Auch bei dieser Kostprobe war wieder jeder verfügbare Platz besetzt. In der Einführung im Marschnersaal erläuterte Dramaturg Martin Muschler zuerst die Handlung dieser Händeloper. Zwei Welten prallen hier aufeinander, die bunte Traumwelt der Zauberin Alcina und die eher nüchterne Welt der weiteren Hauptpersonen. Es ist ein Stück, in dem es um Individuen geht und die Beziehungen, die sie miteinander haben.
Die Inszenierung von Lydia Steier ist eine Übernahme aus Basel, daher geht es laut Martin Mutschler auf den Proben etwas entspannter zu als bei einer Neuinszenierung. Die Inszenierung steht, es geht für alle darum, sie für diese Aufführungsserie für sich zu erarbeiten.
Die Bühnenorchesterprobe selbst verlief dann etwas anders als sonst. Es gab keinen Durchlauf durch den Stück, heute wurde im Detail an den Abstimmungen zwischen Dirigent, Orchester und Darstellern gearbeitet. Es gibt für Barockopern keine in Stein gemeißelte Partitur, das Klangbild muss für die Aufführung gefunden werden. Dirigent Rubén Dubrovsky feilte dabei intensiv an jeder Kleinigkeit. Die Streicher des Niedersächsischen Staatsorchesters wurden im Orchestergraben durch Spezialisten für Barockmusik ergänzt, das Zusammenspiel und der Zusammenklang standen im Mittelpunkt. Fragen wurden diskutiert wie „hier ein Kontrabaß oder zwei?“, „hier mit Dämpfer oder ohne?“. Um das Klangbild zu beurteilen, hörte Rubén Dubrovsky auch mal aus den hinteren Reihen des Parketts einzelnen Passagen zu. Genauso intensiv geschah die Abstimmung mit Sängerinnen und Sängern auf der Bühne, die meist keine Spezialisten für Barockmusik waren. Auch hier ging es um Lautstärke, Tongebung, Klangfärbung. Ich fand es faszinierend, wie freundlich und konstruktiv der Ton war, trotz der vielen Kleinigkeiten und Wiederholungen. Von der prächtigen Inszenierung und den extravaganten Kostümen waren nur Andeutungen zu sehen – aber das erhöht ja die Spannung.
In der Nachbesprechung ging Martin Mutschler dann noch auf viele interessierte Fragen ein. Es war ein spannender Abend und wie immer war er voller Überraschungen. Nie steht fest, was einem gerade konkret in so einer Probe begegnet. Es ist eben live und keine Konserve. Zweieinhalb Stunden muss man dafür einplanen (dreißig Minuten jeweils für Vor- und Nachbesprechung, neunzig Minuten Probe), aber es lohnt jede Minute.
Hans-Joachim Riehn