Selten habe ich an einem Probenbesuch teilgenommen, der in mir so viel Spannung auf eine Inszenierung und die Oper dahinter weckte wie dieser.
Der Andrang war groß, im Marschnersaal reichten die Plätze fast nicht aus. Vor dem eigentlichen Probenbesuch gab es eine kurze, informative Einführung. Dramaturgin Sophia Gustorff hatte dazu den Regisseur Daniel Kramer zu Gast. Er hat hier vor zwei Jahren „Nixon in China“ in einer sehr farbenprächtigen, witzig-phantasievollen Inszenierung auf die Bühne gebracht. Aus der damaligen Kostprobe hatte ich ihn noch als humorvollen und gleichzeitig ernsthaften Menschen in Erinnerung, das war auch diesmal so.
„Satyagraha“ ist für ihn ein „sehr besonderes Stück“. Diese „große Oper der Minimal Music“ führt uns in eine politisch besondere Welt, die des gewaltfreien Widerstands. Die Oper zeigt biographische Szenen aus dem Leben Gandhis, eine eigentliche Handlung gibt es nicht. Es ist ein bisschen so, als ob man in einem Fotoalbum blättert. Das gibt einer Inszenierung sehr viel Raum. „Satyagraha“ ist eine Meditation über das Leben und Wirken Gandhis. Gandhi ist ein Mythos, ist zum Mythos geworden. Was bedeutet er heute für uns? Was bedeutet uns heute sein Weg des gewaltfreien Widerstands? Das sind immer wieder aktuelle Fragen. Hauptperson ist für Daniel Kramer eindeutig der Chor, das sind „the people“.
„Satyagraha“ hat als Text Ausschnitte aus dem Versepos Bhagavadgita, der bedeutendsten Schrift des Hinduismus. „Satyagraha“ bedeutet „Festhalten an der Wahrheit“. Für Daniel Kramer ist es eine Kraft, die Kraft des gewaltfreien Voranschreitens. Das setzt eine gereinigte Seele voraus.
Nach diesem schon mal sehr interessanten Vorgespräch ging es in die Probe. Wir sahen in einer Bühnenorchesterprobe den Beginn der Oper. Einige Sängerinnen und Sänger konnten nicht dabei sein, ihre Aktionen wurden durch die Regieassistentin markiert. Ich darf noch nichts verraten – aber dieser Beginn ist in dieser Inszenierung einer der faszinierendsten, atemberaubendsten Momente, den ich jemals auf der Bühne gesehen habe. Das ist unglaublich spektakulär!! Liebend gern hätte ich das gefilmt (aber das war wie immer nicht gestattet). Ich hätte diese Szene nicht spielen können, niemals im Leben! Dazu kommt eine so unglaublich melodische, beruhigende, in Trance versetzende Musik, dass man nach ganz kurzer Zeit jedes Gefühl für Zeit und Raum verliert.
Danach mussten wir alle irgendwie in die reale Welt zurückkommen. Das war auch wichtig, denn es gab noch ein Nachgespräch, in dem GMD Stephan Zilias zu Gast war und mit uns sehr spannend über die Musik diskutierte. Diese Musik ist eine Herausforderung für den Dirigenten! Er muss immer genau wissen „wo bin ich?“. Und diese Sicherheit muss er dem Orchester, dem Chor und den Sängerinnen und Sängern jederzeit geben. Der Kopf des Dirigenten muss also vollkommen frei von der einsetzenden Trance sein. „Das Dirigieren ist hier ein Akt ganz großer Selbstdisziplin!“ Auch für das Orchester ist diese trügerische Einfachheit sehr schwer zu spielen und erfordert fast übermenschliche Konzentration. Deswegen wird es auch nach jedem Akt eine Pause geben.
„Satyagraha“ war die erste Oper von Philip Glass für klassisches Orchester. Die Musik ist von ganz großer Meisterschaft. Mit minimalen Mitteln wird größter Eindruck erzielt. „Die Mittel sind minimal, die Wirkung ist maximal“. Es gibt in dieser Oper weder Blechbläser noch Schlagwerk. Das ist eine ganz eigene Klangsprache, die Glass hier gewählt hat.
Die Musik ist von indischer Musik inspiriert. „Die Musik der Oper schreit nach Bildern“, sie braucht das Licht, den Raum, die Bühne. So kann das entstehen, was Glass beabsichtigt hat: totale Entspannung, Ekstase, rauschhafte Zustände. Der Text ist in Sanskrit, das kann kaum jemand im Publikum verstehen. Es wirkt damit wie eine Art Beschwörung, das trägt stark zum meditativen Charakter bei.
Mein Eindruck: Wer das verpasst, der versäumt etwas wirklich Besonderes! Hingehen und entschleunigen! Die Premiere ist am 06.09.2024.
Achim Riehn