Probenbesuche sind faszinierend, man schaut vor der Premiere in eine noch nicht fertige Inszenierung. Auch diesmal war es wieder spannend. Es sind noch zehn Tage bis zur Premiere, entsprechend „roh“ ging es auf dieser Bühnenorchesterprobe der zweiten Hälfte der Oper zu.
Zum kurzen Vorgespräch konnte Dramaturgin Julia Huebner den Regisseur Ersan Mondtag, den Dirigenten Giulio Cilona und Simon Lesemann (künstlerische Mitarbeit) begrüßen.
Heinrich Marschners Oper steht stilistisch zwischen Weber und Wagner. Die deutsche Oper entwickelte sich von der romantischen Spieloper hin zum Musikdrama. „Der Vampyr“ ist dafür ein ganz wichtiges Beispiel. Giulio Cilona erläuterte, dass die Oper aus diesen Gründen sehr vielfältig und spannend ist. Elemente aus beiden Richtungen mischen und überlagern sich, sind miteinander im Wettstreit. Das Musikdrama war als Gattung noch nicht ausgereift, das merkt man manchmal der Oper an. Es gibt daher einige leichte Kürzungen, um es einheitlicher zu gestalten.
Ersan Montag und Simon Lesemann gingen dann auf das Inszenierungskonzept ein. Wie inszeniert man eine Oper über einen Vampir? Es muss in die Zeit passen und darf nicht unfreiwillig komisch wirken. Die Inszenierung nimmt deshalb Bezug auf den Kern des Vampirmythos. Ein Vampir gehört zu einer ausgegrenzten, stigmatisierten Gruppe. Die Menschen haben vor ihnen Angst, sie versuchen, diese Gruppe zu vernichten. Der Kampf gegen Vampire steht damit für rassistisch motivierte Verfolgungen. Dann gibt es noch das Aussaugen, das sich auch in unserer materialistischen Welt manifestiert. Unsere Gesellschaft wird zum Beispiel ausgesaugt von Wirtschaftsoligarchen. Diese beiden Aspekte sind der im Libretto erzählten Geschichte des erotisch anziehenden Vampirs hinzugefügt. Sie dominieren das Geschehen auf der Bühne nicht, sie sind unterschwellig als Zeichen und als Assoziationsfläche gegenwärtig. Im Bühnenbild findet sich das zum Beispiel als das Portal der niedergebrannten Synagoge in Hannover und als Front des Braunschweiger Schlosses (einer Einkaufs-Galerie) wieder.
Nach diesen Erläuterungen war ich dann schon sehr gespannt, die Probe des zweiten Aktes der Oper zu sehen. Ersan Mondtag hatte nicht zu viel versprochen, die Fassade des Braunschweiger Schlosses machte einen prächtigen Eindruck. Neon leuchtete, aber es gab auch Zeichen des Verfalls. Das Schloss stand auf einer Drehbühne, seine Rückseite verwandelte sich so in eine monumentale Totenhalle mit übergroßen Nonnenstatuen. Das große Portal des Schlosses diente als Übergang zwischen beiden Seiten. Da können wir uns als Publikum auf etwas für das Auge freuen!
Generalmusikdirektor Stephan Zilias führte mit präzisen Ansagen durch die Probe. Es gibt in den Musiknummern unheimlich viel Bewegung und Aktion. Sängerinnen, Sänger, Chor, Statisterie, alles steht auf der Bühne, alles muss blitzschnell in neue Bilder eintauchen. Das funktionierte schon ganz gut. Eine Regieassistentin wuselte ständig zwischen den Menschen herum, positionierte sie anders, gab Hinweise. Das Zuschauen hatte beinahe etwas von Comedy. Geprobt wurde in Alltagsbekleidung.
Nach der Probe stand Julia Huebner für Fragen zur Verfügung. Wir hatten siebzig Minuten Musik gesehen, dazu kommen noch ungefähr zehn Minuten gesprochener Text. Dieser Text war auf der Probe ausgelassen, es gab nur Stichwortansagen. Die Inszenierung der Musikpassagen dieses zweiten Aktes der Oper war für mich ganz nah am Libretto, möglicherweise gehen die Sprechanteile dann mehr auf die beiden weiteren Ebenen der Inszenierung ein. Drei Schauspielrollen in der Besetzung deuten darauf hin.
Die Kostüme werden sehr opulent sein, so Julia Huebner. Wirklich unheimliche Masken sind für die Gefährten des Vampirs vorgesehen. Ich bin gespannt auf eine sehr prachtvolle Inszenierung, auf ein Fest für das Auge. Und ich freue mich auf eine Musik, die ganz viel vom „Fliegenden Holländer“ vorwegnimmt! Und ich freue mich auf die nächste Kostprobe!
Achim Riehn