Benjamin Brittens „War Requiem“ am 25. Mai 2025: bewegend, ergreifend, unfassbar intensiv

Dieses Konzert am 25. Mai 2025 im Opernhaus war für mich der bewegende und ergreifende Höhepunkt der Konzertsaison. Benjamin Brittens „War Requiem“ ist eine Klage gegen den Krieg, eine Erinnerung an das Grauen des Krieges, ein Ruf nach Frieden. Was kann in der heutigen Zeit aktueller sein?

Schlussapplaus nach Benjamin Brittens „War Requiem“ in der Staatsoper Hannover. Foto (c): Achim Riehn

An diesem Abend hörten wir eine herausragende und unfassbar intensive  Interpretation durch den Dirigenten Michael Schønwandt, das Niedersächsische Staatsorchester, Chor, Extrachor und Kinderchor der Oper und durch die Solisten Kiandra Howarth, Gerard Schneider und Morgan Pearse.

Die Uraufführung des Stücks fand im Mai 1962 in der neu erbauten Kathedrale von Coventry statt. Der Vorgängerbau war im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Bombardierung zerstört worden.Schon der Titel „War Requiem“ sagt es: Das ist mehr als eine gewöhnliche Totenmesse. Britten ergänzte den lateinischen Liturgietext durch Gedichte des im Ersten Weltkriegs gefallenen Wilfried Owen. Owen hinterließ eine Sammlung von Gedichten, in denen er seine Kriegserlebnisse schilderte. Diese bitteren, anklagenden, verzweifelnden und auch tröstlichen Texte werden von Britten der Trauer des lateinischen Requiems gegenübergestellt.

Britten teilt dazu die riesige Besetzung auf. Die lateinisch gesungene Liturgie wird durch den Sopran, das große Orchester und den Chor interpretiert, ergänzt durch hymnische Passagen des von der Orgel unterstützten Kinderchors. Die Gedichte, auf Englisch gesungen, werden durch Tenor, Bariton und ein Kammerorchester dargeboten. Zwei ganz unterschiedliche Musik- und Textwelten stehen sich hier gegenüber, ergänzen sich, widersprechen sich. Auch musikalisch finden sich krasse Gegensätze. Märsche, Totentänze und Klagegesänge treffen auf tröstliche und zarte Lieder.

Tenor und Bariton sind dabei laut Programmheft klare Rollen zugeordnet. Der Tenor nimmt die Perspektive eines dem Krieg entkommenen englischen Soldaten ein, der Bariton die Perspektive eines gefallenen deutschen Soldaten. Es ist kein Dialog in Feindschaft, das Leid des Krieges verbindet sie.

Die musikalischen Leistungen an diesem Abend waren überragend. Ich werde da nur einige Stellen hervorheben, da es sonst zu viel Bewunderung werden würde!

Ruhig und dunkel beginnt das „Requiem aeternam“, Chor und Glockenklänge begleiten das Orchester. Die Intensität steigert sich, die Glocken klingen nun wie Alarmsignale. Schließlich kommt der Kinderchor der Staatsoper Hannover (Leitung: Tatiana Bergh) mit einer Lobpreisung Gottes dazu: „Te decet hymnus, Deus“.

Fast unirdisch schön wurde das aus dem Foyer des zweiten Rangs gesungen, präzise, intensiv, herzbewegend. Dann setzt der Tenor ein, es ist eine bittere, ganz entschiedene Gegenrede zu diesem Himmelsglauben. „What passing bells for these who die as cattle?“ Krasser könnte der Gegensatz kaum sein als hier zu Beginn des Requiems. Gerard Schneider hat eine helle, silbrige Tenorstimme, da leuchtete jeder Ton, da war jedes Wort zu verstehen.

Blechbläsersignale leiten das „Dies irae“ ein. Paukenwirbel begleiten den fast angstbebenden Chor. Das steigert sich fast in eine Art Marsch hinein. Eine aufgewühlte Musik ist das. Grandios setzte der Chor unter Leitung von Lorenzo Da Rio diese Emotionen um. Fast balladenartig entgegnet der Bariton, ein Moment des Friedens im Krieg: „Bugles sang, saddening the evening air“. Die Blechbläsersignale kehren nun in den Holzbläsern wieder. Wunderbar warm der Bariton von Morgan Pearse, wieder konnte ich jedes Wort verstehen.

Dramatisch kündigt der Sopran das Gericht an: „Liber scriptus proferetur“. Kiandra Howarth war vor dem Chor hinter dem Orchester platziert, aber ihre strahlende Stimme setzte sich mühelos über das Orchester hinweg, fast glühend, wie ein Sonnenstrahl. Tenor und Bariton singen dann über die Begegnung mit dem Tod auf dem Schlachtfeld, „Out there, we’ve walked quite friendly up to Death“. Der Chor entgegnet mit einem tröstlichen „Recordare Jesu pie“.

Eine fast dramatische Steigerung folgt mit dem „Confutatis maledictis“, diese Stimmung nimmt der Bariton auf. Ein heftiges Aufbäumen des Chors zum Thema des „Dies irae“ folgt, dann verdämmert die Musik. Klagend singt der Sopran das „Lacrimosa“. Der Tenor folgt mit einer leisen Trauerklage („Move him into the sun“) und endlich singen alle zusammen, ganz zart, in Trauer vereint.

Hier im „Dies Irae“ möchte ich das Orchester hervorheben. Es spielte mit unfassbarer Wucht und Präzision, da saß jeder Ton, da brannte förmlich jedes musikalisches Motiv, das ging unmittelbar ins Herz.

Der Kinderchor leitet das „Offertorium“ ein, von der Orgel begleitet, es ist wie ein überirdisches Gebet. Mit komplexen Rhythmen kommt der Chor dazu, fast energisch.

Im erzählenden Ton eines Oratoriums singen Tenor und Bariton über den Krieg, vergleichen ihn bitter mit Abrahams Opfer seines Sohnes. Das verschränkt sich mit dem Trost des Kinderchors. Das sensibel aufspielende Kammerorchester zur Begleitung von Tenor und Bariton war vorn im Orchester platziert, was mir die so krass wechselnden Emotionen dieses Musik ganz nah brachte „Sanctus“, Glocken und Sopran, eine Anrufung Gottes. Der Chor kommt dazu, aus einem Klangnebel heraus steigt der Gesang auf, steigert sich triumphal zum „Hosianna“. Großartig gesungen! Der Bariton hält eine ruhige, in sich gekehrte Gegenrede. „Shall life renew these bodies?“ Wird es auch für die Toten des Krieges eine Wiederauferstehung geben?

In sich gekehrt und fast zart beginnt der Tenor („One ever hangs where shelled roads part“) den Abschnitt des „Agnus Dei“, dann nimmt der Chor diese Stimmung auf. In einem Wechselgesang geht es weiter, bis der Tenor mit dem lateinisch gesungenen „Dona nobis pacem“ endet.

Mysteriös beginnt mit Schlagwerk und Chor das „Libera me“, es ist wie eine Klage, eine Anrufung, unheimlich in der Stimmung. Das steigert sich stark, der Sopran kommt dazu, Musik voller Dramatik und emotionaler Wucht, großartig interpretiert!

Die Musik verdämmert dann. Ganz innerlich singt der Tenor, fast traurig. Auch der Bariton nimmt diese Stimmung auf, es gibt aber emotionale Ausbrüche. Ganz zart ist die Begleitung. Beide singen über die Sinnlosigkeit des Krieges.

Tenor und Bariton enden mit einem gemeinsam gesungenen „Let us sleep now“. Kinderchor und Chor fallen ein, dann auch der Sopran. „In paradisum deducant te Angeli“. Es ist eine sich steigernde Apotheose, eine Verklärung. Das war Musik, die mir die Tränen in die Augen trieb, zumal wenn sie so emotional umgesetzt wurde wie an diesem Abend. Zu dem „Let us sleep now“ kommt das gesungene „Requiem aeternam“ dazu, es begleitet die beiden Soldaten in den ewigen Schlaf. Ganz leise klingt das Werk aus. Frieden ist da. Für wie lange? Das letzte Amen klingt wie eine Frage.

Musikalisch war das alles eine Sternstunde. Kiandra Howarth, Gerard Schneider und Morgan Pearse schienen mir fast eine Idealbesetzung zu sein für ihre Partien. Das war mehr als Gesang, sie lebten ihre Partien, sie lebten ihre Emotionen. Unfassbar gut auch der Chor, da konnte man nur niederknien. Auch hier jede Note voller Emotionen. Der Kinderchor klang wirklich wie eine Schar von Engeln aus dem Himmel, überirdisch schön, überirdisch rein, wunderbar, ans Herz gehend.

Und dann das Orchester: Kann man diese Musik besser spielen? Für mich ließ sich das kaum steigern, das war ein sich Hineinwerfen in die Musik Brittens, ein sich bedingungsloses Ausliefern an diese Emotionen. Und dass dann alles so genau und durchhörbar gespielt wurde, das machte es noch wunderbarer. Ein ganz großer Dank und große Bewunderung für Michael Schønwandt, der mit präzisen Gesten dies alles aufs Schönste leitete und zusammenhielt. Nur ein großer Dirigent schafft es, dass das so mühelos und selbstverständlich erscheint wie an diesem Tag. Alles passte hier zusammen. Ein Konzert, an das ich noch lange zurückdenken und von dem ich noch lange erzählen werde.

Text: Achim Riehn

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