Drei wunderbar romantische Stücke vereinigten sich in diesem von Stephan Zilias geleiteten Konzert des Niedersächsischen Staatsorchesters. Die sinfonische Dichtung „Die Mittagshexe“ von Antonín Dvořák traf auf die Fantasie für Violoncello und Orchester von Mieczysław Weinberg und die 1. Sinfonie von Johannes Brahms.
Dreimal eine Art von Romantik. aber dreimal ganz individuell und grundverschieden. Dämonie bei Dvořák trifft auf eine romantische Elegie aus moderneren Tönen bei Weinberg und auf die fast klassizistisch streng anmutende Sinfonik von Brahms. Das war eine Kombination, die auch wegen der Kontraste sehr gut funktionierte und das Publikum begeisterte.
Am Ende seines Lebens komponierte Antonín Dvořák einige sinfonische Dichtungen über unheimliche und groteske tschechische Sagen und Märchen. „Die Mittagshexe“ ist besonders düster. Ein Kind plärrt und treibt seine Mutter fast in den Wahnsinn. Sie droht ihm mit der Mittagshexe, die es holen werde, wenn es nicht still ist. Es ist nicht still, zum Schlag der Mittagsglocke erscheint die Hexe. Es endet wie im Erlkönig mit dem toten Kind.
Mit fast drastischen Mitteln gestaltet dies Antonín Dvořák musikalisch. In die liedhafte, hochromantische Wiegenlied-Idylle eines Sommertags mischt sich das quäkende, schrille Plärren des Kindes, gespielt von den Oboen. Immer ungehaltener wird die Musik (die Mutter), das unheimliche Motiv der Hexe taucht im Hintergrund auf, als sie dem Kind mit ihr droht. Aber das Kind quengelt weiter. Abrupt kippt die Musik ins Unheimliche, die Hexe taucht auf, wie ein sich zusammenballender Nebel. Das ist eine Musik von wirklicher Düsternis und Bedrohung, wie ein Gespenst lauert die Baßklarinette, die Verkörperung der Hexe, im Hintergrund. Die Musik eskaliert, die Mutter versucht, ihr Kind zu schützen. Zwölf Glockenschläge kündigen die Mittagszeit an. Die Musik wird ruhig, ist alles nur ein Traum? Aber das Kind ist tot. Die Musik schreit auf, ein dramatischer Höhepunkt beendet das Stück, das Hexenthema erklingt in grauslichem Triumph.
Ganz großartig wurde dieses Horrorstück gespielt. Zwischen den musikalischen Welten taten sich wirklich Abgründe auf – hier die Idylle, dort das Grauen. Das war fast wie Musik zu einem düsteren und tödlich endenden Film. Die heranschleichende Baßklarinette zauberte mir Schauer auf den Rücken. Es gehören eindeutig mehr dieser sinfonischen Dichtungen von Dvořák in die Konzerte!
Der polnische Komponist Mieczysław Weinberg (1919-1996) musste als Jude vor den Nationalsozialisten fliehen, verlor seine gesamte Familie. In Moskau hatte er dann unter Repressalien des Stalin-Regimes zu leiden. All das verarbeitete er in seiner Musik, die in den letzten Jahren zu Recht mehr und mehr wiederentdeckt wird. Die Fantasie für Violoncello und Orchester op. 52 ist eines seiner romantischsten Werke. Als Solisten hörten wir an diesem Abend Min Suk Cho, Solocellist des Niedersächsischen Staatsorchesters.
Das einsätzige Werk ist in drei ganz unterschiedliche Abschnitte gegliedert. Ruhig und getragen beginnt es. Eine traurige Melodie des Cellos ertönt a capella und wird dann zart begleitet. Das Cello beginnt ein sehr gesangliches, melancholisches Lied. Das ist außerordentlich klangschön, es ist für mich eine große Elegie, ein Abschiedsgesang. Der zweite Teil ist weitaus bewegter. Ein bizarrer Tanz ertönt, walzerähnlich, etwas grotesk, eine Art Springtanz. Es ist Musik fast ein bißchen wie auf einem Volksfest. Melancholisch-ruhige Einsprengsel sind in diese Musik eingebettet. Eine düstere Kadenz beendet diesen Teil. Der dritte Abschnitt ist dann wieder ruhiger, es wird nachdenklicher, fast grüblerisch. Das Cello nimmt die Melodie des ersten Abschnitts auf und stimmt einen sehr emotionalen Klagegesang an. Die Musik verdämmert zum Schluß mit klagenden Tönen des Cello.
Das war ganz großartig gespielt. Die unglaubliche Traurigkeit dieser Musik trieb mir in dieser Interpretation fast die Tränen in die Augen. Min Suk Cho spielte den Solopart mit einer Intensität, die atemberaubend war und das Orchester stand ihm in nichts nach. Besser kann man dies fast nicht interpretieren. Es gehört eindeutig mehr Musik dieses so großen Komponisten auf die Konzertprogramme! Min Suk Cho bedankte sich für den großen Applaus mit einem hochvirtuosen, recht modernen Stück für Solocello – leider habe ich den Komponisten nicht mitbekommen. Ein Cello fast außer sich, klasse!
Johannes Brahms brauchte Jahrzehnte, bis er seine Selbstzweifel besiegte und endlich seine 1. Sinfonie schuf. Entstanden ist eines der Kernwerke des sinfonischen Repertoires. Fast dramatisch beginnt der erste Satz, dann wird es ruhiger. Sehr kraftvoll und entschieden geht es voran, das erinnert an die Strenge einer Beethoven-Sinfonie. Voller energischer Passagen ist dieser Satz, der dann leise verklingt. Der zweite Satz ist im Gegensatz dazu ruhig und besinnlich, fast melancholisch. Beschwingt und idyllisch geht es im dritten Satz weiter. Der vierte Satz ist Musik, der sich aus dem Dunkeln ans Licht herausarbeitet. Nach einem kämpferischen Beginn folgt ein sehr idyllisch anmutender Zwischenteil mit alphornartiger Melodie. Dann folgt der Einsatz des Hauptthemas, das immer triumphaler entwickelt wird. Ein schwungvoll vorantreibender Schluss mündet in einem jubelnd auftrumpfenden Durchbruch zum Licht.
Die Interpretation durch Stephan Zilias und das Niedersächsische Staatsorchester wurde zu Recht mit vielen Bravos bedacht. Ganz deutlich waren alle Stimmen zu hören, wieder klang alles wunderbar transparent. Mir gefielen in der Gestaltung die extremen Kontraste der beiden sehr dramatisch gespielten Ecksätze zu der Idylle der Mittelsätze. Der Auftakt des ersten Satzes klang fast brucknerisch, der vierte Satz war voller vorantreibender Energie. Die Mittelsätze bildeten im Gegensatz dazu eine romantische Insel. Der dritte Satz gemahnte mich in seiner Melodienseligkeit ein bißchen an die neunte Sinfonie von Dvořák, eine verblüffende Verbindung. Das hat mir gefallen!
Das Haus war ausverkauft, der Jubel laut und lang. Dieses Konzert mit seinem abwechslungsreichen Programm begeisterte eindeutig das Publikum. Es war Musik, die die Menschen anspricht, es war aber gleichzeitig auch Musik mit Anspruch. Vielleicht ist das der goldene Weg in die Herzen der Menschen. Aber das funktioniert nur dann, wenn Dirigent, Solist und Orchester so gut sind wie an diesem Abend! Applaus auch von mir!
Achim Riehn