, bleibt zwar zu diskutieren, jedoch ist es ein eindeutiges Symbol ihrer Verzweiflung und ihres Zwiespaltes zwischen Leidenschaft und Zweifel.

Im zweiten Akt, Lenski in den Vordergrund stellend, entsteht der Konflikt zwischen Onegin und Lenski. Es ist etwas schwammig, wie genau die Situation zwischen den beiden Freunden so stark eskalieren konnte, da sich Onegins Provokationen in der szenischen Umsetzung auf einen Tanz zwischen ihm und Olga beschränken. Auf diese Weise wirkt Lenski auf den Zuschauer besonders eifersüchtig und Eugen eher unschuldig. Nur geringe Provokationen Seiten Eugens führen Lenski in den Tod, wie man später feststellen wird. Außerdem kürzt der Einsatz von Alkohol in der Szene die Tragweite des Konflikts. Durch die Feierlichkeiten zu Tatjanas Namenstag wurden nämlich große Mengen an Alkohol getrunken, sodass Eugens und Lenskis Konflikt auch aus dem Rausch heraus entstanden sein könnte.  Der Streit ist also entweder gänzlich unnötig oder wurde erst durch den Alkohol zum Vorschein gebracht. Zunächst gibt es darauf für den Zuschauer keine Antwort. Erst die Duellszene der beiden gibt eine mögliche Deutung: Nach langem Zögern beider Figuren findet es tatsächlich statt, wobei sowohl Eugen als auch Lenski widerwillig erscheinen, dieses Duell einzugehen. Vielmehr sind ihr Pflichtbewusstsein und Stolz Antrieb dessen. Doch beide scheinen nicht besonders sicher in ihrem Auftreten. In einer atemberaubenden Szene treffen die beiden Figuren nun tatsächlich kämpferisch aufeinander, doch nimmt dies ein unerwartetes Ende: Lenski stirbt, wobei es Lenski selbst war, der den Schuss auf sich abgedrückt hat (soweit man es im Gerangel erkennen konnte). Will sich Lenski aufgrund seiner gescheiterten Liebe nun also selbst zerstören?  Wurde er vom “Wahnsinn” überrollt?

Im dritten Akt wird die Liebe zwischen Tatjana und Onegin verarbeitet. Während Tatjana verheiratet im Leben steht, konnte sich Eugen Onegin nach dem Duell nicht reintegrieren. Unter den Gästen des Fürsten scheint er fehl am Platz. Verzweifelt ist es diesmal er, der probiert Tatjanas Liebe zu gewinnen, was in Gegenüberstellung mit dem ersten Akt wie ein Rollentausch wirkt. Symbolisch wurde auch die Leidenschaft in Form von Natur aufgegriffen. Tatjana hütet diese sauber abgetrennt in einem Terrarium. Nebenbei bemerkt hat sie also tatsächlich Eugens Rat, sich im Griff zu halten, angenommen. Nach eben dieser Leidenschaft sehnt sich nun Onegin, weshalb er auf der Bühne in das Terrarium klettert und sich mit Erde beschmiert. Zudem betont vor allem der dritte Akt die Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Zwar tritt dieses Motiv schon zuvor auf, da Tatjana beispielsweise nach ihrem Geständnis ihrer Gefühle an Eugen durch mehrere Fenster von Menschen beobachtet wird, jedoch wird Eugen im dritten Akt von den Gästen des Fürsten ausgegrenzt und möglicherweise für seine Tat im Duell verurteilt. Zum Ausdruck kommt die Oberflächlichkeit darüber hinaus in einem Tanz der Gäste, der an einen Marionettentanz erinnert. Der dritte Akt und damit auch die Oper enden, indem Onegin mit dem Gedanken des Suizids ringt. Er befindet sich niedergeschlagen und deprimiert am Boden, als bliebe ihm nichts mehr in der Welt, und hält sich eine Pistole gegen den Kopf. So endet die Oper und die Frage schwebt im Raum: „Schafft es Eugen Onegin am Ende nicht, sich umzubringen?“, denn was soll aus ihm werden? Eugen Onegin überrascht hier als kein klassischer Bösewicht, denn auch er sieht seine Schuld und rächt sich beispielsweise nicht an Tatjana. Stattdessen sympathisiert der Zuschauer mit ihm und man empfindet Mitleid. Soll Eugen Onegin wohl mit seiner Schuld leben?

Die Aufführung wirft viele tiefgründige Fragen auf, die den Zuschauer zum Nachdenken anregen: Sollten wir lernen, mit unserer Schuld zu leben? Wie konnte es dazu kommen, dass das Duell zwischen Lenski und Eugen Onegin trotz aller Zweifel so eskalierte? Diese Fragen lassen die Oper weit über die reine Unterhaltung hinaus zu einer philosophischen Reflexion werden, die lange nach dem Verlassen des Theaters nachwirkt.

Jedoch gibt es auch Aspekte, die kritikwürdig sind. Die Inszenierung des Konflikts zwischen Lenski und Onegin lässt an Tiefe vermissen. Die Ernsthaftigkeit der Situation wird durch diverse chaotische Elemente wie das Essen einer Wassermelone, kopflose Menschen oder den allgemeinen Alkoholrausch der Figuren übertönt. Diese Inszenierungselemente lenken vom eigentlichen Konflikt ab und erschweren es dem Publikum, die Tragweite des Duells zu erfassen. Was trieb Lenski dazu, nur wegen eines Tanzes ein Duell zu fordern? Was wäre geschehen, wenn Eugen Onegin diese Forderung abgelehnt hätte? War es wirklich Stolz, der ihn dazu brachte, sich dem Duell zu stellen?

Die Hannoversche Inszenierung der Oper „Eugen Onegin“ kann ohne Zweifel als ein großer Erfolg verbucht werden. Die ohnehin schon zutiefst emotionale Oper, die sich um die verpasste Chance zweier Liebender dreht, wird durch die eindrucksvolle Darstellung der Figuren und Szenen auf eine noch tiefgründigere Ebene gehoben. Dies gelingt vor allem durch den geschickten Einsatz verschiedenster szenischer Darstellungen. Diese Inszenierung ermöglicht es dem Zuschauer, die inneren Konflikte und Gefühle der Charaktere intensiv nachzuvollziehen, was ein tiefes emotionales Mitgefühl hervorruft und zum Nachdenken über die aufgeworfenen Fragen anregt.

Die musikalische Darbietung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Tschaikowskys meisterhafte Kompositionen werden vom Orchester der Staatsoper Hannover mit bemerkenswerter Präzision und Emotion zum Leben erweckt. Die Musik verstärkt die dramatischen Momente und unterstreicht die inneren Turbulenzen der Charaktere. Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie die Musik die Stimmung jeder Szene einfängt und dem Publikum die Möglichkeit gibt, die Tiefe und Komplexität der Gefühle von Tatjana, Onegin und Lenski zu spüren.

Tankred, Jahrgang 12, Gymnasium Lehrte

 

Kritik an „I Capuleti e I Montecchi“

von Lea und Tiara, Jg. 10, Gymnasium Lehrte

Die Oper „I Capuleti e I Montecchi“ ist eine neue Auffassung aus Erzählungen von der berühmten Tragödie „Romeo und Julia“ aus dem 16. Jahrhundert. Die Inszenierung beschäftigt sich mit den letzten 24 Stunden vor Romeos Tod.

Szenenfoto aus I Capuleti e i Montecchi (Foto und Copyright: Sandra Then)

In dieser Version steht der Konflikt zwischen den Familien im Vordergrund. Dies lässt der Titel schon erahnen, da er übersetzt „Die Capulets und die Montagues“ heißt. Wer sich etwas mit dem berühmten Drama auskennt, weiß, dass dies die Familiennamen von Romeo und Julia sind. Dadurch, dass der Konflikt der Familien im Vordergrund steht, ist Giulietta (Julia) zwischen ihrer Familie und ihrer unsterblichen Liebe Romeo hin und her gerissen, da Romeo ihren Bruder erschossen hatte. Auch wenn der Grund des Konfliktes zwischen den beiden Familien längst vergangen ist, herrscht ewiger Hass zwischen ihnen.
Die Liebe zwischen Romeo und Giulietta wirkt teilweise absurd und aussichtslos, da sich Giulietta nicht zwischen ihrer Liebe und der Familie entscheiden kann. Des Weiteren sollte Giulietta am Anfang noch mit Tebaldo verheiratet werden, wodurch in Romeo ein Fluchtinstinkt geweckt wird und er einen Koffer für sie packt, um mit ihr zu fliehen. Dieser Koffer wird aber von Giulietta ausgepackt. Nachdem Romeo dem Vater von Giulietta ein Friedensangebot vorgeschlagen hat, um ihre Liebe zu retten, wird dies mit einer Kriegserklärung erwidert. Daraufhin kommt Lorenzo in der Geschichte ins Spiel. Dieser gab Giulietta einen Schlaftrunk, sodass sie für tot erklärt wurde, um nach dem Erwachen mit Romeo zu fliehen. Doch als Romeo die angeblich tote Giulietta vorfindet, ist er so tief erschüttert, dass er beschließt, sich selbst zu vergiften. Als Giulietta wieder aufwacht, ist es bereits zu spät, Romeo ist schon dem Tode geweiht. Es folgt das wunderschöne Abschieds- bzw. Schlussduett, bis Romeo schließlich stirbt und Giulietta geht.
Es ist auffällig, dass die Eltern von Giulietta eher veraltete Kleidung aus der Renaissance Zeit tragen, die vermutlich repräsentieren soll, dass sie noch weiter in dem Konflikt der Vergangenheit leben. Jeder Familie ist eine Farbe zugeordnet. Die Farbe von Romeos Familie ist Orange und die von Giulietta ist blau. Die Mutter von Giulietta sticht dabei raus, da sie rot trägt. Giulietta trägt dagegen ein modernes, lilafarbenes, aus Plisseerock und Hoodie bestehendes Kostüm. Romeo trägt im ersten Akt ein goldenes Hemd und eine weiße Stoffhose mit einem weißen Blazer. Zum zweiten Akt werden der Blazer und die Stoffhose gegen eine Cargo Hose im Tarnmuster ausgetauscht. Hieran kann man gut Romeos Einstellung erkennen. Im ersten Teil der Oper trägt er weiß als Versuch des Friedens, und im zweiten Teil geht er wieder Richtung Krieg. Lorenzo trägt eine grüne Hose und ein beiges Oberteil, also sehr unparteiische Farben.
Das Bühnenbild wechselt hauptsächlich zwischen einem Zimmer (vermutlich Giuliettas), welches vom Krieg geprägt ist und einem Paradies, welches teilweise an einen Jungle erinnert. Von diesem Paradies ist ein Bild in dem Zimmer zu entdecken. Dieses Paradies repräsentiert die Hoffnung Giuliettas, sodass sie während des Stückes versucht, dieses Bild zu beschützen. Nach ihrem vorgetäuschten Tod befind sich Giulietta für kurze Zeit in diesem Paradies.
Für den damaligen jungen Komponisten Vincenzo Bellini war diese Oper ein großer Meilenstein seiner Kariere. Sein Stil repräsentiert sich vor allem in den langen Gesangspassagen. Im Gegenteil dazu ist die Musik marschartig und schnell, was die Kampflust der Capulets und Montagues widerspiegelt. Diese marschartigen Teile schließen sich an lange ruhige Musikpassagen an, welche den Frieden repräsentieren. Die Sänger haben trotz ihres jungen Alters großartig gesungen. Die Hauptsängerinnen sind stimmlich sehr dicht beieinander, da Romeo, gesungen von der Niederländerin Nina van Essen, als Hosenrolle Mezzosopran singt, wodurch er sich von den anderen Männern in Giuliettas Leben klar abtrennt. Dadurch, dass Giulietta, dargestellt von Meredith Wohlgemuth, Sopran singt, sind sie einander näher als Giulietta allen anderen Männern in ihrem Leben ist. Die klare Tenorstimme von Marco Lee als Tebaldo kam besonders schön im Duett mit Romeo rüber. Auch die Bassstimmen von Daniel Eggert als Capellio und Markus Suhikonen als Lorenzo waren extrem schön anzuhören. Insgesamt kann man nur sagen, dass die Musik unter der Leitung von Andrea Sanguineti einfach ein Traum war.
Der Besuch in der Oper am 22.11.2023 war ein sehr schöner und auch bedeutender, insbesondere dadurch, dass die Geschichte durch die momentanen Kriege auch wieder sehr aktuell geworden ist. Abschließend kann man nur noch sagen, dass die Staatsoper Hannover mal wieder eine hervorragende Inszenierung hervorgebracht hat, die mit dem offenen Ende auch einen Hoffnungsschimmer für unsere aktuelle Welt zeigt.

 

I Capuleti e i Montecchi – Rezension

von Constantin, Jg. 12, Gymnasium Lehrte

Die tragische Liebesgeschichte von Romeo und Julia ist wohl eine der bekanntesten Romanzen aller Zeiten. Das wird es wohl umso schwerer machen, den Stoff auf eine immer wieder neue Art und Weise künstlerisch zu behandeln. Da kommt Vincenzo Bellini zur Rettung. Seine Oper, I Capuleti e I Montecchi, arbeitet nämlich nicht mit der bekannten Shakespeare-Fassung, sondern mit einer eigenen Variation der Geschichte. Warum dies in Kombination mit der neuen Inszenierung der Staatsoper ein wirklich sehenswertes Erlebnis war, hatte viele Gründe.

Szenenfoto aus I Capuleti e i Montecchi (Foto und Copyright: Sandra Then)

Unsere Oper beginnt im Krieg. Wo genau wissen wir nicht, auch nicht um was es geht, oder warum überhaupt angefangen wurde zu kämpfen. So genau scheint das die beiden Parteien auch nicht mehr zu interessieren.
Das sind auf der einen Seite die Capuleti (Capulets), angeführt vom Prinzen Romeo, auf der anderen die Montecchi (Montagues), geleitet vom Vater unserer Julia, die bei Bellini Giulietta heißt.
Vor Beginn der Handlung hatte Romeo den Bruder Julias ermordet, nun schwören die Capuletis, insbesondere deren Feldherr, Tebaldo, Rache. Dieser wirbt gleichzeitig um die Hand Giuliettas, die ihm vom Vater im Handumdrehen (und natürlich ohne Nachfrage bei der Tochter) versprochen wird. Blöd, da Giuletta doch eigentlich Romeo liebt. Die Aussichtslosigkeit ihrer Situation bringt sie dazu, immer mehr in ihre eigene Fantasiewelt zu entfliehen.
Die Handlung läuft unaufhaltsam weiter, und obwohl der Weg ein anderer als der bekannte ist, bleibt das Ende der Tragödie doch gleich: Giulietta täuscht durch einen Schlaftrank den Tod vor, Romeo erdolcht sich vor Trauer, und so weiter und so fort.
Obwohl: so gleich nun auch wieder nicht. Den Giulietta kann vor Romeos Tod noch ein letztes Mal mit ihm reden, und findet in der hannoverschen Inszenierung sogar den Mut, auch ohne ihn weiterzuleben. Kurz vor dem Schlussakkord entflieht sie dem Konflikt und lässt die streitenden Familien und den Krieg hinter sich, um neu zu beginnen.

Die Oper ist nicht nur wegen der abgeänderten Fassung des Stoffes interessant, sondern auch für ihren Romeo. Denn bei Bellini ist er eine Hosenrolle; der männliche Charakter wird von einer Sängerin gespielt. Das bietet sehr interessante neue Perspektiven auf den Stoff, und zwar nicht nur musikalisch. Denn die Inszenierung versucht nicht, Romeo trotz weiblicher Besetzung als eindeutig männlich darzustellen; er wirkt eher androgyn. Durch dieses Spiel mit Geschlechterrollen und dem damit verbundenen Verfremdungseffekt hinterfragt man die Geschlechterrollen, die hinter der Geschichte stecken, und gewinnt vielleicht eine neue Perspektive.
Man hätte hier natürlich auch Romeo ganz als Frau darstellen können um zu kritisieren, dass sich die Inszenierung hier einfach nicht wirklich entscheiden kann. Das ist zwar nachvollziehbar, und man hätte die Beziehung ja auch offen lesbisch darstellen können, anstatt den “sicheren” Mittelweg zu bestreiten. Vielleicht kann man aber Romeo ja auch als non-binär lesen; dann hätten wir wieder eine Queere Sichtweise.
Mich hat es auf jeden Fall nicht gestört. Die Ambiguität, mit der die Inszenierung spielt, kann ja auch an sich als Kommentar verstanden werden, und die Herausforderung, selbst über die Thematik reflektieren zu müssen, als gewollt. So oder so ist es eine sehr gelungen gestaltete Figur.

Und wo wir gerade bei den Hauptcharakteren sind: auch die Rolle der Julia gelingt ganz exzellent. Sie wird gleichzeitig als verletzlich und allein, aber auch als ganzer Mensch, überzeugt und willensstark dargestellt und phantastisch geschauspielert. Allein schon der Fakt, dass sie hier der Mord ihres Bruders durch Romeo beschäftigt, was durch ihre auf der Bühne ausgespielte Gedankenwelt klar wird, macht sie zu einer komplexeren und realeren Figur, als es je bei Shakespeare der Fall war. Dort betrauert sie den Tod ihres Bruders nur für eine halbe Szene. Dies und noch viele andere Dinge zeichnen eine sehr zerrissene und komplizierte Figur glasklar und empathisch ab, und das stärkt auch die Darstellung ihrer Beziehung zu Romeo, die durch ihren vollständig ausgearbeiteten Charakter unglaublich glaubwürdig und mitreißend gelingt.
Und vor allem ihre Flucht am Ende der Oper gibt ihrem Charakter die Gerechtigkeit, die ihr über die Jahrhunderte in anderen Inszenierungen immer wieder verwehrt blieb. Endlich kann sie nach dem Tod Romeos ihr Schicksal selbst weiterbestimmen, und ihr Entkommen ist am Ende einer düsteren und mitreißenden Geschichte ein heilender Lichtblick.
Neben Romeo und Julia gelingen auch die Nebenrollen, wie zum Beispiel Tebaldo, der trotz seiner kriegerischen Rolle mit relativ wenig Bühnenpräsenz als entwickelte Rolle dargestellt wird. Jeder auf der Bühne wirkt wie ein ausgearbeiteter Mensch, und am Ende bemitleidet man sie alle für den Krieg, in dem sie gefangen sind.

Die Aufführung wird aber nicht nur von der Handlung und der schauspielerischen Leistung getragen, sondern auch von dem teils bedrückenden, teils wunderschönen Konzept hinter Kostüm und Bühnenbild.

Erst einmal: Die Oper ist extrem farbig gestaltet. Alle Capulettis tragen violett, alle Montecchi gelb, und Lorenzo, der Kammerdiener, der als einziger wirklich zwischen den Fronten steht, ist in grün gekleidet.
(Auch sein Charakter ist übrigens interessant gestaltet; er erscheint zwar als der einzige Freund, den Romeo und Julia haben, doch erzählt er Romeo nichts vom Schlaftrunk, welchen er Julia übergibt, damit diese ihren eigenen Tod vortäuschen kann. Ob dies absichtlich war, bleibt dem Publikum überlassen.)

Die Welt, vor welcher sich diese Figuren bewegen, bleibt jedoch grau und trostlos, es sei denn Giulietta hat eine Chance, für ein paar Momente in ihre heile Fantasiewelt zu entkommen. Dann verwandelt sich die Bühne, und warmfarbige und bunte Ausschnitte aus einem Gemälde von Jan Bruegel dem Älteren kreieren einen hinreißenden Kontrast zwischen Vorstellung und Realität.

Hier trifft die Inszenierung aber auch auf ihren einzigen Stolperstein. Es scheint nämlich in der Oper so, als ob der Krieg zwischen Capuleti und Montecchi als durchweg sinnlos dargestellt werden soll. Es gibt keinerseits Helden, keine noblen Beweggründe, keinen Bösewicht, nur sinnlose gegenseitige Zerstörung. Keiner der Familien hat hier Recht.
Und dann impliziert man als Schauplatz ausgerechnet die Ukraine. Das lässt sich zumindest durch Plattenbau und dem russischen Panzer im Bühnenbild vermuten. Das legt die von der Regie ungewollte (wie durch Zitate von ukrainischen Reportern und Regimegegnern Putins im Programmheft bewiesen wird) Deutung nahe, dass hier auch der Ukrainekrieg als Konflikt ohne klares Gut und Böse dargestellt wird, nicht wie einer, in welchem ein demokratischer Staat um sein Überleben kämpft. Hier wurden moderne Ereignisse also vielleicht etwas zu grob mit auf die Bühne integriert. Das ist umso frustrierender, da ohne diesen Bezug die Anti-Krieg-Message viel effektiver hätte sein können.

Aber wir wollen hier nicht negativ enden. Abgesehen von dieser kleinen anfänglichen Dissonanz, die man als Zuschauer schnell überwindet, gelingt Hannovers Romeo und Julia fantastisch. Eine mitreißende Geschichte wird hier in Hinblick auf Handlung, Schauspiel und Design genial neu erzählt, und manche Bilder aus der Aufführung schwirren mir auch nach Monaten noch durch den Kopf. Es ist wahrlich eine Adaption, die Shakespeare, Bellini, und der restlichen langen und ikonischen Geschichte dieses Stoffes triumphal gerecht wird.

Schüler:innenkritiken zu „Carmen“

Georges Bizet (1838–1875) / Marius Felix Lange (*1968)
Oper in vier Akten in musikalischer Bearbeitung
für die Fassung von Barbora Horáková Joly und Martin Mutschler

Carmen | Foto und Copyright: Clemens Heidrich

„Carmen“

Am 27.September 2023 haben wir uns die Oper „Carmen“ von Georges Bizet in der Staatsoper Hannover angesehen. In der Oper geht es um eine spannende Liebesgeschichte zwischen Carmen und Don José, die im pulsierenden Ambiente des spanischen Sevilla spielt. Dabei trifft die Protagonistin Carmen, eine leidenschaftliche und unabhängige Zigeunerin, die viele Männer in ihren Bann zieht, auf den Soldaten Don José, der sie zunächst wegen eines Disputs verhaftet. Es beginnt eine intensive Liebesaffäre, wobei diese Beziehung zunehmend von Eifersucht und Leidenschaftsschwankungen geprägt wird.

Die gesamte Oper ist von der Schauspielkunst bis hin zum Bühnenbild und Gesang perfekt umgesetzt. Die Oper erstrahlt in musikalischer Brillanz, welche von der leidenschaftlichen Eröffnung bis zum dramatischen Finale konstant bleibt, wobei Liebe und Freiheit als Hauptmotive klar dargestellt werden. Die Melodien „L’amour est un oiseau rebelle“ und „La fleur que tu m’avais jetéee“ sind eingängig und berührend, und setzen die Stimmung und Emotionen der Charaktere perfekt in Szene. Das Bühnenbild von den sonnenverwöhnten Straßen Sevillas bis zu den dunklen, dramatischen Szenen in den Bergen hat mich direkt in das spanische Milieu eintauchen lassen, wobei die häufigen Szenenwechsel eine authentische und exotische Atmosphäre schaffen. Die Hauptcharaktere, insbesondere Carmen, sind tiefgründig und vielschichtig, was mir ermöglicht hat, mich mit den inneren Konflikten auseinanderzusetzen und mich mit ihnen zu identifizieren. Diese Charaktertiefe verleiht der Oper meiner Meinung nach eine menschliche Dimension, die in Erinnerung bleibt. Besonders gut dargestellt wird meiner Meinung nach die Beziehung zwischen Don Joseé und seiner Mutter, da an dieser Stelle klar geworden ist, wie hin- und hergerissen er zwischen der Liebe zu Carmen und der Rückkehr zu seiner Mutter ist.

Eine Sache hat mich allerdings bei aller Begeisterung gestört: In der Oper gab es den ständigen Ausruf „Hey!“ von den Nebencharaktern, die ich persönlich als störend und unpassend empfunden habe, da ich ihn für mich nicht klar einordnen konnte.

Zusammenfassend ist „Carmen“ ein musikalisches und dramatisches Meisterwerk, das mit seinen mitreißenden Melodien, beeindruckenden Bühnenbildern und vielschichtigen Charakteren die Herzen des Publikums erobert und seinen Platz in der Geschichte der Oper verdient. Mir hat die Oper sehr gut gefallen und ich würde sie jederzeit weiterempfehlen.

Leonie (Jg. 12, Georg-Büchner-Gymnasium, Seelze)

 

Carmen | Foto und Copyright: Clemens Heidrich

„Carmen“

Am 27. September 2023 haben wir uns die Neuinterpretation von Marius Felix Lange zu Georges Bizets (1838-1875) Oper „Carmen“ in der Staatsoper Hannover angeschaut. Die Fassung wurde zu Zeiten von Corona produziert und besteht aus diesem Grund aus einem Kammerorchester und keinem Chor.

In der Oper geht es um den Soldaten Don José, der sich unsterblich in Carmen verliebt. Diese soll wegen eines Streits verhaftet werden, wird aber von José befreit, welcher dafür selbst ins Gefängnis kommt. Nach seiner Freilassung will er, aus Liebe zu Carmen, ihr in ihre Freiheit folgen und desertiert. Doch bereits nach kurzer Zeit kühlt die Beziehung ab und Carmen verlässt José für einen Torero. Im vierten und letzten Akt will Don José Carmens Liebe zurückgewinnen, doch als diese ihn erneut zurückweist, tötet er sie. Im Verlauf des Stückes wird demnach Josés Weg in das Verbrechen dargestellt, vom desertierten Soldaten, der seinen Vorgesetzten tötet, bis zu seiner Bereitschaft, endgültig ein Leben in der Illegalität zu leben, um mit Carmen zusammen sein zu können.

Die Neuinterpretation des 1875 uraufgeführten Stücks ist sehr modern. Der Großteil der Handlung spielt in einem verlassenen Stadion und die „Zigeunerbande“ um Carmen wurde zu einer Straßenbande. Besonders haben uns hierbei die trotzdem vorhandenen Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefallen. So fuhren die Darsteller überraschenderweise mit Motorrädern über die Bühne und gleichzeitig wurde der Stierkampf so umgesetzt, dass jeder wusste, was gemeint war und es den ein oder anderen Lacher im Publikum gab. Auch die deutsche Erzählerstimme war sehr angenehm und hat immer wieder Aufmerksamkeit erregt. Aus persönlichen Gründen hat es mir des Weiteren sehr geholfen, der Handlung folgen zu können, da mein Sitzplatz das Mitlesen der deutschen Übertitel der französischen Texte so gut wie unmöglich machte. Außerdem besonders positiv hervorzuheben sind die Tänzer, insbesondere die halbnackten/nackten Tänzerinnen auf der dunklen, dunstverhangenen Bühne.

Insgesamt kann ich die Oper nur weiterempfehlen und die große Anzahl von Zuschauern in der Aufführung zeigt, dass ich wahrscheinlich nicht die Einzige mit dieser Meinung bin. Jedoch sollte man sich eventuell auf eben diese moderne und gekürzte Neuinterpretation vorbereiten, da es anders doch zu Verwirrungen kommen könnte.

Neele (Jg. 12, Georg-Büchner-Gymnasium, Seelze)

 

Carmen | Foto und Copyright: Clemens Heidrich

„Carmen“

Am Freitag, den 6. Oktober waren wir mal wieder im Opernhaus. Im Rahmen des Projektes „Tatort Oper“ erlebten wir als Saisonstart die Oper Carmen von Georges Bizet in der Fassung von Marius Felix Lange (*1969).

Carmen gilt als eine der erfolgreichsten und beliebtesten Opern überhaupt. So verwundert der Wunsch der Staatsoper Hannover trotz der Corona Pandemie vor drei Jahren eine Carmen aufführen zu wollen nicht, wenngleich in einer „abgespeckten Corona-Version“. Aus einem großen romantischen Orchester wurde ein Kammerensemble, der Chor wurde weggelassen und das Stück wurde von dem Komponisten Marius Felix Lange stark gekürzt, um den damaligen Corona-Auflagen zu entsprechen und die Carmen doch aufführen zu können. Da die Fassung sehr positives Feedback erhielt, wird sie jetzt, auch wenn Corona keine Rolle mehr spielt, wiederaufgeführt.

In der tragischen Oper in vier Aufzügen geht es um die Beziehung und das Liebesdrama zwischen der freiheitsliebenden Carmen und dem Soldaten Don José. In der Hitze Sevillas verliebt sich José in Carmen, möchte dies doch erst nicht zugeben. Sie verführt ihn, was zum Zwiespalt mit seiner Verlobten Micaela führt. Als der Stierkämpfer Escamillo in Carmens Leben tritt, wird Don José eifersüchtig, Es entbrennt ein Konflikt zwischen Carmen und Don José. Weil Carmen Don José die Liebe nicht schwören möchte, tötet er Carmen am Ende.

Das Bühnenbild bestand aus einem zufälligen Mix aus Straßenschildern, Leitplanken, Reifen, einem Ölfass, blinkenden Schildern und einer Freiheitsstatue. Repräsentiert werden sollte ein Stadion. Über die Aufführung hinweg änderte sich das Bühnenbild kaum. Ergänzt wurde es durch Leinwände an denen repetitiv kurze Nahaufnahmen von den szenenrelevanten Darstellern gezeigt wurden. War die Freiheitsstatue vielleicht etwas überflüssig, so konnten die Bildschirme durchaus als störend empfunden werden. Es ist nicht nötig, Nahaufnahmen der Personen zu zeigen, die ohnehin schon auf der Bühne singen. Dies lenkt eher ab. Uns waren Inszenierung und Bühnenbild zu modern und ablenkend. Für uns gehören blinkende Motorräder und Einkaufswagen in den örtlichen Supermarkt und garantiert nicht auf die Opernbühne. Dies mag aber Geschmackssache sein.

Definitiv nicht anzweifelbar ist, dass Carmen eine der größten romantischen Opern mit einem mächtigen, energetischen, kraftvollen, pompösen Orchester und einem feierlichen Chor ist. Wir fanden es gegenüber der Musik und Bizet geradezu respektlos, das Werk so zu entstalten. Wir haben Verständnis dafür, dass es aufgrund von Corona keine andere Möglichkeit gab, die Carmen aufzuführen. Doch hätten wir uns eine „richtige“ Carmen zu einem anderen Zeitpunkt gewünscht. Diese Oper „läuft ja nicht weg“. Man hätte stattdessen etwas aus der klassischen Ära, beispielsweise Mozart aufführen können. Wegen des ohnehin kleineren Orchesters und leichteren Klangs würden sich diese Opern viel besser in eine kammermusikalische Besetzung umarrangieren lassen.

Insgesamt waren die erbrachten Leistungen im schauspielerischen und gesanglichen Sinne sehr überzeugend. Besonders gefallen hat uns Young Woo Kim als Don José sowie Barno Ismatullaeva als Micaela. Ihre feinen Ausarbeitungen beeindruckten durch ihre dynamische Genialität sowie gefühlvoller Emotionen. Die Carmen hingegen fanden wir musikalisch eher unspektakulär. Dieses haben wir besonders deutlich bei ihrer bekannten Arie Habanera (Akt I) bemerkt, da sie diese tolle Arie eher „schulmeisterlich“ sang.

Die anwesenden Instrumentalisten aus dem Orchester haben die Oper toll begleitet, ebenso die sechs Tänzer, die das spanische Flair nach Hannover brachten. Das sehr präzise, feine, eher dezente Dirigat von Masaru Kumakura hat uns gut gefallen.

Zusammenfassend: Die moderne Inszenierung und immense Kürzung führten bei uns nicht zu einer Verzückung. Würde man die Handlung nicht im Voraus kennen, könnte es zu großen Verständnisproblemen kommen. Eine Oper muss für sich allein verständlich bleiben.

Musikalisch wurde uns zu viel verändert, eine Ouvertüre gehört an den Anfang!

Wenn man schon so eine tolle Oper wie Carmen aufführt, dann bitte ungekürzt und unbearbeitet.

Felix und Benedict (Jg. 9, Gymnasium Isernhagen)