Auf der Seite der Staatsoper stand die Ankündigung für einen „City of Music Talk“ im Hof des MusikZentrums mit unserem GMD Stephan Zilias. Die Ankündigung klang sehr interessant: „Es geht um Fragen wie: Was bewegt die Menschen in der Musikszene? Was haben sie erlebt? Wovon träumen sie? Wo sind sie erfolgreich? Woran eventuell gescheitert? Wohin soll ihre eigene Reise gehen? Und was hat Hannover damit zu tun?“ Also hin – und ich wurde nicht enttäuscht!
Stephan Zilias wurde von Christiane Hein, Leiterin Kommunikation und Marketing an der Staatsoper Hannover, und Gunnar Geßner, Projektleitung beim MusikZentrum Hannover, zu seiner Arbeit, zu seinen „Anliegen und Träumen“ befragt. Die fünfundsiebzig Minuten vergingen wie im Fluge, das Gespräch war in jeder Minute interessant. Christiane Hein, Gunnar Geßner, sie opernnah, er aus einem anderen musikalischen Umfeld – das machte die Fragen besonders spannend. Es wurde dadurch auch über den Tellerrand geschaut.
Stephan Zilias erzählte zuerst von seinem Ankommen in der Stadt, von seinem Einleben mit der Familie in den Monaten der Pandemie hier. Er schätzt insbesondere das viele Grün, das entschleunigt, den Seelhorster Wald zum Joggen, das Kleefelder Bad für seine „Wasserratten-Kinder“.
Den Begriff „Generalmusikdirektor“ mag er nicht so, weil er sich weder als General noch als Direktor sieht. Er zieht deshalb das neutrale „GMD“ vor. Beim Machen von Musik versucht er, das Hierarchische so weit wie möglich auszuklammern.
Auf die Frage „Wofür brennst Du musikalisch?“ gab Stephan Zilias interessante Einsichten. Für ihn ist das auch stückabhängig. „Manchmal muss man sich Stücke erarbeiten wie ein akustisches Puzzle.“ Dieses Erarbeiten einer neuen Partitur ist für ihn einmalig schön. „Es ist so, als ob man durch frischgefallenen Schnee läuft in unberührtes Land.“ Beim Dirigieren von Musik gibt es für ihn manchmal diese unglaublichen Momente, in denen er das Gefühl hat, „das ganze Weltall macht eine Pause“. „Wozzeck“ zum Beispiel hat ihn „umgehauen“.
Bei Konzert und Oper mag er die Mischung aus Repertoire und Neuem. Es gibt auch von vielen berühmten Komponisten Unbekanntes, das es zu entdecken lohnt. Es ist für ihn uninteressant, nur bekannte Sachen zu machen, das hört man sich über. Beethoven hat er z.B. lange nicht mehr gemocht, die Sinfonien hatte er sich übergehört. Über die Kammermusik ist das Interesse auch an den Sinfonien wieder geweckt worden. Mozarts „Don Giovanni“ hat er schon zu oft dirigiert, da könnte er nicht mehr viel beitragen, das überlässt er anderen Menschen mit frischer Sicht. Auf eine Nachfrage schmunzelte er: Richard Wagner wird auch wieder kommen – nicht verzagen!
Wie kann man es als Dirigent erreichen, dass Publikum, Darbietende und Dirigent eins werden mit der Musik? Für Stephan Zilias ergibt sich das durch viele, viele Proben. Es ist Handarbeit, „Ohrarbeit“, zu Beginn ein elementarer musikalischer Prozess, greifbar und ganz und gar nicht abgehoben. Es ist wirklich ein bisschen wie das Zusammensetzen eines Puzzles. Wenn es gut läuft, dann macht er sich im Laufe dieses Prozesses praktisch als Dirigent überflüssig. Aber dieser Prozess selbst ist ein echter „Knochenjob“, da unter den Musikerinnen und Musikern unglaublich viel passiert. Gutes Dirigieren ist wirklich Übungssache. Es ist kein Frontalunterricht, denn man hat es im Orchester mit musikalischen Profis zu tun.
Konzert ist mehr Detailarbeit von Anfang an, bei Opern ist sehr viel mehr Organisation dabei. Königsdisziplin sind hier die Bühnenorchesterproben. Es ist toll, wenn man auf ein bekanntes Regieteam trifft, dann ist gleich ein eingespieltes Verhältnis da. Lösungen muss man gemeinsam finden, es ist eine künstlerische Gemeinschaftsarbeit. Daher hat er es sich auch als Ziel gesetzt, von Anfang an bei den Proben dabei zu sein.
Insgesamt ist ihm die Breite des Repertoires wichtig, die große Besetzung ist ein Schwerpunkt und ein Pluspunkt des Orchesters.
Stephan Zilias möchte die Oper nach außen öffnen. Spielorte außerhalb des Opernhauses sind ein Ziel. Nächste Woche spielen Formationen aus der Oper mit beim „Kulturdreieck“ der Stadt. Andere Spielorte hat er sich auch schon angeschaut, aber in der Corona-Situation boten die bisher zu wenig Plätze.
Was kann die Kunstform Oper in der heutigen Zeit? Stephan Zilias hat eine klare Meinung. Wenn das gut gemacht ist, dann hat sich danach „ein Teil des Menschseins geändert“. Musik kann Leben verändern. Musik kann Menschen verändern.
Eine spannende Frage stellte Gunnar Geßner: Ist die klassische Musik zu wenig gesellschaftlich positioniert? Stephan Zilias sieht das differenziert. Diese Themen kommen mit Macht. In der Staatsoper Hannover wird darüber viel nachgedacht. Im Orchester ist das Verhältnis Frauen zu Männern ungefähr ausgeglichen, es gibt aber noch wenige „People of Color“. Wegen der langen Ausbildung sind das aber langwierige Prozesse. In zehn Jahren wird das anders aussehen, es wird zum Beispiel sehr viel mehr Dirigentinnen geben.
Viele Menschen aus verschiedenen Kulturen leben in Hannover. Im Opernhaus erklingt klassische europäische Musik. Kann die Musik dieser anderen Kulturen integriert werden? Auf diese Frage von Christiane Hein entgegnete Stephan Zilias, dass wir z.B. in der europäischen Musik andere Instrumente haben und auch eine abweichende Notation. Die überaus reiche Kunstmusik Indiens nannte er als Beispiel. Dies macht es schwierig, Musik aus diesen Kulturkreisen mit unseren Orchestern darzubieten. Es gibt aber Komponisten, denen der Spagat zwischen der Musik ihres Kulturkreises und der europäischen Musik gelingt, ein Beispiel dafür ist die koreanische Komponistin Chin Un-suk.
Gibt es in der Oper zu wenig neue, nachkommende Musik? Wird das kulturelle Erbe, auch das der Popkultur, irgendwie aufgenommen oder ist die Oper ein musikalisches Museum? Auf diese etwas provozierende Frage von Gunnar Geßner entgegnete Stephan Zilias, dass für ihn Konzert und Oper auf keinen Fall alternde Kunstformen sind. Als Beispiel nannte er „Trionfo“ von Händel, das in der letzten Spielzeit Premiere hatte. Dreihundert Jahre alt, in jedem Moment von den Themen her aktuell. Das wurde aktualisiert und gegenwartsnah auf die Bühne gebracht, ohne eine einzige Note zu ändern. Es geht um essentielle menschliche Konflikte. Wenn die Oper auf diesem Weg weitermacht, dann bleibt sie aktuell.
Hat Stephan Zilias einen großen Traum? Ein Traumorchester? Eine Traumposition? Diese Frage hat er sich noch nie gestellt. Dazu ist er zu neugierig und zu offen.
Mit diesem schönen Schlusswort endete die überaus interessante und anregende Veranstaltung. Ich habe versucht, so viel wie möglich mitzuschreiben. Wenn ich etwas falsch wiedergegeben haben sollte, dann liegt der Fehler ausschließlich bei mir!
Das MusikZentrum ist für Unkundige etwas schwer zu finden. Am Ende der Emil-Meyer-Straße liegt es versteckt in einem kleinen Gewerbegebiet. Ich kannte den Weg zum Glück vom Besuch einiger Konzerte. Der Talk fand im Hof des MusikZentrums, dem KUBI, statt. Auf einer Bühne standen drei plüschige Sessel, unter einer großen Kastanie Biergartenbänke für die Gäste, an einer Theke konnte man sich Getränke kaufen. Schönstes Wetter, entspannte Atmosphäre, so macht Kultur richtig Spaß.
Leider waren nur etwa fünfzehn Gäste anwesend. Ein bisschen mehr Werbung im Vorfeld wäre gut gewesen! Daher mache ich jetzt einfach mal Werbung: Der City of Music Talk, veranstaltet vom MusikZentrum Hannover, der Staatsoper Hannover und der UNESCO City of Music / Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover, findet in der Regel einmal im Monat statt. Am 14. September ist die Leiterin „Musikland Niedersachsen“ Friederike Ankele zu Gast im Hof des MusikZentrums. Hingehen und Anhören lohnt bestimmt!
Achim Riehn