Im dritten Sinfoniekonzert der Saison standen Werke dreier Klangmagier im Fokus – Ravel, Debussy und Zemlinsky. Wie nutzen diese drei Komponisten die Möglichkeiten, Farbe in der Musik zu erzeugen, um ihre ganz unterschiedlichen Klangwelten zu realisieren – das war der Kern des Konzerts. So erläuterte dies in der Einführung Jordan de Souza, seit 2017 Erster Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin, der diesmal das Niedersächsische Staatsorchester leitete. Die Erwartung war geweckt, sie wurde großartig erfüllt.
Den Auftakt bildete das „Menuet antique“ von Maurive Ravel. Ursprünglich handelte es sich hier um ein frühes Klavierstück des Komponisten, diese jugendliche Frische ist zu spüren. Als gereifter Komponist hat Ravel dann die gehörte Orchesterfassung geschaffen. Die altertümliche Tanzform des Menuetts wird in die Farben des Impressionismus getaucht.
Ravel überzieht diese konventionelle Struktur gleichsam mit glitzernden Farbspritzern, gibt kleinsten Einheiten eine individuelle Färbung. Diese kurze Stück erwies sich so als schwungvolle Ouvertüre für das Konzert und präsentierte die solistischen Fähigkeiten aller Instrumentengruppen wie auf einem Tablett.
„La Mer“ von Claude Debussy ist eines der zentralen Werke des französischen Impressionismus. Drei sinfonische Bilder schildern dabei nicht realistisch das Meer, sondern geben verschiedene Facetten des Meeres wieder. Sie arbeiten die Essenz heraus, die Gefühle, wenn man sich aus der Ferne an den Ozean erinnert. Diese Erinnerung verwandelt sich hier in glitzernde, gleißende Musik.
Der erste Satz „Morgengrauen bis Mittag auf dem Meer“ beginnt leise, wie ein gewispertes Geheimnis, Stille über dem Wasser. Über diesem glitzernden Teppich erheben sich Fanfarenmotive wie leuchtende Musikpunkte. In der Musik leuchtet die Sonne so strahlend und klar wie über dem Meer. Im zweiten Satz „Spiel der Wellen“ funkeln und gleißen die Klänge in einem unablässigen Auf und Ab. Das Licht bricht sich in den Wellen und die Musik tut es dem Licht nach. Der dritte Satz „Dialog zwischen Wind und Meer“ ist zuerst eine Art Zwiegespräch zwischen verschiedenen Motiven, mit bedrohlichen Untertönen. Das Stück gipfelt in einer dramatischen Sturmszene und klingt mit einem Hymnus aus, einer Apotheose des Meeres.
De Souza ging dieses Stück sehr energisch und dramatisch an, nichts war zu spüren von Weichlichkeit oder Sentimentalität. Die Klangwelt ist durch von innen heraus leuchtende Klangflächen geprägt. Hier wurden jede Stimme und jedes Detail präzise herausgearbeitet. Alles erschien mir so deutlich wie klares, reines Licht, das in einem Kristall gebrochen wird. Oft höre ich „La Mer“ wie ein eher harmloses Wassergeglitzer gespielt, nichts davon hier. Das Meer ist hier keine blaue Lagune, es ist eine Naturgewalt, voller Ungeheuer unter der Oberfläche. Eine begeisternde Darbietung von Orchester und Dirigent!
Nach der Pause erlebte die „Lyrische Sinfonie“ von Alexander Zemlinsky ihre hannoversche Erstaufführung. 1922/23 komponiert, schaut hier Zemlinsky zurück auf das, was ich immer als musikalischen Jugendstil bezeichne, die spätromantische Musik der Jahrhundertwende am Übergang zum Expressionismus und zur Moderne. Ähnlich wie in Mahlers „Lied von der Erde“ werden Gedichte vertont, hier von Rabindranath Tagore, und abwechselnd von einer Bariton- und einer Sopranstimme gesungen. Die beiden Stimmen stehen dabei in einer Art Dialog zueinander.
Anders als bei Mahler ist die „Lyrische Sinfonie“ ein durchkomponiertes Gebilde, ein musikalisches Liebesdrama mit längeren orchestralen Abschnitten und nur unmerklichen Pausen zwischen den Sätzen. Die Sätze decken das ganze Spektrum ab zwischen Licht und Düsternis, zwischen flirrenden Klängen, die eine traumhafte Stimmung verbreiten und Passagen, die in den Expressionismus und in die atonale Musik hineinweisen. Dabei bleibt die Musik immer verankert im Klangreich der Spätromantik. Der Klangrausch ist von einer anderen Art als der lichtdurchflutete französische Impressionismus, Richard Wagner und Richard Strauss als Ahnen schimmert durch. Mich erinnerte diese Musik an einen Garten, der von einem tropischen Urwald überwuchert wird, voller gedämpfter Farben, getaucht in ein musikalisches Zwielicht.
In der Sopranpartie war Aga Mikolaj zu hören, sie ist ehemaliges Mitglied der Bayerischen Staatsoper und nun weltweit gefragte Konzert- und Operninterpretin. Michael Kupfer-Radecky bot die Bariton-Partie dar. Er ist seit dieser Saison neu im Ensemble der Staatsoper Hannover und ein erfolgreicher Interpret von von Strauß- und Wagner-Partien an großen Opernhäusern Europas. Beide bewältigten ihre schwierigen Partien sehr gut und auch textverständlich (was in den lauteren Passagen eine Herausforderung war). Allen Darbietenden gelang es, das wuchernde Dickicht der dramatischeren Passagen transparent und klar aufzuhellen, ohne an Wucht zu verlieren. An den zarteren Stellen wurde wunderbar herausgearbeitet, worauf es Zemlinsky wohl ankam – Klangzauber durch Mischung von Klangfarben zu einem Pastellklang.
Ein sehr schönes Konzert war zu hören. Die unterschiedliche Herangehensweise der drei Komponisten wurde deutlich. Höhepunkt für mich war der Debussy, den ich selten so beeindruckend gehört habe. Der lange Beifall im fast ausverkauften Opernhaus war mehr als verdient. Weiter so!
Hans-Joachim Riehn