Endlich wieder ein Sinfoniekonzert, endlich wieder das Niedersächsische Staatsorchester auf der Bühne, unter seinem GMD Stephan Zilias! Marschner, Brahms, Strauss – ein Gang durch die Historie. Ein glanzvoller Abend mit groß besetztem Orchester war dies, der mit seiner wunderbar ausbalancierten Mischung aus Wucht und Zartheit begeisterte.
„History“ war der Titel dieses Programms, das sich Komponisten und Musik widmete, die eng mit der Oper in Hannover und ihrem Orchester verbunden sind. Heinrich Marschner war achtundzwanzig Jahre lang Chef der hannoverschen Oper. In seiner Zeit hier war der berühmte Geiger Joseph Joachim als Konzertmeister des Orchesters tätig, für den dessen Freund Johannes Brahms das berühmte Violinkonzert schrieb. Der Solist Tobias Feldmann war 2012 Preisträger beim Internationalen Violinwettbewerb Hannover, der Joseph Joachim gewidmet ist. Richard Strauss hat hier dirigiert, seine Musik gehört zum vertrauten Kernrepertoire des Orchesters.
Der Abend begann mit der Ouvertüre zur Oper „Hans Heiling“ op. 80 von Heinrich Marschner. Mit dieser Oper, einem Vorläufer des Musikdramas, festigte Marschner seinen Ruf als einer der wichtigsten Opernkomponisten seiner Zeit. Es ist eine Oper, die in Geister- und Menschenwelt spielt, voll mit unirdischen und feenhaften Elementen. Sie ist damit thematisch verwandt mit Marschners Oper „Der Vampyr“, die in dieser Saison hier auf dem Spielplan steht. Der Komponist wird oft dadurch charakterisiert, dass seine Musik zwischen Weber und Wagner steht.
Hans Heiling ist der Sohn der Königin der Erdgeister und eines Menschen. Er verlässt die Geisterwelt, um bei den Menschen sein Liebesglück zu finden. Doch er scheitert und damit scheitert auch die Verbindung der beiden Welten. Die Ouvertüre präsentiert diese Düsternis und Tragik. Klagende Stimmen scheinen das Schicksal des Helden zu beweinen, bevor in einem lebhafteren Teil das Ringen des Helden mit den beiden Welten, dunkel und hell, dargestellt wird. Stephan Zilias arbeitete die Kontraste dieser Mischung aus Traurigkeit und Drama sensibel heraus, das Orchester ließ die Gegensätze dieser klangvollen Musik lebendig werden. Nach dem Hören dieser Ouvertüre freue ich mich um so mehr auf Marschners „Der Vampyr“, der in dieser Spielzeit auf dem Programm steht.
Das „Konzert für Violine und Orchester D-Dur“ op. 77 von Johannes Brahms ist eines der ganz großen Violinkonzerte des Repertoires. In der traditionellen Dreisatzform gehalten, weist es doch weit darüber hinaus. Solostimme und Orchester sind viel stärker verflochten als bis dahin üblich. Der Solist bestimmt nicht alles, sondern tritt oft zurück, übernimmt eine begleitende Rolle. Dies macht dieses Konzert zu einer faszinierenden Mischung aus Konzert, Sinfonie und Kammerkonzert. Für den Solisten Tobias Feldmann ist die „Mischung aus expressiver Glut und intimer Sanglichkeit […] atemberaubend und einzigartig!“, wie er es im Programmheft sagte. Hier gelang im Konzert eine meisterliche Vorstellung.
Der epische erste Satz ist voller Gefühle. Mit einem Dreiklangthema beginnt es, leitet zu einem rhythmischen Seitenthema über und endet mit einem gesanglichen und innigen Thema. Der Satz ist erfüllt von fast schwärmerischer Romantik. Tobias Feldmann ließ seine Violine mit Energie erklingen, aber auch die Emotion und die Süße kamen nicht zu kurz. Über dem Orchester glitzerte und funkelte seine Violine. Das spannende Drama dieses Satzes gelang im Zusammenspiel zwischen Orchester und Solist wunderbar ausgewogen und präzise.
Das Adagio des zweiten Satzes ist lyrisch und empfindsam. Die Stimmung einer Sommernacht umfängt uns. Es beginnt mit einem ausgedehnten Oboen-Solo, das zuerst vom Orchester entwickelte Thema wird von der Solovioline aufgenommen und fortgesponnen. Dirigent, Orchester und Solist verwandelten die Musik in eine romantische Elfenmusik, ohne dabei die klare Linie dieses zarten Zwiegesangs aus aus dem Auge zu verlieren.
Der dritte Satz ist voller fast ungarisch anmutender Tanzthemen, die sich im Wechselspiel von Orchester und Violine entwickeln. Zum Schluss scheint der Satz zu verdämmern, bis das Werk dann doch noch in strahlenden Akkorden des Orchesters und der Solovioline endet. Tobias Feldmann gestaltete dies sehr schwungvoll und tänzerisch, das Wechselspiel mit dem Orchester war voll Energie und Lebensfreude. So klingt Brahms nicht nüchtern, sondern blutvoll und lebendig, so sollte Brahms immer klingen.
Die Zugabe von Tobias Feldmann war eine für Solovioline umgeschriebene Fassung des Erlkönigs von Schubert, wahnwitzig, mit Höchstschwierigkeiten gespickt. Dieser Parforceritt wurde zu Recht mit sehr viel Beifall bedacht. Mir taten allein vom Zuschauen die Finger weh!
„Ein Heldenleben“ op. 40 von Richard Strauss ist eine gewaltige sinfonische Dichtung mit einer Dauer von etwa 40 Minuten. Ich muss gestehen, dass diese sinfonische Dichtung nicht zu meinem Lieblingswerken von Strauss gehört, sie ist mir zu äußerlich, zu prahlerisch. Aber so wie heute gespielt macht sie Spaß und ich kann mich mit ihr anfreunden!
Strauss hatte die Partitur zuerst mit Zwischenüberschriften gegliedert, die er später entfernen ließ. Für das Verständnis des Werks sind sie aber hilfreich. „Der Held“, so ist die Einleitung betitelt. Hier werden die Hauptthemen des Werks vorgestellt und miteinander entwickelt. Das zentrale Thema ist kraftvoll, energisch, es strebt aufwärts – so wie ein Held sein soll. Dies gelang dem Orchester bei aller auftrumpfenden Gestik immer durchsichtig.
Nach einer Generalpause drängen sich musikalisch „Des Helden Widersacher“ hinein, knurrend, meckernd, karikierend. Sie stören die fast schon triumphale Musik, die mit dem Helden verbunden ist. Ein frecher, böser Chor von Kobolden, so erschien mir diese Musik in der Umsetzung, ein gelungener ironischer Gegensatz zur Heldengeste.
„Des Helden Gefährtin“ in Gestalt der Solovioline (Großartig: Lucja Madziar) führt dann zu einer Beruhigung des Geschehens. Aber auch hier ist die Welt kein Paradies, die Gefährtin kann auch ziemlich keifend sein. Dieser Dialog zwischen Violine und den knurrigen Orchester erscheint mir immer ein bisschen lang, aber heute machte er Spaß. Vielleicht lag es an diesem fast ironisch herausgearbeiteten Kontrast. Dann endet dieser Abschnitt doch noch in einer Rosenkavalier-Idylle von überwältigender Innigkeit.
Wieder mischen sich die Themen der Widersacher ein, Fanfaren kündigen den Kampf an, wir erreichen „Des Helden Walstatt“. Hier kämpfen Held und Gefährtin gemeinsam, eine heftige musikalische Auseinandersetzung entbrennt, bis schließlich Held und Gefährtin siegreich daraus hervorgehen. Diese dramatisch zugespitzte Überwältigungsmusik setzten Stephan Zilias und das Orchester präzise und exakt um, im Gewimmel war jede einzelne Stimme herauszuhören. Statt eines unstrukturierten Chaos eine fein choreografierte Auseinandersetzung – das geht kaum besser, bravo!
In „Des Helden Friedenswerke“ lässt der Held sein Leben an sich vorüberziehen. Themen aus anderen Werken von Richard Strauss sind hineingewoben (womit klar ist, wer der „Held“ ist“). Aber immer wieder stören die Widersacher. Das Orchester ließ diese farbenprächtige Musik leuchten und strahlen.
„Des Helden Weltflucht und Vollendung“ führt dann zu einer Beruhigung und gewissen Verklärung des Geschehens. Die Solovioline der Gefährtin hilft dem Helden, alle Widersacher hinter sich zu lassen und zur Ruhe zu kommen. Mit einem elegischen Abgesang endet das Werk.
Großer, verdienter Beifall für die Interpretation, Jubel für Lucja Madziar und die Hörnergruppe! So ist ein „Heldenleben“ nichts Äußerliches, sondern ein farbenreiches Innenleben.
Klassische Musik stellt Verbindungen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart her. Musikerinnen und Musiker der Orchester erbauen für uns diese Brücken, indem sie Noten in Musik verwandeln. Aus „History“ wird glanzvolle, lebendige Gegenwart, schön, wenn das so gut gelingt wie an diesem Abend.
Einen Einwand habe ich aber. Im Programmheft steht in Bezug auf unsere Stadt „Die wirklich großen Opernhäuser stehen zwar in anderen europäischen Städten, die Weltklasse-Orchester sind andernorts beheimatet […]“. Auch wenn es in Hannover üblich ist, sein Licht bei jeder Gelegenheit ganz weit unter den Scheffel zu stellen – bei den hier gebrachten Leistungen könnte man ruhig auch mal stolz sein!
Achim Riehn