»Besuch der Bühnenorchesterprobe „Lot“«
Von den düsteren und verstörenden Geschehnissen, die das Alte Testament über die Stadt Sodom, über Lot, sein Weib und seine beiden Töchter berichtet, ist den meisten wohl jene Episode bekannt, in der Lots Weib – beim Verlassen des dem Untergang geweihten Sodom – gegen das göttliche Verbot verstößt, sich noch einmal umzuschauen, und dafür bestraft wird, indem sie zur Salzsäule erstarrt.
In Giorgio Battistellis Oper Lot, die jetzt im Staatstheater ihre Uraufführung erlebte, kommt diese Szene natürlich auch vor. Und die GFO-Mitglieder, die am 23. März 2017 einer Bühnenorchesterprobe mit Ausschnitten aus dem 2. Akt beiwohnen durften, hatten Gelegenheit, auch diese Szene zu hören und zu sehen. Ihre Eindrücke, auch ihre Einwände und Fragen konnten sie gleich im Anschluss an die Probe loswerden, im Gespräch nämlich mit dem Regisseur Frank Hilbrich und dem Chefdramaturgen Klaus Angermann.
Warum – so wurde etwa gefragt – „passiere“ denn seitens der Inszenierung so wenig im entscheidenden Moment der Umwandlung zur Salzsäule? Warum laufe die Frau einfach zurück in den Bühnenhintergrund, um dort im Dunkel zu verschwinden? Hilbrich begründet seine scheinbare Zurückhaltung als Regisseur in dieser Szene lapidar und einleuchtend: „Die Salzsäule hör‘ ich nicht. Die große Show – sie ist hier von der Musik her nicht gewollt.“ In der Tat komponiert Battistelli hier keinen „Knalleffekt“, den die Regie entsprechend umsetzen müsste. Er legt das Gewicht viel stärker auf den vorangehenden Monolog von Lots Weib, der von weitgespannten melodischen Linien geprägt ist und schließlich auf einer Tonhöhe verharrt und verklingt und damit sich deutlich abhebt von dem sonst überwiegend sprunghaft-rezitativischen Gestus der Gesangspartien, wie sie die Zuhörer in der Probe erlebten.
Regisseur Frank Hilbrich beeindruckt die Probengäste in der Nachbesprechung durch die unprätentiöse offene Art, in der er sein Konzept erläutert. Und das ist darauf angelegt, den Intentionen des Komponisten so weit wie möglich gerecht zu werden, indem es sich an den hörbaren Aussagen der Musik orientiert. Der Schöpfer dieser Musik in Gestalt von Giorgio Battistelli ist im Gegensatz zu den allermeisten heutzutage gespielten Opernkomponisten noch sehr lebendig. Ein paar Tage nach der BO-Probe kommt er selbst nach Hannover, um sich mit der fast fertigen Inszenierung seiner Oper vertraut machen. Der Regisseur ist mit ihm natürlich beizeiten die ganze Partitur hinsichtlich der szenischen Umsetzung durchgegangen, ist aber, wie er sagt, darauf eingestellt, bis zur Premiere noch dieses oder jenes Detail zu ändern (die Salzsäule, so ist zu vermuten, wird aber wegbleiben).
Die Probenbesucher der GFO hatten im Falle Lot jedenfalls ein spektakuläres Vorrecht. Nicht nur durften wir, wie sonst üblich, im Voraus einen Eindruck von Inszenierung und Bühnenbild gewinnen, von den Sängerinnen und Sängern natürlich auch, und nebenbei noch ein bisschen Bühnenluft und Probenatmosphäre schnuppern. Als erste Zuhörer erlebten wir Ausschnitte einer zeitgenössischen Oper in ihrer originalen Orchestrierung live, bevor der Komponist selbst dazu Gelegenheit hat! Ein großes Dankeschön der Nutznießer an alle, die das ermöglicht haben!
Klaus Hagedorn