Richard Wagners „Parsifal“ ist ein Mysterium, das den Sinn des menschlichen Lebens und Zusammenlebens hinterfragt. Wagner wollte etwas Besonderes schaffen und wählte daher den Namen Bühnenweihfestspiel als Gattungsbezeichnung. Es geht um philosophische „letzte Fragen“, weniger um Operndramatik.
Fünf Stunden (mit den Pausen) dauert das Stück, es stellt ein Opernhaus vor wirklich große Herausforderungen. Vielleicht hat es daher so lange gedauert: „Parsifal“ ist vor vierzig Jahren zuletzt in Hannover inszeniert worden. Es gibt bis zu 220 Mitwirkende, sehr viel Chor, ein Teil des Chores singt aus dem Chorsaal und wird in den Zuschauerraum übertragen. Es ist eine Herausforderung für das ganze Haus, alle Kräfte müssen gebündelt werden.
Auch für das Publikum ist das eine Herausforderung, aber auch hier hatte sich die Staatsoper viel Mühe gegeben. Eine Kunstausstellung in den Foyers, Yoga in der ersten Pause, kulinarische Angebote – Oper wurde hier zum Gesamtkunstwerk, ganz im Sinne Richard Wagners.
Für die Inszenierung konnte der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson gewonnen werden. Er ist 2018 für seine Inszenierung der „Edda“ am Schauspielhaus Hannover mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet worden. Im nächsten Jahr wird er in Bayreuth den „Tristan“ auf die Bühne bringen. Seine bildmächtige Inszenierungssprache liess auch für den „Parsifal“ viel erwarten, diese Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Das Regieteam denkt den Stoff nicht neu, zum Glück, es deckt die Bedeutung für die heutige Welt auf. Die starken Bilder der Inszenierung erlauben es dem Publikum, Verbindungen zur Gegenwart herzustellen. Dieser „Parsifal“ ist uns so nicht fremd, er trift mit Wucht auf unsere eigene Erlebniswelt.
Stephan Zilias am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters war der Reiseführer durch diese musikalische Welt und leitete Orchester, Solistinnen, Solisten, Chor, Extrachor und Kinderchor sicher und sensibel durch diese weihevolle und doch so gegenwärtige Welt.
Richard Wagner komponierte den „Parsifal“ 1882, es ist sein letztes Werk. Er nannte das Werk ein Bühnenweihfestspiel, es sollte ausdrücklich keine herkömmliche Opern-Unterhaltung sein. Viel Handlung hat es nicht. Wagner hat für das Stück eine ganze philosophische Weltanschauung entworfen und ist dafür tief in eine Mythenwelt eingetaucht. „Parsifal“ erzählt von der priesterlichen Gesellschaft der Gralsritter, deren Welt nicht mehr funktioniert. Sie wiederholen Rituale, die erkennbar nicht mehr zum Guten führen. Sie sehen das selbst, finden aber keinen Weg aus dieser Sackgasse heraus. Sie hoffen nur noch auf Rettung durch einen Erlöser.
Im ersten Aufzug wachen die Gralsritter unter der Führung ihres Königs Amfortas über die Reliquien Christi, den ihn durchbohrenden Speer und den heiligen Gral, der am Kreuz sein Blut auffing. Der verstoßene Gralsritter Klingsor aber hat mit Hilfe der Zauberin Kundry den Speer entwendet und Amfortas verwundet. Die Wunde will nicht heilen und Amfortas kann nur noch unter Qualen die Rituale vollziehen, zu denen ihn sein Vater Titurel ermahnt. In diese Welt kommt nun der unwissende Knabe Parsifal herein. Der Gralsritter Gurnemanz glaubt, in ihm den ersehnten Erlöser zu sehen. Aber Parsifal versteht nicht, was er sieht und er weiß nicht, die richtigen Fragen zu stellen. Gurnemanz verjagt ihn von der Gralsburg.
Im zweiten Aufzug sind wir im Zaubergarten Klingsors, in dem Blumenmädchen die Gralsritter verführen. Kundry wird gezwungen, den nun erwachsenen Parsifal in Versuchung zu führen. Aber er verweigert sich ihrem Kuss und erkennt in der Versuchung die Ursache für das Leiden von Amfortas. Kundry verwünscht Parsifal, er werde die Gralsburg nicht mehr finden. Klingsor wirft den Speer nach Parsifal, aber der fängt ihn auf und gewinnt ihn so zurück. Der Zaubergarten verschwindet.
Im dritten Aufzug findet Parsifal nach langen Jahren gereift zur Gralsburg zurück. Er hat gelernt, sich dem Leid mitleidsvoll zuzuwenden und sich des Leids der Menschen anzunehmen. Gurnemanz erkennt den heiligen Speer und salbt Parsifal zum neuen König. Parsifals erste Handlung ist die Taufe Kundrys, der er so vergibt und die er so erlöst. Dann legt er den Speer in die Wunde des Amfortas und schließt sie so. Die Welt der Gralsritter ist erlöst.
Über diese nicht sehr dramatische Handlung hat Wagner eine Musik gelegt, die vor Emotionen bebt. Das ist groß besetzt, mystisch, voller Klangzauber, neben dieser Wucht ist die Musik aber auch unendlich fein, zart und filigran.
In der Kostprobe zu dieser Inszenierung sagte der Regisseur, dass sich das Thema dieser Oper für ihn als ein unheimlich tiefer Einblick in die menschliche Seele erwies. Die Hoffnung auf Erlösung ist da, sie ist notwendig, aber ebenso ist für ihn in dem Werk eine große Skepsis spürbar. Rettet die Erlösung des Stückes die Welt oder ist alles so wie am Anfang, nur anders schlimm?
Die Inszenierung lenkt die Aufmerksamkeit auf den Kern des Werks: Gibt es Hoffnung, wenn die Welt am Ende ist? Was ist zu tun, wenn man sich nicht mehr auf gemeinsame Grundwerte einigen kann und sich feindlich und ohne den Willen zur Verständigung gegenübersteht? Was ist, wenn dieses Gegeneinander den Bestand der Welt gefährdet? Wagner hinterfragt unser menschliches Miteinander mit den Mitteln der Kunst. Im Zentrum des Stücks steht das Mitleid, darauf wartet die Welt. Die Inszenierung versucht, aus den Mythen das herauszufiltern, was uns heute betrifft: Wie wollen wir miteinander leben?
Thorleifur Örn Arnarsson überfrachtet das Stück nicht mit einer eigenen Erzählung. Er verzichtet bewusst auf dekorative Anklänge an die Entstehungszeit des Werks und lenkt unseren Blick auf die wesentlichen Elemente. Die vage christliche Gesellschaft der Gralsritter ist eine Gesellschaft, die die Hoffnung verloren hat, dass es überhaupt noch eine Hoffnung geben könnte. In dieser Welt taucht ein unschuldiges Kind auf. Und was tun die Ritter? Sie weisen ihm Schuld zu. Da ist keine Hoffnung mehr, kein Glaube an die Prophezeiung, diese Welt fällt zusammen.
Dieser Parsifal ist bei Arnarsson nicht nur der naive Tor, er durchläuft bei ihm ein ganzes Menschenleben der Entwicklung: ein Junge im ersten Akt, ein Mann im zweiten Akt, im dritten Akt schließlich ein Greis. Zwei Statisten übernehmen die Rolle des Knaben und des Greises und werden vom Sänger des Parsifal wie in einem Kommentar begleitet.
Bühnenbildner Wolfgang Menardi setzt dies hinein in eine zerstörte, dystopische Welt am Ende, die mich in der Stimmung an den Film „Blade Runner“ erinnert. Der von Richard Wagner beschworene Mythos und das mögliche Ende der Welt (unserer Welt?) überlagern sich so und kommentieren sich dadurch. Die Kostüme von Karen Briem und Andri Unarsson nehmen das auf und kombinieren ebenfalls Mythos und Zerstörung. Es mussten kaum neue Stoffe angeschafft werden, auf Kostüme aus dem Fundus wurden erhitzte und dadurch zerschmolzene Stoffreste aufgenäht. Die Kostüme erinnern so an eine mythische Welt, die mit an Wunden erinnernden Fetzen überzogen ist.
Der erste Aufzug legt den Keim für die ganze Geschichte, eine Inszenierung muss das unterstützen. Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und Bühnenbildner Wolfgang Menardi gelingt das aus meiner Sicht überzeugend. Die Welt der Gralsritter zeigt das, was sie tun. Sie beuten die Natur aus, so wie wir es heute auch tun. Es ist offensichtlich, dass die Rituale nicht mehr funktionieren. Wir sehen eine tote, verbrannte, ausgelaugte Welt am Ende. Etwas Schreckliches ist geschehen mit dieser Naturwelt, hat sie in schwarzen und weißen Farben erstarren lassen, sie mit technisch kalt wirkenden Details überzogen. Die Assoziation zu unserer heutigen Welt mit ihrer Naturzerstörung war für mich deutlich spürbar. Abgebrannte, verkohlte Baumrümpfe ragen wie Skelette aus einem schwarzen, lavaartigen Boden. Es könnte sein, dass in diesen Boden die Körper großer Tiere hineingeschmolzen sind, es ist nicht eindeutig zu erkennen. Die Ritter tragen offenbar deren Hörner. Aber auch dieser Schmuck ist schon teilweise beschädigt.
In der Mitte findet sich ein Becken, wie ein Überbleibsel aus einer Fabrik, gefüllt mit einer undefinierbaren Flüssigkeit. Das Wasser in dieser düsteren Version eines Taufbeckens scheint so vergiftet zu sein wie die Welt ringsum. Rund um das Podest unter dem Becken läuft ein Leuchtband, vielleicht ein technisches Relikt aus einer noch funktionsfähigen Vergangenheit. Es sind leuchtend rote Worte, die da unablässig ablaufen, die Grundregeln des Bundes. Immer stärker dominiert das Wort „obey“: Gehorche! Freiheit gibt es nicht bei diesen Regeln, es sind alles Befehle. Kann es Erneuerung geben, wo die Freiheit fehlt? Neben dem Becken steht eine Art Weltzeituhr, auf der die Zeit abläuft.
Das Becken füllt sich, indem die Ritter die toten Bäume (und sich?) zur Ader lassen. Müde und ausgelaugt kreisen die Gralsritter um dieses Becken, vollziehen mit der Flüssigkeit ihre rituellen Waschungen. Es bleibt unklar, ob sie sich damit nur noch vergiften. Geschaffen, um Rettung und Heilung zu bringen, kann diese Gesellschaft ihren Zweck nicht mehr erfüllen.
Wenn im wichtigsten Ritual der Ritterschaft der Gral enthüllt wird, dann wird im Hintergrund eine grell leuchtende Platte emporgezogen. Die Intensität dieses Grals pulsiert wie ein ganz langsames Herz. Das blendende Licht wirkt wie ein Tor in eine überirdische, strahlend helle Welt, die so ganz anders ist als das tote Szenario auf der Bühne. Aber auch dieses überirdische Licht stärkt die Gralsritter nur kurz, die Erschöpfung kehrt schnell zurück. Die erprobten Mittel der Vergangenheit funktionieren nicht mehr. Thorleifur Örn Arnarsson zeichnet dies alles in präzisen, detailverliebten Bildern.
Da das System von innen heraus nicht mehr zu retten ist, richten sich alle Hoffnungen auf einen Erlöser. Ein leuchtender Rahmen fasst das Bühnenbild ein, davor gibt es einen schmalen Außenraum. Von hier betritt Parsifal das Geschehen. Er bringt den geschossenen Schwan herein, der sich dann als knabenhafte Inkarnation von Parsifal entpuppt. Dieser agiert dann szenisch, während der Sänger (Marco Jentzsch) mehr abseits bleibt. Der Erlöser schaut von außen hinein in dieses gerahmte Bild, in diese zu rettende Welt.
Der Regisseur nutzt dies auch geschickt, um die Handlung des langen und szenisch statischen ersten Akts aufzulockern. So ist die erste Begegnung von Parsifal und Kundry ein Ansehen von einer Seite zur anderen Seite vor dem Rahmen und lässt so schon ihre Begegnung im zweiten Aufzug ahnen. Parsifal und Kundry erkennen sich von Anfang an als etwas Besonderes – nur sie können offenbar außerhalb des Rahmens sein. Ihre Faszination füreinander zieht sich durch die ganze Inszenierung. Dass Irene Roberts, die Sängerin der Kundry, zum Schluss des Aufzugs als Stimme aus der Höhe die Worte der Prophezeiung „Durch Mitleid wissend, der reine Tor“ wiederholt, passt perfekt dazu.
Gleich zu Beginn des zweiten Aufzugs funktionierte die Bühnenmechanik nicht und es musste nach einer kurzen Unterbrechung neu gestartet werden. Dies passierte kurz nach Klingsors „Die Zeit ist da!“ – aber wir wissen ja alle, dass Klingsors Zauber nicht funktionieren.
Auch Klingsors Welt ist nur geprägt als Anti-Idee, seine weiße Welt ist kein neuer Entwurf. Nichts von Zauber ist zu spüren, der Zauber ist nur eine Lüge. Die Blumenmädchen sind in merkwürdig nonnenhafte Kostüme gekleidet, die Nacktheit und Verführung nur vortäuschen. Auch hier beherrschen Befehle wie „obey“ die Welt. Wie in Trance schreiben die Blumenmädchen sie an die weiße Wand. Auf dem Leuchtband laufen unverständige Zeichen, die Blumenmädchen schreiben korrekte Befehle, aber ohne Sinn und Verstand, sie überschreiben sich gegenseitig. Nein, dies ist kein Gegenentwurf, dies ist eine verzerrte, scheinbar helle Variante der Welt des ersten Aufzugs. Diese Spiegelung wird noch dadurch verstärkt, das Michael Kupfer-Radecky sowohl den Amfortas als auch den Klingsor singt. Beide Welten sind eine Welt und kein Bewohner hat ein Konzept zur Rettung.
Die Verführerin Kundry gehört offenbar nicht richtig dazu, das wird hier noch deutlicher klar als im ersten Akt. Ihre Figur wird nun durch eine Tänzerin gedoppelt, die im Hintergrund auf einem hohen Podest steht und zu entkommen versucht. Parsifal und Kundry, beide werden in dieser Inszenierung gedoppelt, beide stehen außerhalb dieser Welt ohne Hoffnung. Verkörpern sie zwei Konzepte für einen Ausweg, einer dunkel, einer hell?
Das Zusammentreffen dieser beiden Systemsprenger ist dann auch der alles entscheidende Moment. Kundry küsst Parsifal und alles verändert sich. Parsifal gewinnt die entscheidende Erkenntnis: Erwidert er den Kuss, so wird er wie Amfortas werden, wird die Welt nicht verändern können. Er verweigert sich und die Welt kann nun vielleicht eine neue Richtung nehmen. Ich habe einen so zentralen Moment selten so klar und einleuchtend empfunden wie in dieser Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson. Für mich steht fest: nur zusammen haben Parsifal und Kundry die Chance, diese Welt zu retten. Es geht nur, wenn das Helle und das Dunkle irgendwie zusammenkommen und etwas ineinander auslösen. Wenn Parsifal dann den Speer fängt, erscheint im Hintergrund der Gral. Die Welt gerät aus den Fugen, die Zahlen der Weltzeituhr springen wild hin und her. Zum Raum wird hier die Zeit.
Im dritten Aufzug ist die Gralswelt zuende, erstarrt. Wir sehen eine Tabula Rasa-Welt, mit verstreuten Relikten der ersten beiden Akte. Parsifal kommt nach langer Irrfahrt zurück zur Gralsburg, nun ein alter Mann, wieder gedoppelt auf der Bühne. Als er zum Gralskönig geweiht wird, startet die Weltzeituhr neu. Das Becken wird mit frischem Wasser gefüllt. Bühnenarbeiter bauen beim Gang Parsifals zur Gralsburg auf offener Bühne die Symbole beider Welten, der Gralswelt und der Klingsor-Welt, ab. Arnarsson deutet so einen Neubeginn an. Hoffnung besteht, wenn wir die Mauern zwischen den Welten abreißen. Parsifal übernimmt die Wunde von Amfortas, indem er sich selbst sticht und erlöst Amfortas so. Der Gral sinkt aus dem Himmel herab und versinkt in der Erde. Wird er der Erde neues Leben geben?
Aber ist das ein richtiger Neuanfang? Ist es vielleicht nur ein „mit besten Intentionen alles schlimmer machen“? So ist es auch in unserer heutigen Welt, so ist unser Umgang mit der Natur. Das ist der Zwiespalt in uns allen. Mit Schuldzuweisungen ist nicht geholfen. Parsifal versucht wenigstens einen Neuanfang. Das Thema des Werks ist damit bestürzend aktuell. Die schönste Musik schreibt Wagner zum brutalsten Libretto, so Thorleifur Örn Arnarsson.
Auch für Kundry hat Arnarsson eine Lösung. Sie überlebt das Geschehen, stirbt nicht nach ihrer Taufe. Sie führt Parsifal am Ende in seinen drei Inkarnationen auf die Bühne. Im Schlussbild wirkt das fast so wie eine Familie. Die beiden systemsprengenden Personen (und Prinzipien) sind vereint. Gelingt ihnen eine neue Welt? Kann das funktionieren? Das bleibt uns überlassen, die Oper endet hier. Sie gehen auseinander, zu verschiedenen Seiten verlassen sie die Bühne. Das überirdische Gralsfenster bleibt offen, der leuchtende Rahmen der Bühne strahlt hell und zieht uns so ins Bild. Der junge Parsifal bleibt allein auf der Bühne und schaut uns an. Wir sind für die Weltzerstörung und die Zukunft verantwortlich und es bleibt offen, ob wir erlöst werden können.
Beglückend war das alles auch, weil wir musikalisch und gesanglich dazu noch mit erstklassigen Leistungen beschenkt wurden. Dieses war die zweite Aufführung, das Premierenfieber war geschwunden.
Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Stephan Zilias gestaltete diesen musikalischen Rausch sehr fein, außerordentlich transparent, mit hoher Klangkultur. Dass diese Musik so durchsichtig sein kann, das war schon erstaunlich. Nie ging dabei die Spannung in den großen Melodiebögen verloren. Das war Musik wie ein gigantischer Regenbogen, leuchtend und klar. Immer waren alle Klangfarben herauszuhören, nie war es einfach nur laut und großsprecherisch. Die Musik geriet zu einem großen lyrischen Fluß, voller Farben. Ein größerer, spannenderer Kontrast zur Dunkelheit der Szene war kaum denkbar. Ein Richard Wagner der Feinheit, so, wie es sein soll und so oft nicht ist.
Stephan Zilias breitete den Sängern einen Zauberteppich aus, auch sängerisch war dies ein großer Abend. Die Textverständlichkeit bei allen Hauptpersonen war dazu erstaunlich und beeindruckend wie selten erlebt, ich verstand jedes Wort!
Parsifal Marco Jentzsch hat eine helle, strahlende Tenorstimme, die manchmal so elegant wie aus einer Rossini-Oper klingt, die aber durchaus auch heldisch leuchten und zupacken kann. Das passte sehr gut zu Parsifal, dem reinen Toren, dem Unschuldigen, dem Gereiften.
Michael Kupfer-Radecky meisterte seine Doppelrolle als Amfortas und Klingsor mit Bravour. Das war teilweise fast unfassbar intensiv. Hier konnten wir einen Sänger und Darsteller erleben, der seine Rollen perfekt ausfüllte und seine große Erfahrung in jeder Sekunde ausspielte. Er gestaltete diese Rollen nicht, er war Amfortas, war Klingsor. Nicht nur reiner Wohlklang, sondern auch scharfe Töne, wo das angemessen war. Großartig!
Irene Roberts gestaltete Kundry nicht als wilde Furie, sondern als eine emanzipierte Frau, das gefiel mir gut. Ihre Stimme, warm und verführerisch ist eine Stimme von Weltklasse. Das war Glut, das war Verführung, das war gesungene Bedrängnis, das hatte Durchschlagskraft, hervorragend.
Die umfangreiche Rolle des Gurnemanz wurde von Shavleg Armasi darstellerisch souverän gespielt und mit klarer, deutlicher Stimme gesungen. Hier war in jedem Ton der Ritter spürbar, der das Gute und die Erlösung herbeisehnt und der doch schon fast verzweifelt ist.
Auch die kleineren Rollen spielten und sangen auf hohem Niveau. Titurel (Daniel Eggert), die Gralsritter (Philipp Kapeller, Markus Suihkonen), Knappen (Ketevan Chuntishvili, Freya Müller, Marco Lee, Pawel Brozek) und die Blumenmädchen (Ketevan Chuntishvili, Meredith Wohlgemuth, Marta Wryk, Mercedes Arcuri, Dahye Kang, Freya Müller) – es ist fast schon Luxus, wie gut selbst diese kleinen Rollen hier besetzt waren.
Hervorgehoben werden muss auch die bravouröse Leistung von Chor, Extrachor, Kinderchor, Bewegungschor, Statisterie der Staatsoper Hannover und der Tänzerin Eleanor Freeman. Sie trugen mit ihren starken Auftritten viel zum guten Eindruck dieser Inszenierung bei. Verdient gab es lang anhaltenden, tosenden Beifall für alle, in den sich auch Bravos mischten.
Es hat mich beeindruckt, wie tief Thorleifur Örn Arnasson in das Werk eingedrungen ist, wie stark er sich ohne plakatives Aufgreifen aktueller Themen auf die Gegenwart bezieht. Ein eindrückliches Bühnenbild, ein spannendes Spiel mit Licht und Dunkelheit, ein Ende zum Nachdenken: Das kommt für mich einer perfekten Wagner-Inszenierung schon sehr nahe. Allerdings muss man mit offenen Augen, Ohren und offenem Herzen dabei sein. Wer mehr an seinem Pausenbier interessiert ist, der ist hier meiner Meinung nach am falschen Platz.
Nach dem Probenbesuch hatte ich noch gemutmaßt „Das wird ein Blick in eine Welt, die die Hoffnung verloren hat“. Intendantin Laura Berman hatte mir daraufhin geschrieben, dass ich es sehen werde: „Es endet sehr hoffnungsvoll!“ Und irgendwie hat sie Recht! Wir können hier einen Opernabend erleben, der musikalisch stark ist, dessen Inszenierung in die Tiefe geht und der uns mit ein bißchen Hoffnung hinausgehen lässt in die dunkle Welt.