Mit Begeisterung wurde diese letzte Premiere der Intendanz von Laura Berman gefeiert, vollkommen berechtigt. Musikalisch und gesanglich war auch diese Vorstellung am 8. Juni großartig. Die Inszenierung vertrieb jeden Rokoko-Kitsch aus der Geschichte, rückte diese walzerselige Musik mit der turbulenten Handlung in die Nähe der Operette. Für mich war das meist stimmig, auf jeden Fall war es erfrischend und unterhaltsam.

Schlussapplaus für die letzte Premiere der Spielzeit 2024/25: der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. – Foto (c) Achim Riehn
„Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch dies ist nur Täuschung. Denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt.“ Dies schrieb der Librettist Hugo von Hofmannsthal 1909 an Richard Strauss. Gleich zu Beginn des Programmhefts findet sich dieses Zitat. Das Zitat legt offen, was Strauss und Hugo von Hofmannsthal beabsichtigten: Wir haben eine melancholische Komödie mit Musik vor uns, die scheinbar in einer vergangenen Zeit spielt, die aber vom Heute erzählt.
Richard Strauß war mit den radikalen, fast neutönerischen Opern „Salome“ und „Elektra“ berühmt (und berüchtigt) geworden. „Der Rosenkavalier“ geht diesen Weg nicht weiter, Strauss schuf ein beschwingtes, romantisches Bühnenwerk, einen Rückblick in eine geträumte Idylle der Vergangenheit. Das ist komödiantisch, voller Dialekt, enthält viel Text. Das klingt teilweise nach Operette, nach Zuckerguss. Ganz unterschiedliche Dinge sind in dieser Oper vereinigt. Es ist eine Oper angelehnt an Mozart, eine Verbeugung vor Mozart. Es ist ein Stück mit einem gehörigen Schuss Ironie und doch voller Weisheit.
Die Oper ist ein Kammerspiel zwischen vier Personen mit ganz viel Beiwerk. Die Marschallin, eine Frau in den besten Jahren, hat ein Verhältnis mit Oktavian, einem jungen Mann gerade am Beginn des Erwachsenwerdens. Der etwas schmierige Baron Ochs von Lerchenau, finanziell klamm, ist auf Brautschau. Seine Kandidatin ist Sophie, eine aus einer neureichen Familie stammende junge Frau. Ihr Vater will sie gewinnbringend verkaufen, Adel gegen Geld, offenbar ein gutes Geschäft für alle. Die Marschallin schlägt ihren Liebhaber als ‚Rosenkavalier‘ vor und beide Handlungen kommen zusammen. Der junge Liebhaber verliebt sich in die Braut in spe und sie sich in ihn, Sophie will vom Geschäft nichts mehr wissen, die Marschallin verzichtet, der eitle und nicht sehr sympathische Ochs wird düpiert und geht leer aus.
Musikalisch ist die Oper überaus vielgestaltig. Walzer treffen auf Belcanto, Humor und Parodie treffen auf klangvolle Monologe. Gekrönt wird das von einem traumhaft schönen Schlussterzett. Und es ist zu hören, dass sich Strauss im Grunde genommen nicht sehr weit von den musikalischen Welten von „Salome“ und „Elektra“ entfernt hat. Hinter der leichten Walzerfassade gibt es immer noch diese ausgefeilte, expressionistische Harmonik. Aber die Blitze und das Gewitter toben nun hinter silbrigen Wolken.
In „Locker vom Hocker“ zum Rosenkavalier erzählte Generalmusikdirektor Stephan Zilias viel über die musikalischen Details der Oper. Für ihn ist „Der Rosenkavalier“ eine Verbeugung vor Mozart. Klanglich muss das herausgearbeitet werden. Es darf nicht überzuckert interpretiert werden, denn dann wird es „unausstehlich“: „Es darf nicht im Wiener Kaffeehaus ertrinken“. Von Richard Strauss stammt der Hinweis, dass die Musik kein Lehar sein soll, sondern Mozart. Das gesprochene Wort darf nicht überdeckt werden durch die Musik, für das ununterbrochene Parlando ist größtmögliche Transparenz erforderlich. Die Oper ist eine durchgehende Konversation zwischen Orchester und Sängerinnen und Sängern.
Stilbildendes Element der Oper ist der Walzer beziehungsweise der walzerähnliche Dreiertakt. Der Walzer ist eine der Chiffren für Erotik. Im Ochs-Walzer versichert sich Ochs immer wieder seiner Männlichkeit und Ausstrahlung. Ochs kommt dabei musikalisch besser weg als textlich. In der Musik ist er zwar eitel wie ein Pfau, er gibt sich aber Mühe, galant zu sein.
Die Rosenüberreichungsszene steht als einzige Szene der Oper in Fis-Dur, ganz herausgehoben. Das ist eine ganz ähnliche Stimmung wie sie in der Bildnis-Arie in Mozarts Zauberflöte anklingt. Die Zeit steht still. Die Szene macht in der Musik etwas erfahrbar, was Oktavian und Sophie noch nie in ihrem Leben erfahren haben: die alles überstrahlende, wahre Liebe.
Der Regisseur Christian Stückl ist Intendant des Volkstheaters München und Spielleiter der berühmten Passionsspiele in Oberammergau. Seine „Jedermann“-Inszenierung lief elf Jahre bei den Salzburger Festspielen. Wie Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier ist er in Oberammergau geboren.
In der „Kostprobe“ zum Stück sagte Christian Stückl einen Satz, der für seinen Inszenierungsansatz zentral ist: „Es ist wichtig, Traditionen aufzubrechen und zu hinterfragen.“ Für ihn ist das Stück heutiger als man denkt. Die auftauchenden Walzer gab es in der Zeit von Maria Theresia nicht. Das ist nostalgisch, parodistisch. Es ist für ihn im Stück angelegt, dass das Rokoko nicht ganz ernst gemeint ist. Alles ist mit dem Heute verwoben. Die Suche des übergriffigen Ochs‘ nach der reichen Braut passt zudem ins „Me-Too“-Zeitalter. Deswegen ist die Inszenierung „aus der Zeit herausgenommen“, eine an das Heute angelehnte Inszenierung. Christian Stückl steuert so das Stück an der Gefahr der Überzuckerung vorbei, vermeidet Rokoko-Kostümorgien. Er stellt das Humorvolle und das Heutige der Geschichte in das Zentrum.
Dabei umgeht er auch die Probleme der Oper nicht. Oft wird Ochs von Lerchenau als eher komischer Schürzenjäger gezeigt. Aber diese humorvolle Zeichnung geht an dem vorbei, was er ist: ein übergriffiger Mensch, für den Frauen Freiwild sind. Ochs ist ein Mensch, der meint, sein Adel gibt ihm einen Freibrief für alles. Stückl zeigt diese Seite von Ochs ganz offen, und das ist auch gut so. Stückl überdeckt diese Inhalte nicht mit verklärender Nostalgie, er stellt sie aber auch nicht übermäßig in das Zentrum der Inszenierung. Das ist erfrischend sachlich, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne sentimentale Tünche. Der Humor des Stückes kommt so für mich auch viel besser zur Geltung.
Bühnenbild und Kostüme von Stefan Hageneier unterstützen diesen nüchtern-heutigen Ansatz. Alles spielt bildlich in so etwas wie einer Hotelanlage. Die hohen Wände des Zimmers aus dem ersten und dritten Aufzug mit ihren hohen Türen ermöglichen vielfältige Auftritte, wie ich sie sonst aus dem Boulevardtheater kenne. Das edle Grün der Wände findet sich in den Kostümen der Bediensteten wieder. Leuchtendes Rot (Lichtregie Andreas Schmidt) dient als Signal, wenn es um Erotik oder auch Liebe geht. Das Stück funktioniert in diesem Hotel, in dem sich alle Personen immer etwas verloren fühlen. Es ist ein ungewohnter Ort, aber er steht der Geschichte nicht entgegen. „Der Rosenkavalier“ ist ein „Märchen im Grandhotel“.
Insgesamt funktioniert für mich die Inszenierung gut, aber eine Szene hinterlässt bei mir doch Fragen. Christian Stückl vermeidet Überzuckerung, aber warum treibt er der Rosenüberreichungsszene die Romantik aus? Der zweite Aufzug spielt im Wellnessbereich des Hotels. In der Manier eines Charlie Chaplin geht Octavian auf Sophie zu. Statt einer silbernen Rose trägt er einen profanen, übergroßen Strauß roter Rosen. Sophie steht vor ihm, gerade aus dem Pool gestiegen. Würde Sophie den Brautwerber so empfangen? Für mich zeigt sich nicht das, was in der Musik angelegt ist. Die Zeit steht still, die Musik zeigt uns das, was die Beiden noch nie in ihrem Leben erfahren haben. Dieses Herausgehobene, Einzigartige sollte man zeigen, mir jedenfalls. Hier erschien es mir zu banal, ins Komische verzerrt. Aber das ist jetzt ein Kritisieren auf hohen Niveau an einer Inszenierung, die ansonsten stimmig ist und Vergnügen bereitet. Aber solche in der Musik angelegte Vorlagen für Verzauberung sollten doch genutzt werden! Beim Schlussterzett hat es funktioniert, ich WAR verzaubert.
Musikalisch war das ein großer Abend – und das Schlussterzett der drei Frauenstimmen ein berührender, wunderbar stimmlich aufeinander abgestimmter Höhepunkt. Man merkte dem Niedersächsischen Staatsorchester an, dass ihm diese Klangfarben der Musik von Strauss liegt. Mit präzisen Gesten führte Mario Hartmuth durch die Partitur, ließ den Stimmen Raum, ließ die Orchestersoli leuchten. Das war transparent, das war ausgezeichnet.
Großartig auch die Sängerinnen und Sänger, bis in die kleinsten Rollen hinein. Meredith Wohlgemuth zeigte uns eine Sophie, die sich von der unsicheren Kindfrau zu einer Person entwickelt, die für sich einzustehen weiß. Leuchtend, präzise, silbern ihr Sopran, ideal für die Rolle!
Eine kongeniale Partnerin war Anne Marie Stanley mit ihrem warmen, glühenden Mezzosopran, wunderbar auch im Spiel als Oktavian, entzückend naiv und durchtrieben als Mariandel, die den Ochs aufs Kreuz legt.
Ann-Beth Solvang war als Marschallin für die erkrankte Kiandra Howarth eingesprungen und bewältigte diese Herausforderung wunderbar. Mit ihrem warmen, geradezu edlen Sopran war sie eine Marschallin, wie man sie sich wünscht.
Auch Martin Summer erfüllte seine Rolle hervorragend. Sein Ochs war sowohl ein eitler Macho als auch ein galanter, etwas vulgärer Kerl. Sein kraftvoller, volltönender Bass war jederzeit textverständlich, das liebe ich besonders.
Auch die weiteren Rollen waren sehr gut besetzt, gesanglich und darstellerisch immer auf den Punkt. Es war schade, dass sie nur so kleine Einsätze hatten. Frank Schneiders versah den Faninal im weißen Anzug einen Hauch von Mafiosi. Die Intriganten Valzacchi und Annina fanden in Philipp Kapeller und in Monika Walerowicz zwei fast komödiantische Interpreten. Mit durchsetzungsfähigem Sopran ließ Franziska Giesemann als Marianne Leitmetzerin aufhorchen. Die kleine Partie des Sängers erfüllte Marco Lee mit Belcanto-Wohlklang. Sehr gut auch Yannick Spanier (Polizeikommisar, Notar), Pawel Brozel (Haushofmeister bei der Marschallin und bei Faninal, Wirt), Dahye Kang, Luisa Müller und Barbara Skora (adlige Waisen), Luisa Mordel (Modistin), Fabio Dorizzi (Tierhändler) und Solisten aus dem Chor (Lakaien, Kellner, Lerchenausche). Warum sind diese Rollen so klein? Chor und Kinderchor (Einstudierung Lorenzo da Rio und Tatjana Bergh) sangen und agierten mit Klasse in ihren kleinen Partien. Nicht vergessen werden sollen auch nicht die Statisterie und die echten Hunde des Tierhändlers.
Das war ein sehr schöner, witziger, unterhaltsamer und musikalisch großer Abend. Groß war die Begeisterung des fast ausverkauften Hauses. Bis auf die Rosenszene bin ich da voll beim Publikum! Für Sängerinnen, Sänger und Orchester gab es in Hannover seltene, aber vollauf berechtigte Standing Ovations.
Das war die letzte Premiere in der Spielzeit 2024/25. Aber „Der Rosenkavalier“ steht in der nächsten Spielzeit wieder auf dem Programm, mit einer fast komplett ausgetauschten Besetzung. Es bleibt also interessant!
Text: Achim Riehn