„Goldberg“ – Poesie getanzter Träume

Das war am 25. November 2025 ein Ballettabend, der mich fast in Trance versetzte. „Goldberg“ von Goyo Montero zur Musik von Bach und Belton ist getanzte Poesie, ist eine in Tanz verwandelte Abfolge von Träumen. Der neue Chef des Staatsballetts Hannover legt einen Start hin, wie er besser und beeindruckender kaum sein kann. Alle Vorstellungen in diesem Jahr sind ausverkauft, zu Recht. Es sind 75 Minuten erstklassiger und poetischer Tanz zu erleben.

Schlussapplaus für das Ballettensemble nach der Aufführung von „Goldberg“. Foto (c): Achim Riehn

Goyo Montero hat das Stück 2022 für sein damaliges Ballettensemble in Nürnberg entworfen. In Hannover gibt er damit nun seine Visitenkarte ab. Denn „Goldberg“ eignet sich perfekt dazu, alle Qualitäten einer Kompanie zu zeigen. Allen Tänzerinnen und Tänzern gibt diese Choreografie die Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. So ist dieser Abend eine Verbeugung vor dem Publikum in Hannover, eine getanzte Begrüßung.

Die Goldberg-Variationen sind eine Abfolge von Musikstücken, die auf demselben Thema basieren. Und so wie diese Variationenfolge hat das Ballett auch keine durchgehende Geschichte, es wird aber ein durchgehendes Thema in verschiedenen Szenen beleuchtet. Bach hat die Variationen angeblich als Musik geschrieben, die einem schlaflosen Menschen die Nacht versüßen sollte. Auf der Bühne der Staatsoper sehen wir die Träume, die uns im Halbschlaf begegnen. Träume in ihrer Vielgestaltigkeit sind das Thema, das diesen Ballettabend bestimmt. Es begegnet uns alles, was in uns des Nachts aufflammt, in seiner ganzen Vielgestaltigkeit, in wie aus dem Nichts aufflackernden Szenen.

Einige der Bach’schen Variationen werden von Patrik Hévr live am Klavier gespielt, in den originalen Fassungen, sehr edel im Ton. Dazu gibt es Variationen, die durch ein Kammermusikensemble des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover unter Masaru Kumakura im Orchestergraben einfühlsam und präzise gespielt werden. Ergänzt wird dies durch Stücke des Komponisten Owen Belton, die die Musik Bachs aufgreifen, live gespielt, auch vom Tonband. Das ist großartige, unglaublich atmosphärische Musik, die den traumartigen Charakter des Balletts perfekt unterstützt. Elektronische Musik kann wirklich ergreifend sein! Auf der musikalischen Ebene bekommt der Abend so eine beeindruckende Vielgestaltigkeit und Farbigkeit, hinter der Bachs Musik aber immer greifbar ist.

Das Bühnenbild von Leticia Gañán Calvo und Curt Allen Wilmer ist der perfekte Ort für die Abfolge von Traumszenen. Ganz schlicht ist der Raum, im glänzenden Boden spiegelt sich alles. Halbtransparente Plastikplanen hängen aus dem Bühnenhimmel herunter. Sie hängen an im Raum beweglichen Metallschienen, können so schnell Räume bilden, Räume verengen und erweitern. Zusammen mit dem fast unwirklichen Licht von Martin Gebhardt sorgt das für ständig neue Eindrücke. Wie in einem langen Traum verändert sich die Szene unablässig und lässt uns ganz allmählich immer mehr den Halt verlieren.

Die großartigen Kostüme von Salvador Mateu Andújar unterstützen diese Stimmung ganz erheblich. Sie sorgen dafür, dass die Tänzerinnen und Tänzer fast irreal erscheinen. Zu Beginn ist das Ensemble eher locker gekleidet, alles ist in verschiedenen Grautönungen gehalten. Keine Farbe lenkt uns ab, die Kostüme lassen die Menschen wie nächtliche, farblose Schemen wirken. Jedes Kostüm ist dabei anders, ist individuell, jeder nächtliche Schemen hat so seine eigene Identität. Grundlage für die Gestaltung waren überbelichtete Körperfotos der Tänzerinnen und Tänzer, die auf den Stoff übertragen wurden. Später werden diese Kostüme ausgetauscht, nun sehen wir hautenge Bodysuits, in unregelmäßigen Mustern dunkelgrau schillernd. Die Menschen lösen sich nun noch mehr auf, scheinen während des Tanzes fast zu zerfließen, scheinen sich aufzulösen wie es Traumgestalten eben tun.

Was dann von diesen Traumgestalten in dieser Traumszenerie getanzt wird, das ist atemberaubend. Wir erleben die ganze Vielfalt des Tanzes, klassisches Ballett mischt sich mit Breakdance und mit Athletik. Vom Ensemble gebildete geometrische Formationen zerfließen, werden abgelöst durch Tanzszenen zu zweit, zu dritt. Sprünge, Hebungen, Paartanz, ich wurde manchmal an Bildern aus dem Eistanz erinnert. Dieser Abend ist wie ein in Poesie umgesetztes Lexikon des Tanzes in all seinen Formen. Großartig die Präzision der Tänzerinnen und Tänzer, ihre Kraft, ihre Eleganz. Zum Schluss des Abends setzen die Menschen auf der Bühne dazu noch ihre Stimmen ein. Nachdem sie in einer Art Feuer aus blutrotem Licht zuckend und schreiend verbrennen, finden sie sich in einem Kreis auf dem Boden sitzend wieder. Sie summen die Musik mit, das ist wirklich berührend. Ganz zum Schluss des Abends senkt sich dann die Metallkonstruktion langsam nach unten, die die Plastikbahnen hält. Ein schützender Raum hüllt das Ensemble ein, gibt ihnen Ruhe nach dieser Achterbahnfahrt aus Träumen.

Das war ein magischer Abend. Wir erlebten eine Nacht der Träume mit, tauchten tief ins Irreale ein, wurden mitgerissen in eine magische Nachtwelt aus Tanz, Musik, Bühne und Kostümen. Wir erlebten Tänzerinnen und Tänzer, die einfach großartig waren, die die ganze Bandbreite des Tanzes präsentierten. Wir erlebten eine zu Herzen gehende Einheit aus Choreografie und Musik.

Der Applaus des ausverkauften Hauses wollte nicht enden, Standing Ovations, verdient. Besser kann ein Einstand eines neuen Ballettensembles und eines neuen Ballettdirektors kaum sein. Herzlich willkommen an alle, herzlich willkommen Goyo Montero, Hannover liebt euch jetzt schon!

Text: Achim Riehn

Dieser Beitrag wurde unter Besprechung Vorstellungsbesuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.