Furios, begeisternd, mitreißend – anders kann ich dieses letzte Sinfoniekonzert der Saison im Opernhaus nicht beschreiben! Klangschöne und betörende Musik vor der Pause von Salina Fisher und Aaron Copland, eine alles im Sturm niederreißende Beethoven-Sinfonie nach der Pause, wunderbar zusammengestellt, schöner ging es kaum. Das Niedersächsische Staatsorchester spielte in Höchstform, befeuert von der jungen Dirigentin Gemma New, der Chefdirigentin des New Zealand Symphony Orchestra.
„Lebensenergie“ war das Motto. Alle drei Werke zeigten auf ganz unterschiedliche Art und Weise, was für Energie in Musik stecken kann. Energie aus der Natur, Energie aus der kulturellen Verbundenheit vor der Pause, die Energie der Freiheit und der Befreiung nach der Pause – drei Arten von Musik, alle drei faszinierend, alle drei ganz wunderbar unterschiedlich.
Salina Fisher (*1993) ist eine aufstrebende neuseeländische Komponistin. Ihre höchst eindrucksvolle Musik schöpft oft aus ihrem japanischen Erbe sowie aus ihrer Faszination für die Natur. Sie ist professionelle Violinistin, ihre Musik ist oft lyrisch, voller ungewöhnlicher Klangfarben und voller Details. Ihr Stück „Rainphase“ „greift die Eigenschaften von Wasser als Regen auf: seine Form und Formlosigkeit, Transparenz und Dichte, Energie und Ruhe sowie seine Fähigkeit zur Reflexion im wörtlichen und emotionalen Sinne“, so die Komponistin in ihrem Internetauftritt. Selten hat mich „neue“ Musik so angesprochen wie diesmal! Kompositionen von Salina Fisher gehören unbedingt auf die Konzertprogramme!
Die Musik erzeugt Assoziationen, sie beschreibt die Naturphänomene nicht plakativ. Mit hohen, ätherischen Tönen beginnt das Stück, ein geisterhafter Wind kommt dazu, darunter ein mysteriöser Untergrund – sofort war bei mir das Bild einer abendlichen Landschaft mit düsteren Regenwolken da. Die Musik verdämmert, merkwürdige Geräusche des Schlagwerks ertönen: Regenschauer, die auf ein Wellblechdach prasseln, die ins Meer fallen. Vogelstimmen kommen dazu, Vögel in einem dichten, nächtlichen Wald, auf den der Regen fällt. Die Musik verschwimmt immer mehr, die Klänge schmelzen gleichsam zusammen, ein über uns hinwegziehender Regenteppich. Die Musik dünnt dann aus. Nur noch vereinzelte „Tropfen“ sind zu hören, bevor die Musik verdämmert. Eine Meditation über den Regen!
Ganz faszinierend wurde das vom Orchester unter Gemma New umgesetzt. Die Musik lebte, bebte, vibrierte. Ich konnte fast jeden Regentropfen spüren. Nichts war hier illustrativ wie Filmmusik, es gelang dem Orchester, die Emotionen dieser Musik zu vermitteln und rein durch die Umsetzung dieser Musik Gefühle zu erzeugen. Ganz große Kunst und ganz große Musik! Das Publikum reagierte begeistert und feierte Dirigentin, Orchester und die anwesende Komponistin.
Solist im Klarinettenkonzert von Aaron Copland war der in Hannover geborene Sebastian Manz, Solo-Klarinettist im SWR-Symphonieorchester, regelmäßig in Europa auch solistisch unterwegs. In seinen Kompositionen versuchte Aaron Copland (1900 – 1990), klassische Musik mit einem typisch amerikanischen Klang zu schreiben. Jazzanklänge finden sich in vielen seiner Werke. Das von Benny Goodman in Auftrag gegebene Klarinettenkonzert bringt ein klassisches Orchester aus Streichern, Harfe und Klavier mit an den Jazz angenäherter Musik zusammen, die Vermittlerin zwischen beiden Welten ist die Soloklarinette.
Wunderbar passten „Rainphase“ und das Klarinettenkonzert. Nach der Nachtlandschaft ging hier nun die Sonne auf. Ruhig beginnt der erste Satz, sehr romantisch, wie ein Sommermorgen nach dem Regen. Die Musik ist ein Gesang, warm und melancholisch, fast traurig, eine Elegie. Nach einem kapriziösen Solo der Klarinette beginnt attacca der zweite Satz, der ganz anders ist. Die Musik ist tänzerischer, frecher, spielerischer. Sie ist nun fröhlich und beschwingt, voller Rhythmen, die an lateinamerikanische Tänze erinnern. Anklänge an Jazzmusik sind überall zu hören. Melodien wirbeln übermütig durcheinander. Fast verspielt und keck endet das Werk.
Absolut faszinierend, wie Sebastian Manz alle Facetten dieser Musik glanzvoll präsentierte. Was für ein tolles Instrument ist die Klarinette, vor allem, wenn sie so meisterlich und beschwingt gespielt wird! Das war kein Instrument, das war eine Stimme, die redete, die schrie, die sang, die uns zuflüsterte. Die ganze Seele der Musik wurde so vor uns durch die Klarinette ausgebreitet, meisterlich begleitet durch Orchester und Dirigentin. Vollkommen verdient gab es tosenden, enthusiastischen Beifall. Sebastian Manz bedankte sich dann mit einem bravourösen Klezmer-Medley von Helmut Eisel, begleitet vom Orchester. Das riss das Publikum dann fast von den Stühlen!
Nach der Pause ging es mit einem Klassiker des Konzertrepertoires weiter. Die 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wurde von den Hörern der Uraufführung als Befreiungsmusik verstanden. Sie wurde unmittelbar nach der Völkerschlacht 1813 im Rahmen eines Benefizkonzert für die gegen Napoleon Kämpfenden uraufgeführt. Es ist vorwärtsstürmende und lebensdurchglühte Musik. Lange habe ich nicht mehr so eine glutvolle, lebendige Interpretation gehört wie in diesem Konzert!
Wuchtige Akkorde leiten den ersten Satz ein. Statuen eines Tempels, das ist hier immer meine bildliche Assoziation. Die Musik beginnt zu schwingen. Es ist, als ob man um diesen Säulentempel herumwirbelt im Sonnenschein. Dann beginnt die Musik zu tanzen, sie strahlt freudig auf, ist lichtdurchströmt, von Rhythmen durchzuckt. Der Tonfall wird immer auftrumpfender, wird fast triumphal. Ruhige, zarte Musikinseln sind eingestreut, entschieden im Tonfall endet der Satz.
Großartig wurde das gespielt. Die Statuen-Akkorde klangen herein wie Blitzschläge, die Musik barst fast vor innerer Spannung und Energie. So aufgeladen ist das wirklich selten zu hören!
Der zweite Satz ist dunkel und feierlich, mit einem Rhythmus, der an einen Trauermarsch erinnert. Eine Prozession über den Friedhof zum Grab, dieses Bild taucht bei mir auf. Die Emotionen steigern sich, bevor eine ruhigere, fast besinnlich-tröstende Passage einsetzt. Es ist, als ob ein Regenbogen über der düsteren Szenerie aufgeht. Die marschartige Musik kehrt wieder, ist jetzt aber fast zart, besinnlicher. Ein fast mystischer Klangnebel entsteht, aus dem der Marsch dann wieder emporsteigt. Wieder ertönt die Tröstung, der Satz endet leise mit der Musik des Marsches.
Auch dieser Satz gelang Dirigentin und Orchester meisterlich. Dunkelheit und Trost, sie standen nicht fremd und beziehungslos nebeneinander. Für mich war hier eine Einheit spürbar, die widerstreitenden, aber untrennbaren Gefühle wurden für mich greifbar, die in dieser Musik vorhanden sind.
Tänzerisch, vorantreibend, voller Energie, das ist der dritte Satz. Es ist mitreißende Musik, die mich an einen Gebirgsfluß erinnert, der über Stromschnellen ins Tal stürzt. Die Musik schwingt und pulsiert. Ein ruhiger Mittelteil erklingt, eine musikalische Idylle, an Volksmusik aus den Bergen erinnernd. Zwischendurch trumpft diese Musik auf, ich sehe die Musikkapellen vor mir und höre, wie ihre Musik von den Bergen wiederhallt. Kurz und knapp endet der Satz.
Alles tanzte in dieser Interpretation, vom Schwung der Musik wurde ich förmlich mitgerissen. Herrlich und fast naiv gelangen die Volksmusikinseln, machtvoll klang das Echo von den Bergen. Ein Volksfest, wie es schöner nicht sein kann!
Der vierte Satz ist sehr lebhaft und energisch. Für mich ist das Musik im Glückstaumel eines Erfolgs, sie ist sieghaft, es ist eine Siegesfeier. Es ist, als ob die Musik sich im Laufe dieses Satzes an sich selbst begeistert, so vorwärtsstürmend ist sie. Musik mit einer Überdosis Koffein im Blut! Triumphal und aufrauschend endet die Sinfonie.
Die ersten drei Sätze waren ja schon großartig umgesetzt, hier aber setzten Dirigentin und Orchester noch einen drauf. Ich glaube, niemand im Saal konnte bei diesem Schwung, diesem Ausbruch von Energie ungerührt bleiben.Das war eine Woge aus Begeisterung, aus Freude, die über uns alle hereinbrach. Das jeder Ton auf den Punkt und präzise war, brauche ich kaum erwähnen, heute passte einfach alles.
Selten habe ich so ein begeisterndes, abwechslungsreiches Konzert erlebt. Selten eine Dirigentin, die so ausdrucksstark, präzise und fast tänzerisch die Impulse setzte und alles im Griff hatte. Auch das immer sehr gute Orchester übertraf sich heute noch einmal. Eine Sternstunde!
Achim Riehn