Dreimal Romantik! Dreimal Romantik ganz unterschiedlicher Färbung, das brachte uns dieses schöne Konzert. Es stand unter dem Motto „Weite“. Alle drei Komponisten schaffen es, so in der Einführung, eine Melodie auszuweiten in ein ganzes Stück, in eine ganze Welt. Das 2. Klavierkonzert von Liszt lässt die Kernmelodie in allen Sätzen in ganz unterschiedlichen Stimmungen erscheinen. Die zentrale Melodie des 1. Satzes der 7. Sinfonie von Bruckner erscheint im Schlusssatz wieder. In der „Symphonie fantastique“ von Berlioz erscheint eine Melodie immer wieder in unterschiedliche Gestalten und auch seine Ouvertüre „Le carnaval romain“ ist so eine Ausweitung: sie besteht aus Melodien aus seiner Oper „Benvenuto Cellini“.
Das Niedersächsische Staatsorchester wurde diesmal von Markus Stenz dirigiert. Er studierte u.a. bei Leonard Bernstein. Er war Chefdirigent des Netherlands Radio Philharmonic Orchestra und elf Jahre lang Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Gürzenich-Kapellmeister. Solistin im Klavierkonzert von Liszt war die amerikanische Pianistin Claire Huangci. Sie studierte Klavier am Curtis Institute of Music in Philadelphia und ab 2007 bei Arie Vardi in Hannover. Schon zu Beginn ihrer Laufbahn gewann sie hochkarätige Preise wie die ersten Preise bei den Chopin-Wettbewerben in Darmstadt und Miami. Sie gastiert weltweit mit renommierten Orchestern, in ihrer umfangreichen Diskographie spiegelt sich ihre ganze musikalische Vielseitigkeit wieder.
Das Konzert begann mit der Ouvertüre „Le Carnaval Romain“ von Hector Berlioz. Romantische, lyrische Passagen dominieren den Beginn dieses kurzen, mitreißenden Stückes. Dann wird die Musik tänzerisch, fröhlich bewegt und schwungvoll, trumpft turbulent auf. Es endet mit einer Musik wie zu einem Straßenfest, fast wild, fröhlich. Die musikalischen Themen sind so, dass man sie sofort mitsingen kann. Für ein Konzert ist das ein toller Beginn, vor allem, wenn es so äußerst schwungvoll und fast wild interpretiert wird. Ich konnte dabei kaum still sitzenbleiben!
Begeistert war ich dann vom Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 A-Dur von Franz Liszt. Das ist eigentlich ein Konzert für Orchester mit begleitendem Klavier. Das Klavier hat hier keine hervorgehobene Solistenrolle, sondern ist als Erstes unter Gleichen in das Orchester integriert. Auch die Form ist ungewöhnlich, sechs Sätze gehen attacca ineinander über. Eine musikalische Idee zieht sich durch das ganze Konzert und taucht in viele Farben getaucht immer wieder.
Sehr ruhig, fast balladenhaft beginnt das Konzert im Orchester, das Klavier stimmt in diese Musik mit ein. Das ist äußerst romantisch, ich muss an eine Abendmusik denken, an Mondlicht über einem Sommergarten. Abrupt geht dies in einen marschartigen Teil über, wir sind im zweiten Satz. Die Stimmung ist auf einmal kämpferisch und energisch, die Musik beschleunigt, wird wilder und schneller. Sehr zärtlich und träumerisch geht es weiter, zu Beginn mit dem Klavier solo. Dieser dritte Satz ist ein Nocturne, eine Nachtmusik. In den drei Schlusssätzen geht es wieder wie im zweiten Satz energisch und marschartig voran. Die Musik steigert sich und entfaltet ihre volle Pracht in einer großen, auftrumpfenden, triumphalen Steigerung. Turbulent und wild bewegt endet das Konzert.
In dieser Interpretation mit Claire Huangci und dem Niedersächsischen Staatsorchester unter Markus Stenz erlebten wir eine Sternstunde. Wir hörten Solistin und Orchester als perfekte Einheit. Orchester und Klavier steigerten sich in einen Rausch hinein, stachelten sich an. Aber keine Seite versuchte, bravourös hervorzustechen. Das Klavier ging auf das Orchester ein, das Orchester auf das Klavier, jede Seite ließ der anderen Seite Raum, das war bewundernswert. Wuchtige, energische, fast brutale Marschrhythmen standen neben zartesten Stellen, in den leisen Passagen gab es so viele fein abgestufte Tönungen, dass es mir fast unglaublich erschien. Wir hörten eine große Pianistin! Aber das Orchester stand dem nicht nach, das Solo des Cello zum Beispiel war ein sehr anrührender Moment. Selten habe ich so ein begeisterndes Klavierkonzert gehört. Das war Magie, das war ein Spiel der Farben rund um die Melodie des Beginns!
Als Zugabe spielte Claire Huangci aus der Klaviersonate von Barber den 4.Satz, ein aberwitziges Feuerwerk! Großes Kino!
Nach der Pause hörten wir von Anton Bruckner die Sinfonie Nr. 7. Vielleicht ist diese Sinfonie Bruckners seine schönste Sinfonie. Vielleicht mag ich sie deswegen so, weil ihre musikalischen Stimmungen nicht so blockartig gegeneinander gesetzt werden wir in den früheren Sinfonien. Die fast eingängigen Melodien faszinieren sofort. Teile der Sinfonie können als Gedenkmusik an den von Bruckner verehrten Richard Wagner aufgefasst werden, der zur Zeit der Komposition verstarb.
Mir gefiel sehr, wie Markus Stenz und das in jeder Position großartig spielende Niedersächsische Staatsorchester diese Musik angingen. Das war kein weihevolles Wabern, das war energische Musik, bei er man jederzeit den ernsthaften Willen des Komponisten spürte, hier eine Welt zu gestalten.
Der erste Satz beginnt weit ausschwingend, es ist ein mystischer und gleichzeitig majestätischer Beginn. Brucknerischer geht es kaum. Sehr klangvolle Themen werden machtvoll gesteigert und wechseln sich mit ruhigen, fast traumversunkenen Passagen in Wellen ab. Triumphal endet der Satz. Großartig wurde das gespielt, kämpferischer Willen und Träumerei standen in perfekter Harmonie zueinander. Ich hatte hier in keiner Sekunde das Gefühl, das ich sonst oft beim Hören von Bruckner-Sinfoniesätzen habe – sie ziehen sich. Hier nicht, das war bezwingende Spannung.
Ruhig, traurig, melancholisch, das ist der zweite Satz. Es ist eine Trauermusik, eine Gedenkmusik, voller Wehmut, aber auch voller Verklärung. In einer großen Steigerung öffnet sich so etwas wie ein Blick ins Jenseits, eine Stimmung der Verklärung beendet den Satz. Markus Stenz nahm diesen Satz recht schnell, so kam in keinem Moment das Gefühl von „Wir ertrinken in romantischer Melancholie“ auf. Das ist ehrliche Musik, ehrliche Trauer, das ist kein Schwelgen in Melancholie als Selbstzweck. Und wie herrlich klingen Wagner-Tuben! Wunderbar.
Der dritte Satz ist im Gegensatz dazu keck, vorwärtstreibend, mit auftrumpfenden Höhepunkten. Auf einen ruhigen, gesanglichen Mittelteil folgt wieder die Musik des Beginns, eine große Steigerung beendet den Satz. Auch hier war das Tempo der Interpretation schnell. Das brachte einen Hauch von Dämonie ins Spiel, das war nicht nur keck, das war fast ein bisschen bedrohlich. Der Satz fügte sich so perfekt in das ernsthafte Bild ein, das Markus Stenz zeichnete.
Mit einem weit schwingenden Thema, abgeleitet vom Hauptthema des ersten Satzes, beginnt der Schlusssatz, ernsthaft und weihevoll. Die Stimmung ist hier der des ersten Satzes ähnlich, aber die Musik ist weniger kämpferisch, sie ist zurückgenommener und stiller. Mit einer triumphalen, alles niederreißenden Steigerung endet die Sinfonie. Das Orchester schaffte es, alle Stimmungen der vergangenen Sätze in einem Satz zusammenzufassen. Ernsthaftigkeit, Hitze, Träumerei, etwas Dämonie – alles fügte sich hier zusammen.
Der Jubel war entsprechend groß und voll verdient. Das war ein würdiger Abschluss eines wirklich schönen Konzerts. Ich freue mich auf die Konzertsaison mit diesem tollen Orchester!
Achim Riehn