5. Sinfoniekonzert „Innenleben“ am 23. März 2025: Blicke in Träume und in die Seele

„Innenleben“ war ein sehr treffender Titel für dieses stimmungsvolle und bewegende Konzert. Drei Komponisten der gemäßigten Moderne des 20. Jahrhunderts – Martinů, Schostakowitsch und Rachmaninoff – blicken auf ganz unterschiedliche und individuelle Art und Weise hinein in ihre Seele, in ihre Träume, in ihr Inneres und verarbeiten so ihre Lebenssituation. In Martinůs Oper „Julietta“ geht es um den Verlust des Bezugs zur Wirklichkeit, die Suite gibt dieses Herumirren in Traumwelten wieder. Das 1. Cellokonzert von Schostakowitsch ist eine Reaktion auf die durchstandene Stalin-Diktatur, ein Aufatmen. In der 3. Sinfonie von Rachmaninoff, entstanden im amerikanischen Exil, ist die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zu spüren.
Schlussapplaus Sinfoniekonzert (c) Achim Riehn

Schlussapplaus Sinfoniekonzert (c) Achim Riehn

Als Dirigenten hatte das Niedersächsische Staatsorchester den jungen koreanischen Dirigenten und Komponisten Hankyeol Yoon zu Gast. Er gewann 2023 den „Herbert von Karajan Young Conductors Award“ bei den Salzburger Festspielen und wurde 2019 als jüngster Preisträger des „Gstaad Menuhin Festivals“ mit dem „Neeme Järvi Prize“ ausgezeichnet. In den vergangenen Jahren hat er verschiedenste Einladungen als Gastdirigent renommierter Orchester bekommen.
Als Solisten im Cellokonzert hörten wir Julian Steckel. Im Jahr 2010 gewann er den Internationalen ARD-Wettbewerb in München. Er ist inzwischen mit vielen renommierten Orchestern aufgetreten.
Das Konzert begann mit den drei kurzen Stücken der Suite aus der surrealistischen Oper „Julietta“ von Bohuslav Martinů. Das ist wirklich wie Musik aus wirren Träumen. Der erste Satz ist wild, zerrissen, er klingt wie die Filmmusik zu einem Albtraum. Teilweise erinnert mich das an den „Sacre“ von Strawinsky. Zum Schluss scheint eine verzerrte Tanzmusik im Hintergrund auf. Der zweite Satz beginnt als ein Furioso, heftig und energisch, das sich dann beruhigt. Die Musik wird fast lyrisch – das ist ein angenehmerer Traum. Kurz kehrt das Wilde, Aufgewühlte zurück, ganz zart geht es weiter. Majestätisch und ein bisschen unheimlich beginnt der dritte Satz. „Filmmusik, eine Reise zum Schloss Draculas“, so schoss es mir durch den Kopf. Nach einer sehr gesanglichen, fast romantischen Passage wird es wieder majestätisch, unheimlich. Nach einer fast bedrohlichen Schlusssteigerung verdämmert die Musik.
Dirigent und Orchester arbeiteten die Farben dieser Musik sehr schön heraus. Diese dahinhuschende Traummusik leuchtete, so wie auch unsere Träume manchmal in grellen Farben leuchten. Ein prächtiger Einstieg zu diesem Konzert!
Das nun folgende großartige Cellokonzert Nr. 1 von Dmitri Schostakowitsch ist für mich eine große Erzählung, die Schilderung einer Lebens- und Seelenreise. Jedes Mal empfinde ich es so, so auch diesmal. Das ist natürlich eine ganz subjektive Empfindung. Es ist ein Durchatmen nach dem Ende der Stalin-Diktatur.
Aufgeregt und aufgehetzt beginnt das „Allegretto“. Wir werden hineingeworfen in einen emotionalen Aufruhr, ein Viertonmotiv beherrscht die Musik. Dieses Motiv ist für mich das Symbol für die Seele der Person, deren Geschichte hier geschildert wird, ein „Ich bin noch da!“. Die Musik steigert sich in so etwas wie Verzweiflung hinein. Es ist Musik, die von Angst durchzogen ist, aber auch von Lebenswillen. Das Cello ist in einem Albtraum gefangen, und das Publikum wird hineingezogen. Julian Steckel und das Orchester spielten das mit angemessener Ruppigkeit und Schmerz im Ausdruck. Ganz falsch wäre hier ja Schönklang, aber den gab es hier nur als Nuance, als Einfärbung. Sehr gut!
Der zweite Satz „Moderato“ ist ruhig, gesanglich, melancholisch. Es ist eine Art Klagegesang. Werden hier die Schrecken des ersten Satzes, des realen Lebens, betrauert? Die Musik ist traurig, emotional, bewegend, sehr innerlich. Die Musik verdunkelt sich dann, ein Ausbruch von dunklen Gefühlen folgt. Die Ängste des ersten Satzes sind noch da. Aber das Melancholische gewinnt wieder die Oberhand. Die Musik verklärt sich und verdämmert in hohen, zarten, himmlischen Tönen der Hoffnung. Ganz wunderbar wurde diese in sich gekehrte, irgendwie abgrundtief traurige Musik gespielt. Jede Farbe der Musik wurde so hörbar, jeder Klang ging in die Seele. Großartig auch das Solo-Horn und die solistisch eingesetzte Celesta im Orchester!
Es folgt die „Cadenza“, ein großes, mehrminütiges Solo des Cellos. Leise und innerlich beginnt es, klagend, von Pizzicato-Tönen zerrissen. Das ist eine große, traurige Meditation, ein Nachdenken, ein Zurückfinden zu sich selbst. Die zerrissene Seele muss sich wieder zusammensetzen. Dann wird die Musik plötzlich schneller, bewegter, lebendiger. Sie gerät fast aus den Fugen, wird wild und beinahe ausgelassen. Julian Steckel zeigte uns hier ein musikalisches Bild, in dem sich romantische, innerliche Klänge mit Klängen abwechselten, die wirklich wie Risse in der Seele klangen. Hier versucht ein Mensch zu heilen, in jedem Ton war das spürbar.
Attacca beginnt das „Allegro con moto“, bewegt, beschwingt, mit einem triumphierenden Unterton. Der Mensch hat überlebt, hat sich befreit, hat wieder zu sich gefunden. Die Musik wird tänzerisch, wild, fast ein bisschen fröhlich. Das „Ich bin noch da!“-Viertonmotiv des ersten Satzes ist wieder da und diesmal geht es siegreich aus den Wirren hervor. Auch dieses wilde Allegro war bei Dirigent, Solist und Orchester in besten Händen. Das riss fast von den Sitzen!
Für den lang anhaltenden, kaum enden wollenden Beifall bedanke sich Julian Steckel mit einer Sarabande von Bach.
Nach der Pause folgte die 3. Sinfonie a-Moll von Sergej Rachmaninow. Die Musik dieser Sinfonie ist für mich schwer zu beschreiben. Es ist sehr rhapsodische Musik, die Stimmungen wechseln schnell, es ist wieder wie ein Blick in einen Traum.
Nach ruhigem Beginn folgen im ersten Satz plötzlich auftrumpfende Akkorde, sehr romantisch geht es weiter. Eine weit geschwungene Ballade folgt, von energischen Ausbrüchen durchzogen. Die Melodik ist sehr gesanglich. Nach einem mysteriös-wispernden Mittelteil folgen wieder energische Ausbrüche, bis die Balladenstimmung wiederkehrt. Ganz wunderbar verstand es Hankyeol Yoon, diesem stetigen Wechsel von Melodien eine Struktur zu geben, nichts erschien beliebig oder beiläufig.
Der zweite Satz ist romantisch und innerlich, er ist fast ein Liebeslied. Für mich hat das die Stimmung einer abendlichen Serenade. Durchbrochen wird das von emotionalen Steigerungen (wie es in der Liebe eben ist). Hin und her huschende Melodiefragmente erklingen, das ist wie eine Nachtmusik, die aus der Ferne herüberklingt. Die Musik wird tänzerischer, bewegter, verwandelt sich in ein nächtliches Fest. Ruhig, gesanglich und romantisch geht es weiter, leise klingt es aus. Hankyeol Yoon und das Orchester arbeiteten das Hochromantische dieser Musik herrlich heraus, präzise in jedem Ton, klar im Aufbau.
Auftrumpfend und fast fröhlich beginnt der dritte Satz. Ein emotionales Aufblühen führt in einen innerlichen, gesanglichen Abschnitt hinein. Immer wieder blitzen kecke Musikfetzen auf und die fröhliche Musik geht weiter, wechselt sich ab mit den ruhigeren Abschnitten. Das alles hat etwas Spielerisches. Der Schluss ist dann fast wild und ekstatisch. Zur Romantik kommt in diesem Satz ja etwas fast Freches hinzu, auch das gelang Hankyeol Yoon und dem Orchester ganz wunderbar. Wieder gab es in dieser rhapsodischen Musik eine hörbar gemachte, ganz klare Struktur, das hat mir sehr gefallen. Vor dem Konzert hatte ich von dieser Sinfonie eine Aufnahme gehört, da fehlte das (und dann gleitet diese Musik schnell ins für mich Belanglose ab). Man muss die Geschichte hören, hier war das so, das hat mich begeistert.
Ein wunderbares Konzert war das, trotz des nicht so geläufigen Programms sehr gut verkauft. Hankyeol Yoon und das Niedersächsische Staatsorchester harmonierten, brachten so diese drei Stücke zum Strahlen. Der Dirigent hatte dieses Programm kurzfristig übernommen, davon war für mich nichts zu bemerken. Es klang, als ob sich alle schon lange kannten. Gern mehr von Hankyeol Yoon!
Text: Achim Riehn
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