Dieser Probenbesuch war etwas ganz Besonderes. Ganz exklusiv gab es diese Gelegenheit nur für GFO-Mitglieder, dazu noch kostenfrei! Wenn das kein tolles Argument dafür ist, Mitglied zu werden! Im Probenraum an der Bultstraße fand diesmal eine Registerprobe statt. Bestimmte Instrumentengruppen proben ihr Zusammenspiel unabhängig von den anderen Instrumenten. Im Februar hat die Oper „Lear“ von Aribert Reimann Premiere.
Allein schon der Zugang zu diesem Probenraum hat etwas von einem Geheimnis …
Auf einem etwas dunklen Hof gibt es eine unscheinbare Tür, dahinter ein kleines Ganglabyrinth, dann erreicht man über Treppen das Foyer des Probensaals. Wir fanden Platz hinter dem Orchester, gleich hinter den bei dieser Probe frei bleibenden Plätzen für die Blechbläser.
Nach und nach kamen die Musikerinnen und Musiker herein, leger gekleidet, miteinander plaudernd. Auch Stephan Zilias kam so leger und wie immer freundlich lächelnd herein. Er begrüßte das Orchester und dann auch uns. Er erläuterte für uns diese Probe: Es war der erste Probentag, alles im Zusammenspiel war für alle noch neu. Der „Lear“ ist ein sehr schweres Stück, teilweise hat jedes Streichinstrument eine eigene Stimme. Die Oper wurde 1978 uraufgeführt und hat es als eine der wenigen Opern des späten 21. Jahrhunderts ins Repertoire geschafft.
Stück für Stück wurden nun in den folgenden 90 Minuten Stellen der Partitur geprobt. Meist wurden die einzelnen Streichinstrumente einzeln geprobt, dann wurde das gemeinsam zusammengesetzt. Ganz langsam setzten sich so äußerst komplexe musikalische Passagen zusammen. Einfachere Stellen ließ Stephan Zilias weg, „das davor glaube ich Ihnen“.
Immer wieder gab er dem Orchester Erläuterungen dazu, was dazu auf der Bühne abläuft und was der Komponist beabsichtigt hatte. Die Auswirkungen der Handlung auf der Musik zu erklären, das war Stephan Zilias wichtig. Viele sich manisch wiederholende Stellen sind zum Beispiel „Das Sinnbild für den Wahn im Gehirn von Lear“. Die Musik hatte für mich oft etwas Bedrohliches, es erinnerte mich an die Filmmusik aus „Psycho“. Diese Filmmusik ist Streichermusik und heute gab es nur Streicher, das trug wohl dazu noch bei. „Betrunkene Glissandi“ erklangen zu einer Chorszene von angeheiterten Menschen. Zur Begleitung des Narren, einer Art Sprechrolle, reduzierte sich die Besetzung auf die Besetzung eines Kammerorchesters, eines Streichquartetts: die Musik darf hier die Stimme nicht übertönen. Flageolett-Töne ertönen immer an Stellen, an denen es unheimlich wird.
An der einen Stelle musste das Orchester Septolen spielen. Stephan Zilias bat das Orchester um ein prägnantes siebensilbiges Wort, das man dazu vor sich hinsprechen könnte. „Das könnt ihr mir nachher mal sagen!“ Es gab viel Lachen in der Probe, die Stimmung schien gut zu sein. Auf Fragen aus dem Orchester ging Stephan Zilias sofort ein, offenbar konnte auch alles zur Zufriedenheit aller geklärt werden.
Besonders faszinierend fand ich die Probe der „Sturmszene“. Hier baut sich allmählich in den Streichern ein gigantischer Toncluster auf, ein vibrierendes, vor Spannung fast berstendes Tongebirge. „Wie eine sich langsam aufbauende, kilometerhohe Gewitterwolke“, so nannte Stephan Zilias das. Besser lässt es sich auch kaum ausdrücken. Außerordentlich komplex ist hier die Musik, aber auf absolut exakte Wiedergabe kam es ihm hier nicht an, hier ist der Gesamteindruck entscheidend. „Da ist sehr viel Schutzblech dabei.“
Diese Probe war wirklich etwas ganz Besonderes, gern wieder! Ich empfand es als Wertschätzung, dass wir schon am ersten Probentag zuhören durften. Hier konnten wir ja kein schon fein abgestimmtes Zusammenspiel erwarten. Wir bekamen das aber trotzdem zu hören, das Niedersächsische Staatsorchester ist eben ein sehr gutes Orchester!
Nach 90 Minuten war die Streicherprobe beendet, nach einer Pause waren dann die Bläser dran (ohne uns). Wir tauschten dann noch mit Mitgliedern des Orchesters Septolen-Merksprüche aus. „Tomatensalatdressing“ war toll, aber mein „Gewitter aus Septolen“ gefiel mir auch. Beim Gang zur U-Bahn übte ich dann eifrig Septolen zum normalen Geh-Rhythmus, Proben haben eben unerwartete Nebenwirkungen.
Achim Riehn