Der zweite Corona-Winter steht uns bevor. Für uns alle ist das eine belastende Situation. Wie geht die Staatsoper Hannover mit der Situation um? Wie sorgt sie für Sicherheit für Zuschauerinnen und Zuschauer, Ensemble und Beschäftigte? Christiane Hein, Leiterin Kommunikation und Marketing der Staatsoper Hannover, war so freundlich, mir für die GFO einige Fragen dazu zu beantworten. Vielleicht nehmen die Antworten ein bisschen die Scheu, in der augenblicklichen Situation eine Vorstellung zu besuchen.
Achim Riehn:
Wie man in der Presse lesen konnte, hat das Jahr nicht so gut angefangen für das Schauspiel und die Oper. Die Zuschauerzahlen sind niedrig. Vorstellungen fallen aus. Was sind die Hauptursachen? Ist die Zeit nach Silvester nicht grundsätzlich eine eher schlechte Zeit für die Theater?
Christiane Hein:
Die erste Januarwoche ist im Allgemeinen immer nicht so gut besucht – nach den Feiertagen, während denen der Besuch immer sehr gut ist, fällt die letzte Ferienwoche immer ab. In diesem Jahr wird dieser Trend allerdings durch die ganzen Corona-Maßnahmen verstärkt. Quer durch die Republik verzeichnen Theater, Opern- und Konzerthäuser gerade – übrigens genau wie Kinos – eine Zurückhaltung beim Kartenkauf. Wir nehmen vermehrt wahr, dass unsere Zuschauer:innen viel kurzfristiger kaufen – oder gar nicht, da die Kombination aus 2G plus Test plus Maske dann doch abschreckend sein kann. Allerdings ist es nicht so, dass wir allgemein zu schlecht besucht sind. Unsere Premiere von „Die Hochzeit des Figaro“ ist zum Beispiel ausverkauft, auch ein kurzfristig ins Programm genommener „Otello“ läuft gut und auch das Gastspiel von Aynur in der Reihe „Stimmen“ ist ausverkauft. Anders als die Zeitung suggeriert, ist also nicht der gesamte Januar schlecht in der Auslastung.
Achim Riehn:
Ist Ihr Eindruck, dass die Corona-Pandemie ganz allgemein Besucherinnen und Besucher abhält? Viele fühlen sich jetzt ja gerade bei Veranstaltungen in Innenräumen nicht wohl. Ich selbst gehöre zu den ganz Vorsichtigen. In der Oper fühle ich mich aber recht sicher. Es sind Abstände da, Maskenpflicht besteht, die Lüftung funktioniert. Könnten Sie die Kernpunkte des Hygienekonzepts erläutern? Viele Leserinnen und Leser sind bestimmt dafür dankbar.
Christiane Hein:
Uns begegnet beides – es gibt Menschen, die sehr vorsichtig agieren und im Moment möglichst wenig auf andere Personen treffen möchten. Von unseren Besucher:innen bekommen wir aber auch sehr oft die Rückmeldung, wie wohl sie sich bei uns fühlen. Dies erreichen wir durch die Kombination von 2G+, Maskenpflicht und Abstandsplätzen (und dadurch nicht voller Auslastung). Wobei man sagen muss, dass der Besuch bei uns von Anfang immer sicher war. Wir agieren dabei stets in enger Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden. Neben den bereits genannten Maßnahmen ist unser größtes Ass im Ärmel tatsächlich unsere Lüftung. Weil ich das selbst so wahnsinnig spannend und auch beruhigend finde, erlauben Sie mir, ein bisschen auszuholen: Seitdem die Klimaanlage im Opernhaus von der Firma Bioclimatic aus Bad Nenndorf installiert wurde, ist es möglich, sie sowohl mit Raumluft, als auch mit Frischluft zu fahren. Normalerweise nutzt man, um Energie zu sparen, eine Kombination. Wir fahren die Anlagen im Moment allerdings mit 100% Frischluft-Zufuhr. Bevor die Luft in den Raum strömt, wird sie erwärmt und ionisiert. Bei der Ionisation werden positive und negative Ionen (Anionen) produziert und diese an die Luft abgegeben. Die Anionen fungieren dann als „Viren-Falle“, da sie Viren in der Luft einkapseln und dadurch unschädlich machen. Diesen Vorgang nennt man „Gewitter-Effekt“ (Reinheit der Luft nach einem Gewitter). Die Luft strömt im Opernhaus aus Öffnungen unter jedem einzelnen Sitz und wird dann noch oben weggesogen. Damit hätte man auch ohne Abstand oder ohne Maske bereits eine große Sicherheit – in der Kombination ist das Klima bei uns allerdings unschlagbar.
Achim Riehn:
Führen auch Erkrankungen oder notwendige Quarantänemaßnahmen im Ensemble dazu, dass Vorstellungen ausfallen müssen?
Christiane Hein:
Auch im Betrieb auf und hinter der Bühne gelten bei uns strenge Hygienemaßnahmen. Wir haben für unsere Mitarbeiter:innen ein ausgefeiltes Hygienekonzept mit engmaschiger Testung erarbeitet. Und genau dadurch kann es vorkommen, dass Vorstellungen ausfallen müssen. So hatten wir im Dezember Corona-Fälle innerhalb der Produktion „Carmen“. Bei den Wiederaufnahme-Proben sind positive Fälle aufgefallen – durch die Testungen sind sie schnell erkannt worden und die betroffenen Kolleg:innen konnten in Quarantäne geschickt werden. Zum Glück hatten alle nur einen leichten Verlauf der Krankheit. Um einer Ausbreitung vorzubeugen, hatten wir uns schweren Herzens entschlossen, den Betrieb im Opernhaus als Vorsichtsmaßnahme für eine Woche komplett herunterzufahren. Und es zeigte sich: Es gab keine weitere Ausbreitung. Allerdings führte die Schließung dazu, dass wir „Carmen“ nicht wiederaufnehmen konnten und die Premiere von „Die Hochzeit des Figaro“ verschoben werden musste.
Ein Fall der bisher zum Glück noch nicht aufgetreten ist: Wir führen vor unseren Aufführung tagesaktuelle Pool-Testungen in Chor und Orchester durch. Bei einem Pooltest wird nicht eine einzelne Probe, sondern es werden die Proben mehrerer Personen gemeinsam (in Form einer Sammelprobe) untersucht. Fällt diese Poolprobe negativ aus, sind alle Personen, deren Probe entnommen worden ist, negativ – und wir können unbesorgt spielen. Ist jedoch ein Pool positiv, bleibt zum Schutz von Mitarbeiter:innen und Zuschauer:innen keine andere Möglichkeit, als die Vorstellung am selben Tag schweren Herzens abzusagen, denn einen ganzen Pool kann man so kurzfristig nicht mehr ersetzen.
Erschwerend kommt die Überlastung in den Laboren auf uns zu – dadurch dauern Auswertungen länger und wir bekommen die Ergebnisse knapper vor Vorstellungsbeginn.
Achim Riehn:
Ich stelle es mir in der augenblicklichen Situation schwierig vor, einen geordneten Probenplan zu organisieren. Beeinflusst das auch den Spielplan? Führt das zu kurzfristigen Umplanungen?
Christiane Hein:
Unser künstlerisches Betriebsbüro und unsere Betriebsdirektorin leisten im Moment schier Übermenschliches (wie praktisch alle Abteilungen im Haus, der emotionale Druck in dieser Zeit ist immens). Dort wird seit Beginn der Pandemie immer wieder umgeplant, neu geplant, anders geplant, wieder von vorne begonnen. Die Staatsoper ist ein riesiger Kosmos, in dem sehr viele Vorgänge ineinander greifen. Jede neue Verordnung stellt uns vor neue Herausforderungen – im Umgang mit dem Publikum und in der internen Organisation. Wir versuche möglichst, dass Änderungen langfristig bekannt sind, wobei die Auffassung, was langfristig ist, sich in den letzten Monaten sehr gewandelt hat.
Achim Riehn:
Eine Vorstellung mit zu wenigen Menschen im Zuschauerraum ist für alle kein Vergnügen. Ab welcher Belegung entschließen sie sich, eine Vorstellung abzusagen? Mit wieviel Vorlauf entscheiden sie das?
Christiane Hein:
Ich habe an allen Häusern, an denen ich bisher gearbeitet habe die Erfahrung gemacht, dass man spielt, wenn mehr Zuschauer:innen im Publikum sitzen, als Menschen auf der Bühne im Einsatz sind. Das ist natürlich eine sehr vage Zahl und wir haben intern eine Marke von 100 Zuschauer:innen. Diese Marke ist bei allen anstehenden Vorstellungen im Januar längst überschritten. Wir vermeiden kurzfristige Absagen auch, um das Publikum nicht noch mehr zu verunsichern.
Achim Riehn:
Wie handhaben Sie es mit schon gekauften Karten bei Verlegungen? Ich z. B. hatte für das Neujahrskonzert im Dezember Karten gekauft. Dann durften wegen der verordneten „Weihnachtsruhe“ des Landes nicht mehr so viele Plätze besetzt werden und ich bin „rausgefallen“ (zuletzt gebucht, Pech gehabt). Später sah ich, dass es doch wieder Karten gibt und habe wieder zugeschlagen. Ich bin internetaffin, da war das machbar – aber so etwas entmutigt bestimmt einige.
Christiane Hein:
Das Neujahrskonzert hat uns wirklich Kopfzerbrechen bereitet. Mit Ausrufung der Warnstufe 3 als „Weihnachtsruhe“ sahen wir uns plötzlich mit einer Deckelung der Kapazitäten auf maximal 500 Besucher:innen konfrontiert. In beiden Aufführungen des Neujahrskonzert waren allerdings bereits mehr Karten verkauft. Es gibt Häuser, die dann über ein Losverfahren entschieden haben, wer seine Karten behalten darf. Wir haben uns dafür entschieden, diejenigen zu belohnen, die sich frühzeitig gekauft haben – an dieser Stelle kann man leider nicht alle glücklich machen. Hinzu kam dann allerdings noch, dass wir das Publikum umplatzieren mussten. Denn während wir bis dahin jeden Platz verkaufen konnte, mussten nun Abstandsplätze eingerichtet werden. Dies führte dazu, dass einige Besucher:innen dann von sich aus ihre Karten zurückgegeben haben. Hinzu kamen dann noch zurückgegebene Karten wegen Erkrankung – und plötzlich waren kurz vor Neujahr wieder Karten zu haben. Wir haben dann überlegt, diejenigen anzuschreiben, die wir ausladen mussten. Aber stellen Sie sich mal vor: Sie haben Karten gekauft – müssen diese wieder zurück geben – bekommen dann die Info: Es gibt wieder welche, besorgen sie sich schnell neue Plätze – sie kommen ein bisschen zu spät, denn es handelt sich nur um 30 Karten – und sie hören wieder: zu spät. Das erschien uns zu deprimierend… aber ich habe das Gefühl, man kann in diesen Situationen fast nie für alle „richtig“ agieren. Wir geben aber jeden Tag wieder unser Bestes.
Achim Riehn:
Man muss ja immer das Gute im Schlechten suchen. Gibt es etwas Gutes, wenn Vorstellungen ausfallen? Die große Bühne ist dann ja zum Beispiel frei für Proben.
Christiane Hein:
Das stimmt! Durch den Wegfall von „Carmen“ können wir überhaupt nur die Premiere von „Die Hochzeit des Figaro“ halten. Aber das ist nur ein kleiner Trost. Interessanter fand ich da, dass wir zu Beginn der Pandemie keine großen Produktionen machen konnten – und stattdessen zum Beispiel so spannende Inszenierungen wie „Trionfo“, „Greek“ oder „The Turn of the Screw“ ihren Weg auf die große Bühne fanden. Das wäre ohne die Pandemie sicher nicht geschehen.
Achim Riehn:
Haben Sie einen Wunsch an uns Operninteressierte in dieser Zeit?
Christiane Hein:
Kommen Sie! Ich kann guten Gewissens sagen, dass der Besuch bei uns problemlos möglich ist. Und die Stimmung im Publikum ist im Moment sehr besonders. Wenn wir im Moment mit 500 Plätzen ausverkauft sind, herrscht eine Stimmung, die sonst 1200 Besucher:innen nicht erreichen. Die Freude, die der Opern-, Ballett- oder Konzertbesuch in dieser Zeit bringt, ist unendlich wertvoll. Mein besonderer Tipp: Ab 28. Januar zeigen wir wieder „The Turn of the Screw“ – großartige Sänger:innen und pures Gänsehaut-Feeling in schwarz/weiß.