Funkelnde, poetische Skizzen – so lässt sich die Auswahl der Musikstücke für dieses Konzert zusammenfassen. Stimmungsbilder von Mussorgski, Ausschnitte aus „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ und die „Bilder einer Ausstellung“, trafen auf das auf andere Art poetische Saxophonkonzert von Glasunow.
Das Niedersächsische Staatsorchester spielte diesmal unter der Leitung des lettischen Dirigenten Ainārs Rubiķis, der zuletzt Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin war. In diesem Konzert war er erstmals zu Gast beim Niedersächsischen Staatsorchester. Als Solistin im Saxophonkonzert hörten wir die 1990 in der Ukraine geborene Internationale Adolphe-Sax-Preisträgerin Asya Fateyeva.
Modest Mussorgski (1839–1881) komponierte seine komische Oper „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ zwischen 1874 und 1881, vollendete sie jedoch nicht. Die Uraufführung mit Klavierbegleitung fand Ende 1911 in Sankt Petersburg statt. Nach seinem Tod gab es mehrere Versuche, die Oper zu vervollständigen. Der Komponist Anatoli Ljadow instrumentierte einzelne Nummern daraus, in dieser Version waren Ausschnitte in diesem Konzert zu hören. Mussorgski hat viele ukrainische Volksweisen in diese Musik einfließen lassen, was sie frisch und farbenfroh macht.
Die Ouvertüre bildet das bunte und turbulente Treiben auf dem Jahrmarkt ab. Das ist stimmungsvoll, gesanglich, romantisch. Tanzklänge wie auf einem Volksfest mischen sich dazu. Die romantische Stimmung kehrt wieder, dann geht die Musik in den „Gopak“ über, einen beschwingten, fröhlichen Hochzeitstanz. Das war mit dieser spritzigen und erfrischenden Musik genau das richtige Eröffnungsstück für das Orchester.
Alexander Glasunow (1865–1936) war ein bedeutender russischer Komponist und zugleich ein hoch angesehener Lehrer am Sankt Petersburger Konservatorium, das er von 1905 bis 1930 leitete. Seine Musik zeichnet sich durch handwerkliche Meisterschaft und eine souveräne Beherrschung der Kompositionstechnik aus. Sie ist brilliant instrumentiert und voller Farben. Das 1840 entwickelte Saxophon ist selten im Sinfonieorchester präsent. Kurz vor Ende seines Lebens schrieb Glasunow auf Anregung des dänischen Saxophon-Virtuosen Sigurd Rascher das einsätzige Konzert für Altsaxofon und Streichorchester op. 109, das sich rasch im Repertoire durchsetzte.
Gesanglich und romantisch beginnt das Stück im Orchester, das Saxophon nimmt diese Stimmung auf. Diese Elegie wird durch eine kurze virtuose Passage abgelöst, dann kehrt die Romantik des Beginns wieder. Das ist sehr stimmungsvolle Musik. „Wie eine abendliche Landschaft“, das war meine spontane Assoziation. Das Saxophon ist hier fast wie eine Gesangsstimme geführt, zart und sanft. Dann verwandelt sich die Musik in einen sehr romantischen und stimmungsvollen Tanz. Fast kapriziös geht es weiter, es endet mit einem kecken Schluss.
Es war wirklich beeindruckend, wie Asya Fateyeva alle Facetten dieser Musik abbildete, mit perfekter Virtuosität. Das Saxophon sang in den ruhigen Passagen wirklich, ließ die Musik in den schnelleren Passagen glitzern und funkeln. Wunderbar! Asya Fateyeva bedankte sich mit einem Tango von Astor Piazzolla für den verdienten Beifall.
Mussorgski komponierte die „Bilder einer Ausstellung“ im Jahr 1874 als Klavierzyklus. Es ist ein Hauptwerk der Programmmusik, voller Bilder und voller unterschiedlicher Eindrücke. Der Komponist setzt den Rundgang durch eine Bilderausstellung in Töne und musikalische Farben um. Im Jahr 1922 bearbeitete Maurice Ravel das Stück für großes Orchester, in dieser Fassung trat das Stück seinen Siegeszug um die Welt an. Maurice Ravel erweckte die Farben des Stücks zu voller Pracht. Er integrierte auch ein Altsaxophon in das Orchester, womit wir hier an den ersten Teil des Konzerts anknüpfen.
Die „Bilder einer Ausstellung“ sind eines der bekanntesten Werke für Sinfonieorchester überhaupt. Ich behaupte, wirklich fast alle haben die eingängigen Melodien in Kopf. Dirigent und Orchester müssen alle diese Farben und Stimmungen herausarbeiten und sie müssen das Publikum über das Gewohnte heraus ansprechen. Das gelang an diesem Abend sehr gut und mitreißend. Bizarr, zerrissen und voller Kontraste kam der „Gnomus“ daher, voll würdevoller Majestät sahen wir „Das alte Schloss“ vor uns (tolles Saxophon-Solo), beschwingt, frech und verspielt die tobenden Kinder in den „Tuilerien“. „Bydlo“, der Ochsenkarren, war ein erster Höhepunkt. Unheimliche Musik wie ein dunkler Trauermarsch war dies, die sich zu einer großen Steigerung auftürmte, um dann wieder zu verdämmern. Ich sah den schwankenden Karren mit seinem unheimlichen Wagenlenker wirklich vor mir. Das „Ballett der Küken“, ein frecher, hüpfender, aufgeregter Tanz, ein Spiel der Rhythmen, es gelang wunderbar und präzise.
Gut wurden auch die zwei Welten in „Samuel Goldberg und Schmuyle“ abgebildet, großsprecherischer Protz und unterwürfige Töne fast ohne Melodie. Beschwingt gelang der „Marktplatz von Limoges“, dunkel und voller erstarrter Klänge die „Katakomben“ (tolle Bläser!). In „De Mortuis“ ist das die Stücke verbindende Promenadenthema eingedunkelt, in musikalischen Nebel gehüllt, hier ließ das Orchester die Musik impressionistisch schimmern.
Die „Bilder einer Ausstellung“ enden fulminant mit zwei der mitreißendsten Stücke. „Die Hütte der Baba-Jaga“ ist bedrohlich, unheimlich, fast gewalttätig aggressiv, der Mittelteil klingt sehr unheimlich. Herrlich wurde das umgesetzt, das war wirklich fast angsteinflößend. Majestätisch, königlich voranschreitend, fast triumphal endet der Zyklus: „Das große Tor von Kiew“. Großartig gelang die Steigerung, sehr beeindruckend. Mir war hier das von Ainārs Rubiķis gewählte Tempo ein kleines bisschen zu langsam, aber das ist Geschmacksache.
Enthusiastischer, nicht enden wollender Beifall des recht jungen Publikums belohnte Orchester und Dirigenten. Das war auch verdient. Zum Schluss verabschiedeten GMD Stephan Zilias und Intendantin Laura Berman den Hornisten Horst Schäfer, der in den Ruhestand geht (und heute auch noch Geburtstag hatte). Das Publikum nutzte das für neue Begeisterungsstürme.
Tex: Achim Riehn