Drittes Sinfoniekonzert: Zartheit, Fröhlichkeit und Emotionen

Dallapicola „Variationen“, Mozart Flötenkonzert, Brahms 4. Sinfonie, drei klangschöne, ganz unterschiedliche Stücke standen auf dem Programm am 07.12.2025. Das verbindende Element des Abends war die Variationsform: ein musikalisches Thema wird umgewandelt, abgewandelt, verwandelt. Dies ist bei Dallapiccola so und das bestimmt den Schlusssatz der Brahmssinfonie.

Schlussapplaus für das dritte Sinfoniekonzert des Niedersächsischen Staatsorchesters. Foto (c): Achim Riehn

Das Niedersächsische Staatsorchester spielte unter Leitung von Francesco Angelico, bis 2025 Generalmusikdirektor in Kassel, als Gastdirigent an vielen bedeutenden Opernhäusern tätig.

Luigi Dallapiccola wurde 1904 in Istrien geboren. Er lernte früh Alban Berg und Anton Webern kennen, begeisterte sich für die Zwölftonmusik. Mit dieser Musik fremdeln viele Zuhörer (ich auch), aber bei Dallapiccola klingt das von Melodie erfüllt, warm und klangintensiv. In seinen „Variationen für Orchester“ aus dem Jahr 1954 wird zentral eine Zwölftonreihe verwendet, die auf dem Tonmonogramm B-A-C-H basiert. Die elf Variationen sind dabei überraschend vielgestaltig, jede hat ihr eigenes Wesen. Die Zwölftonreihe zieht sich wie ein fast unsichtbarer Faden durch das musikalische Gewebe. Die kenntnisreiche Einführung von Arno Lücker war zum Verständnis dieser Musik sehr hilfreich.

Die „Variationen“ sind dunkle, eher nächtliche Musik. Alles ist sehr klangschön und fast überraschend melodisch. Wie ein Trauermarsch beginnt es, schreitend, zart, schwingend, glockenartig. Kammermusikalische, elegische Variationen wechseln mit turbulenteren und fast dramatischen Variationen, aber das Zarte überwiegt. Das Stück endet ruhig, in weiten Bögen klingt die Musik aus, elegisch, leise verklingend. Das Orchester ließ die Farben dieses Stückes leuchten, betonte die Zartheit dieser Musik. Das war fast intim, fast Kammermusik, das machte zwölftöniges Vergnügen.

In Mozarts Flötenkonzert G-Dur aus dem Jahr 1777 finden sich Variationen eher in den Stimmungen und Abtönungen wieder, die sich im Miteinander von Soloflöte und kleinem Orchester ergeben. Als Solistin erlebten wir die international gefragte Flötistin Tatjana Ruhland.

Dieses Flötenkonzert ist beschwingt und fröhlich mit nur wenigen melancholischen Untertönen. Es ist für mich eine Art von behaglicher Wohlfühlmusik. Der erste Satz ist lebhaft und hell. Die Soloflöte klingt wie ein froher Vogelgesang im Frühling. Der zweite Satz beginnt elegisch, eher ruhig und klangschön geht es weiter. Soloflöte und Orchester treten hier in einen besonders intimen Dialog, es ist ein sanftes Zwiegespräch. Hier in diesem Satz ist so etwas wie Melancholie zu spüren. Im Gegensatz dazu ist der dritte Satz tänzerisch, beschwingt, extrovertiert. Fröhlichkeit dominiert hier. Das Orchester unter Francesco Angelico betonte das Beschwingte dieser Musik, verwandelte sie wirklich in etwas zum Wohlfühlen. Tatjana Ruhland spielte den Solopart mit viel Gefühl, technisch präzise, fügte sich perfekt ein. Für den großen Beifall bedankte sie sich mit einem Stück von Carl Nielsen, von der Harfe begleitet.

Nach der Pause folgte die 4. Sinfonie von Brahms. In dieser Sinfonie aus dem Jahr 1885 ist der vierte Satz als Variationensatz aufgebaut. Das Thema wird dabei kaum wiederholt, sondern stetig weiterentwickelt, fortgesponnen. Brahms ist ein Meister der Form. Für mich ist seine 4. Sinfonie Musik gewordener Klassizismus, Musik gewordene Struktur. Sie ist für mich das Opernhaus des Architekten Laves in Hannover in Musik gegossen: klassische Gestaltung aufgreifend, klar in den Formen und Proportionen, ohne Überschwang. Die Emotionen sind gemäßigt, nie aufgesetzt oder plakativ, in die Musik und die Struktur hineingewoben.

Der erste Satz der Sinfonie fließt fast elegant dahin, das ist edle Musik. Der ruhig, gemessen dahinschreitende zweite Satz setzt die Stimmung des ersten Satzes fort. Der dritte Satz zieht dann das Tempo an. Er ist energisch vorantreibend, fast trotzig manchmal, aber auch mal triumphierend. Wie von inneren Kräften angetrieben, fließt die Musik des vierten Satzes voran, ein musikalischer Gedanke wird vielgestaltig variiert. Ein ruhiger Mittelteil klingt fast kammermusikalisch.

Das war heute eine großartige Interpretation dieser Sinfonie durch das Orchester unter Francesco Angelico. Ich erlebte eine Darbietung, die die Emotionen auflodern ließ. Die ersten beiden Sätze klangen edel, fast vornehm, das Tempo war noch gemäßigt. Im dritten Satz brachen dann die Emotionen aus der Musik heraus, das war wild, heftig, energisch. Auch der vierte Satz erklang viel emotionaler, als ich es erwartet hatte. Francesco Angelico legte die in der Struktur der Musik verborgene Energie und die Gefühle frei. Das erinnerte fast an Gefühlsausbrüche der Romantik. Das Orchester spielte großartig, besonders hervorheben möchte ich Hörner, Posaunen und die Soloflöte im ruhigen Mittelteil des vierten Satzes.

Das war ein sehr schönes Konzert, sehr abwechslungsreich, sehr gut gespielt. Das hat Spaß gemacht. Das Publikum reagierte zu Recht mit Begeisterung. Zwischen den Sätzen des Flötenkonzerts wurde intensiv geklatscht, zwischen den Sätzen der Sinfonie herrschte Stille. Fasst das Publikum diesen Mozart als Unterhaltungsmusik auf, wo das Klatschen dazugehört? Vielleicht ändert sich einfach auch das Verhalten des Publikums im Konzert. Ich fand das interessant und bemerkenswert.

Text: Achim Riehn

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