Manche Erlebnisse bekommt man nur, wenn man Mitglied der GFO ist, der Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover. Wir durften exklusiv an einer Probe des Orchesters für das nächste Sinfoniekonzert am 4. Dezember teilnehmen, ein spannendes und außerordentliches Ereignis!
Um 9:30 Uhr trafen wir uns alle vor dem Eingang zum Probensaal des Orchesters. Er liegt in der Bultstraße, hineingebaut in das ehemalige Theater der Landesbühne. Durch labyrinthische Kellergänge zwischen Probenräumen für die Instrumentengruppen hindurch und über verwinkelte Treppen ging es in eine Art Wartesaal vor den eigentlichen Probensaal. Wahrscheinlich war das mal das Foyer der Landesbühne. Jetzt steht alles voll mit alten Sofas und Sitzgelegenheiten, man kann auf die Straße herausschauen. Es herrschte eine angenehm entspannte Atmosphäre. Mitglieder der GFO saßen da und warteten, ankommende Musiker in Alltagskleidung kamen dazu. Für mich fühlte sich das an wie die Stimmung vor einer Konferenz, gespannt und doch entspannt.
Konzertdramaturgin Swantje Köhnecke empfing uns hier und gab uns eine sehr interessante Einführung in das, was wir zu sehen und zu hören bekommen sollten. Wir konnten am ersten Teil der Probe teilnehmen, von 10 Uhr bis 12 Uhr. In diesen zwei Stunden wurde das Solokonzert des Konzerts geprobt, das 1. Paukenkonzert von William Kraft. GMD Stephan Zilias war leider kurz vor Beginn der Probenzeit wegen Krankheit ausgefallen. Jonathan Stockhammer, ein renommierter international tätiger Dirigent, konnte kurzfristig für das Konzert gewonnen werden.
Swantje Köhnecke gab dann einige Einblicke in das, was dem Publikum im Vorfeld eines Konzerts verborgen bleibt. Wie kommt man eigentlich auf genau dieses Programm, wie stellt man Werke dafür zusammen? Kern des Programms war die „Eroica“ und der Konzerttitel „Träume“ bezieht sich auf dieses Werk. Diese Sinfonie ist ein „Traum von einer Revolution“, sollte Napoleon gewidmet werden. Sie beschäftigt sich mit Heldentum, aber auch dem enttäuschten Heldentum, der zerstörten Illusion. Beethoven hat die Widmung an Napoleon getilgt, als der sich zum Kaiser krönte.
„Träume“ ist auch die Brücke zum Einleitungsstück „Disillusioned Dreamer“ von Hannah Kendall. Kendall zitiert hier den Roman „Invisible Man“ von Ralph Ellison, Klassiker der afroamerikanischen Nachkriegsliteratur und Lieblingsbuch von Barack Obama. Für diesen „unsichtbaren“, namenlosen Schwarzen hat sie ihre Musik geschrieben, in Hannover in europäischer Erstaufführung zu hören. Der Roman ist ein (enttäuschter) Traum von Freiheit und Gleichheit. Schon länger ist es Ziel des Opernhauses, Musik von „People of Colour“ auf den Spielplan zu setzen. Zu klären war da, welche Stücke von wem gefallen Dirigenten und Konzertdramaturgin, welche davon passen dann thematisch? Eine Liste von 25 Kandidatinnen und Kandidaten wurde so erstellt, deren Musik durchgehört. Hannah Kendall ist eine junge Komponistin, in den USA wurden Werke von ihr schon von großen Dirigenten und Orchestern gespielt, in Europa war sie bisher kaum zu hören – das Interesse war geweckt.
Einmal in jeder Saison möchte Stephan Zilias Solisten aus dem Orchester die Möglichkeit bieten, ihr Können in einem Solokonzert zu beweisen. So fiel diesmal die Wahl auf dieses Paukenkonzert, in dem Arno Schlenk, seit 1999 Solo-Pauker des Niedersächsischen Staatsorchesters, auftreten wird.
Nach dieser spannenden Einführung ging es dann hinein in den Probensaal. Er ist hineingebaut in den früheren Saal der Landesbühne, ein viereckiger Kasten mit Holzverkleidung, etwas ansteigend, mit CO2-Messgerät an der Wand. Swantje Köhnecke gab uns Ohrstöpsel mit, denn „es wird laut!“. Wir Gäste durften nur mit Maske hinein und bekamen Plätze an den Seiten. Es war so, als ob man im Konzert hinten neben den Schlagzeugern sitzen würde. Das Orchester begrüßte uns freundlich mit Applaus! Wann bekommt man als Publikum schon mal Applaus – allein das lohnte den Besuch! Ganz leger gekleidet kam Jonathan Stockhammer herein und schon begann die Probe.
Detail für Detail wurde das Paukenkonzert durchgeprobt. Es war eine faszinierende Erfahrung, hier live zuzuschauen. Jonathan Stockhammer legte Wert auf jede Kleinigkeit, insbesondere die Abstimmung zwischen den Instrumentengruppen war ihm wichtig. Die Musikerinnen und Musiker waren voll konzentriert dabei. Ich habe selten so viele Menschen zusammen gesehen, die so aufmerksam zusammen gearbeitet haben, da war echter Teamgeist zu spüren. Ein Orchester hat gearbeitet, nicht einzelne Menschen.
Jonathan Stockhammer erklärte seine Vorstellungen sehr bildlich und prägnant. Ein melodisches Motiv musste durch verschiedene Instrumente wandern: „Dieses Motiv muss wie eine heiße Kartoffel durchs Orchester gereicht werden, sonst klingt es lauwarm“. Und später: „Stellen Sie sich vor, diese Stelle ist der kalte Maschsee – und in die werfen sie die heiße Kartoffel hinein!“ Ganz intensiv wurde auch gemeinsam über die Verteilung von Stimmen und die jeweiligen Lautstärken diskutiert.
Ich war völlig fasziniert davon, dieser Arbeit zuzuschauen. Äußerst beeindruckend war es auch, Orchestermusik mal von einem Platz im Orchester zu hören. Es ist so viel lauter als im Zuschauerraum, es ist ein so anderes Gefühl, ein völlig neues Hörerlebnis. Ich bin mittendrin in den Klangwogen, bin ein Teil von ihnen, werde unmittelbar mitgerissen, lebe die Musik mit. Aber dieses Paukenkonzert trug auch dazu bei! Emotional, wild bewegt, Big Band Sound, leise Stellen wie bei Ligeti oder Penderecki, geheimnisvoll und mystisch, sehr hörenswert und originell. Ich kannte den Komponisten bisher nicht, eindeutig ein Fehler!
An so einer Orchesterprobe muss man einfach mal teilgenommen haben! Es ist mit nichts zu vergleichen. Der Weg dahin ist einfach: Mitglied in der GFO werden! So eine Orchesterprobe allein ist schon den Jahresbeitrag wert!
Achim Riehn