Musik weckt Gefühle, Musik versetzt uns in Stimmungen, ruft Erinnerungen hervor. Genau um diese Macht der Musik ging es in diesem sommerlich-leichten Abschlusskonzert der Saison. Die erste Konzerthälfte versetzte uns mit spielerischen, beschwingten Melodien von Mozart und Haydn in die Welt der Wiener Klassik zurück. Mit Ravel und Strauss blickten wir dann fast sehnsuchtsvoll aus dem kriegserfüllten Zwanzigsten Jahrhundert auf diese Welt zurück.
Am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters stand Nuno Coelho, geboren 1989 in Porto, einer der aufstrebenden Dirigenten der jüngeren Generation. Im gelang zusammen mit dem Orchester und dem Solisten ein begeisternder Abend.
Mit der in Salzburg entstandenen Sinfonie Nr. 33 B-Dur bricht der dreiundzwanzigjährige Wolfgang Amadeus Mozart in neue Welten auf. Dem Geschmack seiner Zeit folgend hatte er dieses Stück zuerst in drei Sätzen angelegt. Für eine Aufführung in Wien einige Jahre später fügte er dann das „Menuetto“ des dritten Satzes hinzu. Die Besetzung ist klein, zu den Streichern kommen nur zwei Oboen, zwei Fagotte und zwei Hörner hinzu. Die Musik ist im Gegensatz dazu außerordentlich reichhaltig und abwechslungsreich. Es war zu der Zeit üblich, in den Durchführungen der Sätze die Themen des Beginns kunstvoll zu verarbeiten. Mozart aber fügt neue Themen hinzu und schüttet das ganze Füllhorn seiner Melodien über uns aus.
Diese Musik klang in diesem Konzert klar wie reines Wasser, durchsichtig wie ein Kristall. Jede melodische Wendung war hörbar. Man merkte, dass das Orchester die Musik der Wiener Klassik liebt. Nuno Coelho leitete mit Schwung und zügigen Tempo durch die Musik. Behäbigkeit kam so nicht auf, nichts war vom Staub der Jahrhunderte zu spüren. Besonders keck und fast frech klang der vierte Satz.
Das Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 C-Dur von Joseph Haydn war fast zweihundert Jahre verschollen. Bekannt waren nur die Anfangstakte, die Haydn in einen Katalog seiner Kompositionen verzeichnet hatte. Erst im Jahr 1961 fand sich im Prager Nationalmuseum eine Abschrift der Orchesterstimmen und das Werk konnte wieder erklingen.
Als Solist war in diesem Konzert der spanische Cellist Pablo Ferrández zu hören, 1991 in Madrid geboren. Es war der erste Auftritt in Hannover des Preisträgers des XV. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs 2015 – und hoffentlich nicht der letzte.
Das Konzert ist noch kleiner besetzt als die Mozart-Sinfonie – Streicher, zwei Oboen, zwei Hörner. Die Cello-Stimme ist in der Partitur in „Solo“- und „Tutti“-Abschnitte gegliedert. Offenbar sollte der Solist auch die Tutti-Passagen mitspielen. Die Musik ist virtuos, wie in einem Concerto grosso des Barocks werden Solo-Abschnitte und Tutti-Passagen deutlich abgegrenzt gegenübergestellt. Das Solo-Cello hat viele anspruchsvolle Passagen in den hohen Lagen. Der mittlere Satz ist gesanglich und intim, mit ganz zarter und leider Begleitung der anderen Instrumente.
Das wurde von Orchester und Solist außerordentlich klangschön gespielt, mit viel Sinn für jedes Detail. Unerhört präzise gelang das Zusammenspiel zwischen allen Beteiligten. Pablo Ferrández ließ sein Instrument singen, alles war voller Emotion, voller Ausdruck. Besonders gefiel mir der langsame, zweite Satz, der mit fast atemberaubender Intensität von Solist und Orchester gestaltet wurde. Die von Nuno Coelho gewählten Tempi ließen in keinem Satz Betulichkeit aufkommen, die Musik leuchtete klar und lebendig.
Nach der Pause ging es aus der Wiener Klassik hinein ins Zwanzigste Jahrhundert. In den „Valses nobles et sentimentales“ für Orchester blickt Maurice Ravel auf die Welt von Franz Schubert zurück. Der Titel erinnert an zwei Walzersammlungen Schuberts für Klavier, die Valses nobles und die Valses sentimentales. „Edel“ und „gefühlvoll“, das sind die passenden Übersetzungen. Ravel schrieb seine Folge von acht Walzern ursprünglich für Klavier, später orchestrierte er sie dann.
Ravel liefert uns hier ein entzückendes Kaleidoskop von Walzerstimmungen, die an Schubert bis hin zu Johann Strauß erinnern. Es sind kleine Impressionen, verwehte Erinnerungen an eine walzerselige Zeit. Dirigent und Orchester gestalteten dies mit fast schattenhaften Farben, fast wehmütig, das waren gleichsam Blicke durch Milchglas in die Vergangenheit.
„Der Rosenkavalier“ ist die erfolgreichste Oper von Richard Strauss. Nach den Schockern „Salome“ und „Elektra“ tauchte er hier tief in die Welt des Rokoko ein. Die Moderne mischt sich mit zutiefst romantischen, im besten Sinne sentimentalen Klängen. Schnell eroberten Auszüge daraus auch die Konzertbühnen. Die Suite des Konzerts wurde 1944 von Chefdirigenten des New York Philharmonic Orchestra, Artur Rodziński, erstellt. Im folgenden Jahr autorisierte sie dann der Komponist.
Die Suite folgt grob dem Ablauf der Oper. Auf die Liebesszene zwischen Octavian und der Marschallin folgt die Rosenüberreichung, Walzer erklingen, auch Anklänge an das Schlussterzett der Oper. Ein beschwingter Walzer bildet den effektvollen Abschluss der Suite. Etwas über zwanzig Minuten lang bekommt man so die Höhepunkte der Oper geboten, ohne, so eine Äußerung Strawinskys im Programmheft, mit zu viel Schlagsahne und Eis gefüttert zu werden.
In dieser Suite konnte das Orchester zu Hochform auflaufen. Die Farben glühten, die Walzer tanzten. Nuno Coelho und das Orchester ließen sich vom Schwung dieser Musik mitreißen, behielten aber immer die Kontrolle. Rauschender Beifall belohnte diese Darbietung, verdient. Zum Abschluss wurde Solo-Flötist Alexander Stein mit Blumen, großem Beifall des Publikums und einer kleinen Rede von GMD Stephan Zilias nach 41 Jahren im Orchester in den Ruhestand verabschiedet. Nichts hätte dazu auch besser gepasst als der schwungvolle, mitreißende Walzer, der das Finale der Suite bildet!
Vielleicht konnte es kaum einen passenderen Abschluss für die Saison geben wie dieses Konzert. Vor der Pause sind wir in einer reinen, klaren Welt der Musik, einer Welt der Vergangenheit. In der zweiten Konzerthälfte blicken wir zurück auf diese Welt, zurück in selige Paradiese, schauen zurück aus einer Welt des Krieges, der Pandemie und der Ungewissheit. Musik aber gibt Hoffnung, Musik tröstet, diese Kraft hat sie, zum Glück.
Achim Riehn