Vorstellung „Märchen im Grand Hotel“ 07.12.2019

Wenn das Publikum so wie hier zum Schluß in langanhaltenden, lauten Jubel ausbricht, es gejohlt wird und es Bravos gibt, dann haben alle rund um das Bühnengeschehen es richtig gemacht. Ein eher leichter Operettenstoff wurde ernst genommen und ohne karikierende Übertreibungen durch den Regisseur Stefan Huber elegant und schwungvoll umgesetzt. Mit berauschender Spielfreude, mitreißendem Gesang, steppenden Kellnern, beschwingten Tanzszenen, bunten Kostümen, viel Gefühl und Witz wurde auch ich begeistert.

Die konventionelle Operettenhandlung ist in diesem Stück in eine Rahmenhandlung eingebettet. Auf der Suche nach einem glamourösen Filmstoff mit Darstellern aus dem Leben macht sich im Vorspiel die Filmproduzententochter Marylou (Valentina Inzko Fink) auf nach Cannes. Dort logiert im Exil die Prinzessin Isabella (Mercedes Arcuri), die sie zur Hauptfigur in ihrem Film ausersehen hat.
In den zwei folgenden Akten läuft dann die eigentliche Operettenhandlung ab. Wir erleben sozusagen den Film mit, der erst gedreht werden soll. Der Kellner Albert (Alexander von Hugo), in Wahrheit der Sohn des Hotelbesitzers Chamoix (Frank Schneiders), verliebt sich in Isabella, die sich in ihn. Isabellas Verlobter, Prinz Andreas (Philipp Kapeller), bandelt mit Marylou an. Die Paare finden sich hier überkreuz und brechen das konventionelle Schema „hohes Paar“ und „niedriges Paar“. Die Verwirrungen sind groß, aber es gibt noch kein Happy End. Albert ist für Isabella nicht standesgemäß und sie kann nicht über ihren Schatten springen.
Im Nachspiel sind wir dann wieder in der Filmfirma. Der Film ist fast fertig, Isabella spielt die Hauptrolle, ein großer Erfolg wird erwartet. Es fehlt nur das Happy End. Aber auch das wird arrangiert. Albert lässt sich in den Hochadel hineinadoptieren und dem romantisch verklärten Ende steht nichts mehr im Wege.

„Märchen im Grand Hotel“ war 1934 ein umjubelter Premierenerfolg in Wien. Die frische Mischung aus Operette, Charleston und Jazz kam beim Publikum an. In Deutschland wurde das Stück wegen der jüdischen Abstammung des Komponisten nicht aufgeführt. Paul Abraham war auf seinem Weg ins Exil.

Das Libretto parodiert das Genre Operette, indem es das übliche Thema der Standesunterschiede fast ironisch aufgreift und die Welt des adligen Exils auf die Welt Hollywoods treffen lässt. In der Musik begegnen sich ebenfalls zwei Welten – Operettenseligkeit trifft auf Tango, Foxtrott und Charleston. Einflüsse aus dem Jazz und aus der damaligen zeitgenössischen Musik sind spürbar. Abraham wurde zu Recht als „der deutsche Gershwin“ bezeichnet. Bei aller Fröhlichkeit und Ironie ist aber eine gewisse Melancholie zu spüren. Figuren sind allein, heimatlos, ein Happy End gibt es nur im Film. Hier spiegelt sich auch das Schicksal von Paul Abraham wider, der nach großen Erfolgen seine Heimat Berlin verlassen musste, um dann in Amerika im Exil zu stranden.

Der lebensprühenden Inszenierung von Stefan Huber gelingt es, diese auch ernsteren Aspekte im Blick zu behalten, ohne dabei den Schwung der Handlung zu unterbrechen und ohne alles mit zu viel Zucker zu überziehen. Stefan Huber hat in Nürnberg „Ball im Savoy“ und an der Komischen Oper Berlin „ Roxy und ihr Wunderteam“ von Abraham inszeniert, mit „Märchen im Grand Hotel“ wird er weiter zur längst fälligen Abraham-Renaissance beitragen.

Für ganz viel Schwung sorgt auch das aufwendige Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter. Auf der fast ständig kreisenden Drehbühne sind drei Drehpodien im Einsatz, die zudem noch durch Drehtüren miteinander verbunden sind. Alles ist in Bewegung, nichts steht still, schnellste Szenenwechsel sind so möglich, blitzschnell wird von der Rezeption in das Schlafzimmer der Prinzessin „gedreht“, das Auge kann kaum folgen. Das ist auch eine echte Herausforderung für die Darsteller, da nichts da stehenbleibt wo es war. Und über allem strahlen leuchtende Lettern: Grand Hotel. Die Kostüme von Heike Seidler sind dazu das Sahnehäubchen, sie geben dem Geschehen das passende, mondäne Hollywood-Flair.

Die Originalfassung der Operette ist durch den Arrangeur Kai Tietje um mehr Tanz und weitere Instrumente erweitert worden. Die vier Klarinetten werden aus Gründen der Ausgewogenheit durch drei Saxophone ergänzt. Wunderbare Stepptanz-Choreographien, entwickelt von Andrea Danae Kingston, machen aus den Zwischenmusiken kleine Höhepunkte. Dazu wurde dem originalen Männerquartett ein ebenfalls steppendes und singendes Frauenquartett hinzugefügt. Diese acht Personen treten als Dramaturgen, Sekretärinnen, Hotelgäste und Hotelangestellte auf, sie verwandeln die Operette in eine Revue, eine beeindruckende Vorstellung!

Das ganze Ensemble ist mit einer solchen Spielfreude dabei, dass es ein wirkliches Vergnügen ist, zuzusehen und zuzuhören.

Alexander von Hugo spielt den tollpatschigen Kellner Albert in bester Musical-Manier. Für seine Solo-Steppnummern bekommt er verdient lauten Szenenapplaus. Auch Valentina Inzko Fink als Marylou steppt und singt mit Bravour.

Mercedes Alcuri als Isabella ist der operettenselige Gegenpol. Ihr leuchtend klingender Koloratursopran gibt der Rolle Verletzlichkeit, Koketterie und gleichzeitig Würde. Wie sie beim Künstlerlunch der GFO erzählte, war der umfangreiche deutsche Text für sie als Argentinierin eine große Herausforderung – auf der Bühne klingt das leicht, locker und perfekt.

Philipp Kapeller gibt der Rolle des Prinzen Andreas mit viel österreichischem Charme wunderbar Kontur, ein Operettentenor, wie er im Buche steht.

Die etwas kleineren Rollen sind ebenfalls hochkarätig besetzt und tragen viel zum sehr guten Gesamteindruck bei. Welches Haus hat schon solche Darsteller wie Frank Schneiders (Hotelchef Chamoix), Carmen Fuggiss (Gräfin Inez) und Daniel Eggert (Großfürst Paul) für Nebenrollen? Auch Ansgar Schäfer (Macintosh), Andreas Zaron (Matard) und Henrike Starck (Mabel) machten ihre Sache großartig.

Das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Florian Groß spielte die Musik in ihrer Mischung aus Schlager, Jazz und Operette lebendig und glanzvoll, mit genau der richtigen Portion Sentimentalität. Bigband können sie auch!

Es war ein schöner Abend, der große Beifall war hochverdient. Eine eindeutige Empfehlung von mir für alle, die mit Niveau unterhalten werden wollen.

Hns-Joachim Riehn

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