Dieses Eröffnungskonzert im trotz des Sommertags sehr gut besetzten Opernhaus schaffte es wieder, mich sofort für die neue Saison zu begeistern. Laura Berman sagte in ihrer wie immer vor Begeisterung überquellenden kleinen Eröffnungsrede, dass es diesmal kein Motto für die Spielzeit gibt. Aber alle neuen Stücke handeln davon, wie wir zusammen leben können und wollen. Sie ging in diesem Zusammenhang auch kurz auf die antisemitische Mail ein, die sie erhalten hatte. So wollen wir nicht miteinander leben, viel Beifall gab es dafür. Durch das Programm führten dann mit jeweils kurzen, treffenden Beiträgen Regine Palmai, Sophia Gustorff und Daniel Menne aus dem Dramaturgenteam. Wir erlebten dann Momente herausragender Gesangs- und Orchesterkunst.
Endlich mal Bellini! Belcanto in seiner schönsten Ausprägung, dieser Komponist steht viel zu wenig im Fokus. Wagner ließ auf ihn nichts kommen, das sagt viel über die Qualität dieser Musik aus. Zu hören waren im Konzert Ausschnitte aus „I Capuleti e i Montecchi“. Der neue zweite Kapellmeister Masaru Kumakura dirigierte diese Musik mit ihren fast endlosen Melodiebögen mit klarer Eleganz. Schon die Ouvertüre der Oper erwies sich als schwungvolles, vor Melodien überquellendes Glanzstück und vermochte mich sofort für diese Oper zu begeistern. Das neue Ensemblemitglied Meredith Wohlgemuth gestaltete dann die Arie der Giulietta „Oh! Quante Volte“ mit sehr klangschöner und präzise geführter Stimme. Voller Emotion leuchtete ihre Stimme. Meredith Wohlgemuth (sie hat vor kurzem den Gesangswettbewerb der MET gewonnen) ist ein Gewinn für unsere Oper. Ich freue mich darauf, sie auf der Bühne zu erleben, und sage ihr eine große Karriere voraus. Nina van Essen und Marco Lee feindeten sich dann im Duett „Stolto, A un sol mio grido“ als Romeo und Tebaldo an. Das hatte Feuer! Nina van Essens warmer und lyrischer Mezzo hat inzwischen an dramatischer Ausdrucksstärke noch zugelegt, eine spannende Entwicklung! Ich bin froh, dass sie bei ihrem Potential noch immer fest zu unserem Ensemble gehört. Marco Lees strahlender Tenor war dazu die perfekte Ergänzung.
„Parsifal“ von Wagner ist zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder an der Staatsoper Hannover zu erleben. Im Konzert hörten wir die Verwandlungsmusik und die Szene des Amfortas „Nein! Lasst ihn unenthüllt“. Michael Kupfer-Radecky singt in der Inszenierung den Amfortas“ und kurzfristig eingesprungen auch den Klingsor. In dieser Szene zeigte er alle seine Qualitäten: durchsetzungsfähige, klangschöne Baritonstimme, zu jeder emotionalen Facette fähig, dabei absolut textverständlich. Ich liebe es, wenn jedes Wort zu verstehen ist! Man versteht sofort, warum er immer wieder nach Bayreuth eingeladen wird. Stephan Zilias gestaltete diese Musik mit dem Niedersächsischen Staatsorchester sehr durchsichtig. Wagner verliert so alle Schwere und das ist herrlich!
Eine Uraufführung gibt es in der neuen Spielzeit auch. Für die Staatsoper Hannover hat Jherek Bischoff das Stück „Kasimir und Karoline“ von Ödon von Horváth in ein Musical verwandelt. Sophia Euskirchen, die Sängerin der Karoline, war plötzlich erkrankt. Wie bekommt man kurzfristig Ersatz für Musik, die noch niemand je zuvor gehört und gesungen hat? Der Oper war da aber ein Coup gelungen. Die Musicalsängerin Kristina Love, Darstellerin der Tina Turner im gleichnamigen Musical, konnte einspringen und hatte zwei Songs innerhalb von kürzester Zeit gelernt. Zuerst sang sie das Lied der Karoline „Zu schwer zueinander“. Das war intim, klangschön, eine Mischung aus Musical und Minimal Music. Philipp Kapeller aus dem Ensemble sang dann das Lied „Einfach einfach“ des Eugen Schürzinger. Musical traf sich hier mit Wiener Schmäh und Witz. Philipp Kapeller mit seiner höhensicheren Stimme und immer dem Schalk in der Stimme ist hier eine ideale Besetzung. Maxim Böckelmann dirigierte wie gewohnt präzise, nach diesem Lied unterbrach er und wandte sich an das Publikum. Es gab Probleme mit den Einspielungen zu den Songs. Sie ließen sich dann nicht schnell beheben und spontan wurde das Problem gelöst: der dritte Song kommt nach der Pause. Und da klappte es dann auch. Kristina Love sang „Im Austro-Daimler ins Altötting“. Der Sound klang nun ein bisschen elektronischer hinterfüttert, Der Song hatte Klasse und Witz, Kristina Love begeisterte mit ihrer klangreichen Stimme. Ich bin nun sehr gespannt auf dieses Musical (oder ist es doch eine Operette?), das könnte ein klangschöner, mitreißender Renner werden!
Weiter ging es mit Ausschnitten aus „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck, aus der Musical-Moderne hinein in die Klassik. Bei dieser Oper bin ich auch auf die Inszenierung gespannt, die Oper und Ballett vereinigen wird. Die Musik lohnt auf jeden Fall den Besuch. Masaru Kumakura präsentierte sie im besten Licht. Nina van Essen sang die traurig-melancholische Arie „Chiamo il mio ben così“ des Orfeo. Wieder zeigte sie ihre große Fähigkeit, aus Noten pure Emotion zu machen, Musik zu gestalten, zu einem Ereignis zu machen. Das Duett „Vieni, appaga il tuo consorte!“ des Orfeo und der Euridice vereinte dann ihre Stimme in perfekter, bezwingender Schönheit mit dem leuchtenden Sopran von Meredith Wohlgemuth. Das sind zwei Stimmen, die sich fast ideal ergänzen. Ich freue mich darauf, das auf der Bühne zu erleben.
Aus der Klassik führte uns das Programm dann hinein in die Moderne. „Lear“ von Aribert Reimann ist einer der Gipfelpunkte der Musik des ausgehenden Zwanzigsten Jahrhunderts. Es zeichnet das Niedersächsische Staatsorchester aus, dass es innerhalb von Minuten diese Welten wechseln und sowohl Klassik als auch Moderne perfekt kann. Michael Kupfer-Radecky sang den großen Schlussmonolog „Weint! Weint!“ des Lear. Das ist Musik, die mit erschreckender Wucht und Emotionalität über uns hereinbricht, bevor sie dann in einem fast impressionistischen, von Glockenklängen durchsetzten Klangteppich vergeht, oder besser verglüht. Wieder war jedes Wort zu verstehen, ganz großartig. Durch Michael Kupfer-Radeckys bewegende Interpretation war es fast unmöglich, sich der Emotionalität dieser Szene zu entziehen. Das ist moderne Musik, ja, aber es ist hochgradig sinnliche Musik. Das sollte man sich nicht entgehen lassen, auch wenn man dieser Art von Musik fremdelnd gegenübersteht. Allerdings muss das so quellwasserklar, rein und durchsichtig gespielt werden wie hier durch das Niedersächsische Staatsorchester unter Stephan Zilias! Hier war wirklich jede Nuance herauszuhören und so klang Moderne wirklich wie emotionale, mitreißende Musik.
Einige sagen, die „Messa da Requiem“ von Giuseppe Verdi sei dessen schönste Oper. Ganz ist das nicht von der Hand zu weisen, das Stück quillt über vor Melodien und Emotionen. Das Requiem wird in der kommenden Saison nicht im Konzert aufgeführt, sondern inszeniert auf die Bühne gebracht. Im Konzert hörten wir zwei Ausschnitte. Zuerst erklang das „Recordare“, in dem sich der dramatische Mezzo von Monika Walerowicz und der feuerglühende Sopran von Barno Ismatullaeva (nach Meinung vieler Kritiker auf dem Weg zum Weltstar) in idealer Weise ergänzten. Im „Offertorio“ kamen dann noch der leuchtende Tenor von Marco Lee und der raumfüllende Bass von Markus Suihkonen dazu. Große Klasse! Es ist wunderbar, diese erstklassigen Sängerinnen und Sänger im Ensemble zu haben! James Hendry dirigierte mit Verve und Präzision.
Das Publikum reagierte mit Begeisterung. Als Zugabe gab es das herrliche Sextett aus „Lucia di Lammermoor“ von Donizetti. Das war ein großer Abend, der in jedem Moment die Qualität der Sängerinnen, Sänger und Musiker bewies. Wer Sängerinnen und Sänger auf dem Weg zur absoluten Spitze erleben will, der sollte Vorstellungen der Staatsoper Hannover besuchen und kann später sagen „Ich bin dabeigewesen!“.