Probenbesuche sind unglaublich spannend! Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann sollte man unbedingt hingehen! Man bekommt Einblicke in neue Produktionen, bevor sie auf die Bühne kommen. Zu Verdis „Otello“ konnte ich sogar an zwei Proben teilnehmen, der erste Probenbesuch war im Rahmen des allgemeinen Angebots. Der zweite Besuch war exklusiv (und kostenlos) für GFO-Mitglieder. Es war faszinierend, wie sich die Produktion in dieser Woche weiterentwickelt hatte!
Beim ersten Probenbesuch gab es im Marschnersaal eine kleine Einführung durch die Chefdramaturgin Regine Palmai und den Regisseur Immo Karaman. Für Immo Karaman war dieser Tag der ersten Durchlaufproben ein ganz berührender, unglaublicher Moment. Es konnte wieder auf der Bühne agiert werden, ohne Abstände, endlich wieder. Die Freude darüber war in jedem seiner Worte zu spüren.
Beide gingen dann auf das Konzept für die Inszenierung ein. Auslöser waren für sie die Startszene und die Schlussszene der Oper. Ein Kriegsheld kehrt zu Beginn heim aus dem Krieg, öffentlich gefeiert. Dieser Mann ermordet am Ende seine Frau, ein privates Drama. Was ist der Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen, was hat zu dieser Entwicklung geführt? Was sind die psychologischen Hintergründe? Für Immo Karaman ist es wichtig, diese zugrundeliegenden Konfliktstrukturen in einer Sprache von heute offenzulegen, damit der Opernstoff nicht an Aktualität verliert. Auf „Otello als Mann schwarzer Hautfarbe“ wird die Inszenierung nicht eingehen. Mehr möchte ich vor der Premiere nicht verraten!
Leider gab es beim zweiten Probenbesuch keine Einführung. Das war schade, denn so etwas trägt doch immer zum Verständnis der Inszenierung bei. Wir aus der GFO hätten das auf jeden Fall genossen.
Am 19. Oktober erwartete uns eine erste Durchlaufprobe des 3. und 4. Aktes. Zum ersten Mal kam alles auf der Bühne zusammen: Bühnenbild, Licht, Sängerinnen und Sänger, Chor, Orchester. Zum ersten Mal setzte sich für alle Beteiligten all das zusammen, was vorher in Einzelteilen geprobt wurde. Wir sahen live, wie Theater entsteht. Immo Karaman nannte das „einen Blick durchs Schlüsselloch in ein Weihnachtszimmer, das eigentlich noch nicht zugänglich sein sollte“.
Am 25. Oktober ging es direkt in die Probe, Regine Palmai begrüßte uns im Zuschauerraum. Diesmal sahen wir einen Durchlauf durch den 1. und 2. Akt. Jetzt erschloss sich mir das Geschehen der zwei Schlussakte aus der ersten Probe besser, wir sahen ja jetzt den Beginn zum schon bekannten Schluß. Aber irgendwie war das auch realistisch, viele Dinge erschließen sich auch in der Realität erst im Rückblick.
„Weißt du, wie das wird?“ Wir wissen das jetzt, wir kennen einen Teil des Geheimnisses. Natürlich werde ich nichts verraten, aber das Konzept wurde aus meiner Sicht schlüssig umgesetzt. Das Bühnenbild ist schlicht und auf die Personen konzentriert. Die Parallelwelten des Otello, Realität und Trauma, Realität und Erinnerung, sie entstehen vor dem Auge des Zuschauers. Die Oper ist in die Gegenwart geholt, ohne dem Stoff Gewalt anzutun. Gebannt schaute ich zu.
Das Bühnengeschehen am 19. Oktober machte für eine erste Durchlaufprobe schon einen sehr stimmigen Eindruck. Während die Probe durchlief, gab es laufend Korrekturen auf der Bühne: Personen wurden an die richtige Stelle geschoben, Requisiten neu positioniert, das war für uns im Publikum nicht ohne eine gewisse Komik.
In der Probe am 25. Oktober war das Geschehen auf der Bühne schon sehr viel geordneter als beim ersten Probenbesuch. Am Vormittag hatte es schon einen Durchlauf gegeben. Martin Muehle als Otello hatte heute seine extrem anspruchsvolle Rolle zweimal zu singen. Ich bin voller Bewunderung für Menschen, die so etwas zweimal am Tag abliefern können!
Die Zeit verging bei beiden Proben wie im Flug. Ich bin sehr gespannt auf das Endergebnis, insbesondere auf Sängerinnen und Sänger, Chor und Orchester. Aber hört (und schaut) dann selbst! Verdis Musik ist auf jeden Fall eine Wucht!
Achim Riehn