Dieses Konzert am 28. September 2025 des Niedersächsischen Staatsorchesters unter der Leitung von Stephan Zilias mit Christian Schmitt an der Orgel vereinigte Werke von Dusapin, Zimmermann und Bruckner. Das sind beeindruckende Werke ganz unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben. Im Programmheft findet sich der Satz „Ein Ringen mit Gott und der Welt“ als Hinweis auf das Verbindende. Das trifft es sehr gut. Drei Musikstücke kreisen um das Thema Ewigkeit.

Schlussapplaus für das erste Sinfoniekonzert der Spielzeit 2025/2026. – Foto (c): Achim Riehn
Als erstes Stück erklang „Waves“ des französischen Komponisten Pascal Dusapin, 1955 in Nancy geboren. Dusapin ist einer der meistgespielten Komponisten der Gegenwart, an der Oper Hannover werden in den nächsten Jahren mehrere seiner Opern auf die Bühne kommen. „Waves“ für wirklich großes Orchester und Orgel wurde 2019 komponiert. Dusapin nannte es ein „Duo für Orgel und Orchester“, es gibt zwei gleichberechtigte Partner, die Orgel ist in den Klang des Orchesters eingewoben. An der von ihm mitgebrachten Konzertorgel hörten wir Christian Schmitt, der zu den international am meisten gefragten Organisten gehört. Sein Schaffen ist auf über 40 Aufnahmen zu hören.
Die Musik kann ich nur in Assoziationen beschreiben. Trompetensignale, eine Art Fanfare, ein Klangraum bildet sich aus leuchtenden Flächen. Es ist wie ein weites, sich langsam bewegendes Meer, auf dem das Licht glitzert. Langsam erhebt sich die Orgel aus diesen chaotischen Farbflächen. Das ist impressionistische Musik neu gedacht. Ein Kernmotiv zieht sich im Untergrund verborgen durch das ganze Stück. Die ganze Musik ist ein mich fast überfordernder Kosmos aus glitzernden Wellenbewegungen, wild, langsam, schnell, hektisch, farbig, leuchtend, auch mal heftig geräuschhaft. Die Orgel sorgt für fast sakrale Momente, aus denen dann wieder das Wellenchaos hervorbricht. Bei den leisen Stellen musste ich an Mondlicht über einem Nachtmeer denken, an nächtliche Vögel, dazu der Klang der Orgel als Grundierung, als Klang der Tiefe. Manchmal schimmern Anklänge an Debussy durch, „La Mer“ in der Kirche war meine spontane Assoziation. Der Schluss ist dann wild wie ein von einem Orkan aufgewühltes Meer.
Greifbare, sinnliche Musik, voller Farben – ich war überrascht und angetan! Das ist Musik, die das Hören lohnt. Stephan Zilias und das Niedersächsische Staatsorchester ließen dieses Meer an Musik leuchten und glitzern, selbst die lautesten und dichtesten Stellen waren klar strukturiert und transparent. Wunderbar integrierte sich die Orgel von Christian Schmitt in die Klänge. Faszinierend, wie der Komponist es schaffte, aus so unterschiedlichen Klängen eine fast weihevolle, monumentale, wilde Einheit zu schaffen.
„Waves“ gibt dem Organisten nicht viel Gelegenheit, sich solistisch hervorzuheben. Für den großen Beifall bedankte sich Christian Schmitt mit einem kurzen Orgelstück von Widor und zeigte mit Bravour seine große Klasse!
Nach der Pause ging es mit Werken von Zimmermann und Bruckner weiter. Bernd Alois Zimmermann wurde 1918 geboren. Die Orchesterskizzen „Stille und Umkehr“ aus dem Jahr 1970 sind sein letztes Orchesterwerk. Es entstand als Auftragswerk der Stadt Nürnberg zum 500. Geburtstag von Albrecht Dürer. Noch vor der Uraufführung schied der schwer erkrankte Komponist aus dem Leben.
Das Werk kreist um den Zentralton „d“, verlässt ihn, kehrt immer wieder zu ihm zurück. Es ist, als ob die zarte, zurückgenommene Musik einen letzten festen Halt sucht, einen letzten sicheren Hafen. Mit leise schwingenden Tönen beginnt es, das ist fast impressionistisch, es ist sinfonische Kammermusik. Die Musik leuchtet, ist in sich versunken. Eine schwingende Phrase kehrt immer wieder, wie ein Mantra. Das wird abgelöst durch eine andere sich wiederholende Phrase, vibrierend, um einen Ton herumschwirrend. Harfentöne glitzern in schwingenden Melodiefragmenten, wir hören eine singende Säge, ein Akkordeon. Hinter allem klopft die kleine Trommel leise ihren permanent wiederkehrenden Rhythmus, stolpernd, von Pausen unterbrochen. Ist das ein ersterbendes Herz? Für mich klingt es wie ein auf dem Friedhof aus der Ferne gehörter, im Winterwind verwehter Trauermarsch. Zum Ende hin verdämmert die Musik langsam, nur das Trommelmotiv bleibt übrig, bevor es auch verlöscht.
Das ist todtraurige Musik und das war in dieser Interpretation in jeder Sekunde zu spüren. Ganz sensibel spielte das hier kleinere Orchester, mit viel Emotion in jedem Ton. Anrührend und wie vollkommen verloren erklangen die Töne der singenden Säge zum Schluss. Ein ganz großes Stück Musik!
Bruckners Sinfonie in d-Moll entspringt aus dem Ton d von „Stille und Umkehr“. Der im Jahr 1824 geborene Anton Bruckner komponierte seine 3. Sinfonie d-Moll im Jahr 1873. Er widmete die Sinfonie Richard Wagner. Wagners Einfluss ist in der Sinfonie auch zu spüren, nicht als direktes Zitat, eher als Anklang. Im Jahr 1877 überarbeitete Bruckner die Sinfonie, eine weitere Überarbeitung erfolgte 1888. Im Konzert erklang die Fassung von 1877. Bruckner baut auch in dieser Sinfonie ganze Welten auf, musikalische Gottessuche und Töne der realen, dörflichen Welt erklingen nebeneinander, sogar übereinander.
Wagnerisch erhebt sich im ersten Satz die Musik aus der Tiefe, majestätisch und doch zurückgenommen, ernst. Generalpausen teilen die Musik in Blöcke. Alles ist von fast träumerischer Stimmung, ruhig, sehr romantisch. Das Hauptthema erhebt sich in der Mitte des Satzes, ernst wie der Auftritt eines Königs. Die typischen Bruckner-Aufschwünge sind in diesem Satz fast zurückhaltend, alles ist gemäßigt. Stephan Zilias und das Orchester spielten das mit noblem Ton, immer durchsichtig. Die schroffen Kontraste zwischen den lauten und den leisen Stellen wurden so noch deutlicher hervorgehoben. Das ist eine Welt der Kontraste.
Der zweite Satz ist innig und verträumt, er wirkt auf mich wie eine Landschaft im Morgenlicht. Sehr lyrisch ist das, es gibt nur vereinzelte Aufschwünge. Ganz ruhig endet dieser Satz. Das wurde sehr sensibel gespielt, in die Musik versunken, wie eine nicht ganz diesseitige Träumerei.
Keck, beschwingt, wie ein fröhliches Fest, das ist mein Eindruck vom dritten Satz. Ein fast volksmusikalischer Tanz zieht in der Mitte an uns vorbei. Dann kommt die Festmusik wieder. in diesem Satz legte auf einmal das Orchester das Träumerische ab, wurde ausgelassen, wurde wild, ein wunderbarer Kontrast! Besonders eindrücklich gelang der energische Schluss, da ging wirklich die Post ab!
Der Finalsatz ist ebenfalls voller Energie, aber das ist eine ganz andere Energie als die des dritten Satzes. Verschiedene Stimmungen mischen sich, überlagern sich. Eine weltliche, fröhliche Polka und ein Choral erklingen gleichzeitig. Dort Wirtshaus, hier Kirche, zwei Welten sind untrennbar miteinander verwoben. Triumphal endet die Sinfonie. Toll arbeitete Stephan Zilias hier die Kontraste heraus, jeder Gefühlsumschlag erschien so logisch, ging direkt ins Herz.
Das Orchester spielte diese Sinfonie großartig, es gab tolle Einzelleistungen, besonders hervorheben möchte ich die präzisen Hörner. Insgesamt erlebte ich ein wirklich spannendes Konzert mit Musik, die unterschiedlicher nicht sein konnte. Stephan Zilias und dem Niedersächsischen Staatsorchester gelang es hervorragend, uns in diese drei Welten hineinzuführen und sie zum Leben zu erwecken. Der große Beifall war verdient!
Auf keinen Fall vergessen darf ich die Einführung von Arno Luecker. Das waren erfrischend konkrete 30 Minuten, das war nah an den Stücken, journalistisch, fast ein bisschen frech. Die Musik des Konzerts wurde mit kleinen Musikbeispielen konkret gemacht. Wir als Publikum wurden nicht mit Musiktheorie überfrachtet, alles war sehr anschaulich. Arno Luecker bekam mit Jubel unterfütterten Applaus, das war verdient! Alle Qualitäten der Einführung finden sich übrigens im Programmheft wieder – aber da muss man auf das Liveerlebnis leider verzichten.
Text: Achim Riehn