Dieses Konzert stellte Werke zweier österreichischer Komponisten gegenüber, Mozart und Bruckner erklangen. Der Kontrast hätte nicht größer sein können, jugendlich-überschwängliche Lebensbejahung im 4. Violinkonzert bei Mozart traf auf den großen Lebensabgesang der 9. Sinfonie von Bruckner. Lichterfülltes D-Dur stand gegen das d-Moll der Welt des Grabes und des Todes. Das funktionierte, diese zwei Weltsichten ergänzten sich auf faszinierende Weise.
Mozart fügte dem Konzert das Unbeschwerte hinzu, das in der Bruckner-Sinfonie nun wirklich nicht vorhanden ist. Anmut legte sich über Schwermut, jugendliche Frische gab dem Alterswerk Licht.
Das Niedersächsische Staatsorchester spielte unter der Leitung von Roland Kluttig, von 2010 bis 2020 Generalmusikdirektor am Landestheater Coburg, anschließend Chefdirigent der Oper Graz und der Grazer Philharmoniker. Als Solistin für das Violinkonzert konnte die niederländische Violinistin Liza Ferschtman gewonnen werden. Alle spielten so schön zusammen, harmonierten so gut miteinander, all ob sie schon jahrelang ein Team wären.
Wolfgang Amadeus Mozart schrieb sein 4. Violinkonzert D-Dur wohl im Jahr 1775, mit 19 Jahren. Es ist ein Werk voller jugendlicher Frische, Leichtigkeit und Anmut. Liza Ferschtman spielte dies mit zartem Ton im ganzen Stück, ohne lautes Auftrumpfen.
Der 1. Satz „Allegro“ beginnt mit einer Mozart-beschwingten Orchestereinleitung, so lebensbejahend geht es auch weiter. Das ist gesanglich-tänzerisch, das ist elegant, das ist energisch, herrlich wechseln die Stimmungen. Die reich verzierte Violinstimme gibt der Solistin viel Gelegenheit, ihre Kunst zu zeigen. Das alles ist jugendlich-beschwingte Musik ohne jede dunkle Seite. Liza Ferschtman spielte das mit Schwung und Frische, bezwingend klang die Kadenz. Das Wechselspiel mit dem Orchester hatte fast etwas Keckes.
Ruhig beginnt der 2. Satz „Andante cantabile“, in den Strom der Musik fällt die Solovioline fast unmerklich ein. Der Satz ist ein Zwiegesang, sehr gesanglich, mit einer meditativen Solopassage der Violine in der Mitte. Liza Ferschtman spielte die Kadenz sehr ausdrucksvoll, da war fast so etwas wie Liebesschmerz, Liebessehnsucht in der Musik zu spüren.
Der 3. Satz „Rondeau. Andante grazioso“ nimmt die Stimmung des ersten Satzes wieder auf. Sehr beschwingt geht es zu. Der Mittelteil ist schneller, die Violine tanzt turbulent-quirlig. Das endet in Kapriolen, wie ein Vogel schwingt sich die Violine empor, im Licht der Märzsonne. Mit leisen Akkorden klingt der Satz aus. Auch diesen Satz spielten Liza Ferschtman und das Orchester sehr beschwingt, ausdrucksvoll, voller Humor. Für den herzlichen Beifall bedankte sich Liza Ferschtman mit einer sehr gefühlvoll gespielten Sarabande von Bach.
Dieser Mozart war Wohlfühlmusik, das war Frühlingsmusik! Größer konnte der Kontrast zur herbstlichen Abschiedsmusik nach der Pause kaum sein.
Die dreisätzige Sinfonie Nr. 9 d-Moll ist die letzte Sinfonie von Anton Bruckner. Ein geplanter vierter Satz blieb unvollendet. Bruckner arbeitete von 1887 bis 1896 an der Sinfonie, diesem katholischen Welttheater, die Arbeit musste aufgrund des sich verschlechternden Gesundheitszustandes immer wieder unterbrochen werden. Während der Arbeiten am vierten Satz starb Bruckner mit 72 Jahren.
Der 1. Satz „Feierlich, misterioso“ beginnt mit einem geheimnisvollen Tremolo, über das sich dann feierlich die Hörner erheben. Langsam kulminiert der Beginn in einem majestätischem Thema, das mit seiner niederdrückenden Wucht und Kraft wie ein Lichtstrahl aus einer überirdischen Welt wirkt. Der Satz ist von wechselnden Stimmungen und den typischen brucknerschen Steigerungen geprägt, er ist aber nicht mehr so blockhaft an die Orgel erinnernd wie in den früheren Bruckner-Sinfonien. Die Musik ist majestätisch, ohne pathetisch zu sein. Ich musste an ein immer wieder heranbrandendes Meer als Assoziation denken. Mehrfach kehrt das Lichtstrahl-Thema in großen Steigerungen wieder. Eine gewisse Melancholie durchzieht den Satz. Bruckner liegt dem Orchester, das war in jedem Ton zu merken. Wunderbar präzise und ausdrucksvoll wurde gespielt, ganz hervorragend die Hörner.
Der 2. Satz „Scherzo. Bewegt, lebhaft – Trio. Schnell“ ist völlig anders in der Stimmung. Auf einen spukhaften Beginn folgt ein stampfender, pochender Tanz dämonischer Wesen. In der Konzerteinführung nannte Roland Kluttig das die Ankunft der apokalyptischen Reiter. Der Mittelteil des Satzes ist tänzerisch, ist das ein Sommertagsfeentanz? Schwer zu spielen ist dieses Trio in seiner zauberisch dahinhuschenden Art. Es ist fast ein bißchen unheimlich. Es sind nicht fassbare, dunkle Naturwesen, die hier tanzen. Der Satz endet dann mit einer großen Steigerung. Roland Kluttig und das Niedersächsische Staatsorchester legten so viel Energie in diesen Satz, dass er förmlich zu beben schien. Die Akkorde der apokalyptischen Reiter wurden messerscharf ausgeführt, das hatte Energie, das hatte fast Wut, das konnte fast etwas Angst machen. Hervorragend!
Der 3. Satz „Adagio. Langsam, feierlich“ beginnt ruhig, fließend, getragen. Ich wurde an den Beginn des Schlusssatzes der 3. Sinfonie von Mahler erinnert, die ich gerade in Dessau gehört hatte. Das ist Bekenntnis- und Abschiedsmusik. Ein Akkordblock erklingt, der in die Moderne hineinreicht, er drückt mich als Zuhörer in den Sitz mit seiner überirdischen Kraft. Das ist ein Schrei, der die ganze Welt aufreisst, das ist Musik, die in ein anderes Reich hineinreicht. Zum Schluss des Satzes verdämmert die Musik, sie schließt Frieden mit der Welt. Der Satz endet in Verklärung, in einer Art Elysium. Für mich ist das ein perfekter Schluss der Sinfonie, ich brauche keinen vierten Satz. Auch die Musik dieses Adagios war bei Roland Kluttig und dem Orchester in besten Händen. Es gelang ein grandioser, bewegender Abgesang. Bezwingend wurden die Kontraste herausgearbeitet zwischen den elysischen Teilen und dem „Vernichtungs-Akkord“, wie Roland Kluttig ihn in der Konzerteinführung nannte. Himmel und Hölle lagen so ganz nah beieinander, das war beeindruckend.
Der Konzerttitel „Anmut“ erschloss sich mir zwar nicht hundertprozentig, ich hätte eher „Kontraste“ gewählt. Aber das ist zweitrangig, wichtig sind ja Musik und Interpretation. Der Applaus aus dem fast ausverkauften Haus zum Schluss war lang und enthusiastisch. Die Leistungen der einzelnen Orchestergruppen wurden zu Recht bejubelt. So macht Musik Spaß! Zum Abschluss verabschiedeten GMD Stephan Zilias und Intendantin Laura Berman noch Volker Droysen von Hamilton, 2. Violine, in den Ruhestand. Schön, dass so etwas so persönlich passiert!
Achim Riehn