„Das Schmiermittel hier im Theaterbetrieb ist Kommunikation.“ Ein Gespräch mit Jürgen Braasch, kaufmännischer Geschäftsführer der Staatstheater Hannover GmbH

Die Staatstheater Hannover werden geführt von zwei Intendantinnen – Laura Berman für die Oper, Sonja Anders für das Schauspielhaus – und einem kaufmännischen Geschäftsführer, Jürgen Braasch. Wie grenzen sich die Aufgabenbereiche voneinander ab, was passiert im kaufmännischen Bereich? Mit welchem Blick schaut Jürgen Braasch auf Oper und Schauspiel? Um hier für die Mitglieder der GFO etwas Licht ins Dunkle zu verbringen, war ich mit ihm zu einem Gespräch verabredet.

Zugehörig (Bild und Copyright: Staatsoper Hannover)

Von seinem lichtdurchfluteten Büro schaut man auf den kleinen Park Richtung Aegi. Wir saßen uns mit viel Abstand und maskiert an einem langen Besprechungstisch gegenüber, der angenehmen Gesprächsatmosphäre tat das keinen Abbruch.

Achim Riehn:
Bei Oper denkt man weniger an das Kaufmännische. Was macht ein kaufmännischer Geschäftsführer, der für ein Opernhaus und ein Schauspielhaus zuständig ist?

Jürgen Braasch:
Ich bin zuständig für das „und“. Eine meiner Kernaufgaben ist, dass die beiden Häuser zusammenbleiben. Es ist wichtig, dass man bei allem, was in künstlerischer Eigenständigkeit auf beiden Bühnen passieren soll, dafür sorgt, dass es ein Haus bleibt, dass es ein Staatstheater bleibt. Wir haben hier in meinem Geschäftsbereich eine Menge Leute, die arbeiten für alle Sparten. Sie arbeiten für beide Häuser und sie müssen auch für beide Häuser erkennbar sein und von beiden Häusern angesprochen werden. Das ist so mein Hauptaugenmerk.
Zweitens sind viele Abteilungen Diener zweier Herren und müssen beide gleichermaßen bedienen. Man muss darauf achten, dass kein Haus das Gefühl hat, es kommt zu kurz. Die Kapazitäten der Werkstätten sind ja begrenzt, das gilt sowohl für die Kostümabteilung hier im Opernhaus als auch für die Dekorationswerkstätten in der Maschstraße. Man muss schauen, dass alle ihre Bühnen- und Kostümbilder bekommen und dass das auch funktioniert.
Und ansonsten versuche ich hier eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Menschen gerne hier arbeiten. Wir haben im Staatstheater insgesamt knapp tausend Beschäftigte, wenn ich die Aushilfen und die Statisterie einrechne sogar weit über tausend. Da muss man schauen, dass man ein gutes Arbeitsklima schafft, dass wertschätzend miteinander umgegangen wird. Die Menschen sollen gern herkommen zum Arbeiten. „Geht bitte anständig miteinander um“, das ist mir wichtig.

Achim Riehn:
Sind die Anforderungen unterschiedlich, die Oper und Schauspiel an Sie stellen? Oder unterscheidet sich das nicht sehr stark?

Jürgen Braasch:
Die Oper ist im Planungshorizont deutlich langfristiger. Da planen wir zwei bis drei Jahre im Voraus. Beim Schauspiel sind die konkreten Verabredungen kürzer, da geht es um drei bis sechs Monate, das ist ein schnelleres Geschäft. Das macht das Schauspiel auch beweglicher in den kleinen Formaten. Oper ist wegen der Kollektive Chor und Orchester ein bisschen statischer als es das Schauspiel ist. Aber inhaltlich, nein, kein Unterschied.

Achim Riehn:
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den beiden Intendantinnen? Gibt es da regelmäßige Abstimmrunden? Wie wird das organisiert?

Jürgen Braasch:
Da gibt es regelmäßige Treffen. Jede zweite Woche zum Beispiel treffen wir uns morgens um neun Uhr zu dritt auf eine Tasse Kaffee und reden da wirklich intensiv unter uns. Jede zweite Woche haben wir dann eine große Geschäftsführerrunde, da ist auch die stellvertretende Intendanz dabei, die Betriebsdirektorin ist dabei, der technische Direktor, die Kostümdirektorin, der Personalchef usw. Da besprechen wir die größeren Themen miteinander. Es gibt eine Tagesordnung, Themen werden angemeldet, es gibt ein Protokoll, das ist das zentrale Meeting.
Ich habe viele Gesprächsrunden auch mit Frau Hein und Herrn Wendtland, den für Öffentlichkeitsarbeit Zuständigen bei Oper und Schauspiel. Da sitzen wir einmal die Woche zusammen in einer Runde, in der auch der Vertrieb dabei ist. Es gibt Gesprächsrunden mit dem technischen Direktor, mit der Kostümdirektorin und und und. Ich habe zudem jede Menge Jour Fixes, um meinerseits auf dem Laufenden zu bleiben, aber auch, um den Menschen Informationen zu geben aus der Geschäftsführung und aus dem Aufsichtsrat. Meine Haupttätigkeit ist, mit den Menschen zu reden.
Wenn ich Leuten zu diesem riesigen Betrieb erkläre, wie Theater gemacht wird und wie Theater als Betrieb in der Organisationsstruktur funktioniert, dann kommt irgendwann der Punkt, wo sie sagen „Das kann doch nicht funktionieren“. Und es funktioniert doch: Das Schmiermittel hier im Theaterbetrieb ist Kommunikation. Das ist das A und O. Man muss reden und kommunizieren und dann laufen die Dinge auch. Viele Sachen würden ohne das nicht funktionieren.

Achim Riehn:
Was sind die größten Posten im Budget?

Jürgen Braasch:
Personal! Theater ist, wenn Menschen vor anderen Menschen andere Menschen spielen. Menschen auf der Bühne sind als Darsteller unersetzlich, Und dahinter steht viel Handwerk. Es sind Unikate, einmalige Produktionen, die so nicht wieder gebaut werden und das heißt, ich habe 85% Personalkosten.

Achim Riehn:
Interessant! Ich hätte vermutet, dass Personal der größte Posten ist. Aber die Werkstätten hätte ich ebenfalls für einen großen Posten gehalten.

Jürgen Braasch:
Die Kosten für Dekoration und Kostüm sind gar nicht so viel, die laufenden Kosten sind nicht so hoch. Teuer ist die Arbeit die es macht.

Achim Riehn:
In einer ganz normalen Firma stelle ich es mir unspektakulär vor, wenn man Geschäftsführer wird. Bei einem Staatstheater stelle ich mir das spannender vor. Seit wann machen Sie das für das Staatstheater? Was war ihr beruflicher Werdegang davor? Was hat sie gelockt, hier an das Staatstheater zu kommen?

Jürgen Braasch:
In meinem früheren Leben war ich mal Steuerberater. Ich habe ein BWL-Studium gemacht und dann in einer Wirtschafts- und Steuerberatungsfirma gearbeitet. Aber irgendwann wurde mir das langweilig. Ich hatte einen Studienfreund, der am Thalia-Theater gearbeitet hat. Er sagte, dass sie am Thalia-Theater einen Personalchef brauchen würden. Dann habe ich Gespräche geführt mit dem Intendanten Jürgen Flimm und mit dem kaufmännischen Direktor Rolf Paulin und so bin ich da gelandet. Es hat mir einen riesigen Spaß gemacht. Ich habe zu der Zeit auch noch mein Steuerberaterexamen gemacht nach dem Motto „Dann habe ich noch einen Fallschirm dabei, wer weiß, wie es mit den Gauklern wird“.
Ich bin dann aber aus einem ganz anderen Grund da wieder abgesprungen. Rolf Paulin ging nach Gelsenkirchen, um die Bundesgartenschau 1997 zu koordinieren. Er sagte: “Ich brauch da noch einen Kaufmann, komm doch mit.“ Ich konnte mir das erst nicht vorstellen, aus Hamburg weg, ich bin in Hamburg großgeworden. Bundesgartenschau in Gelsenkirchen, das war nun etwas ganz Anderes. Ich habe mir dann das Projekt angeschaut und das hat mich so gelockt, dass ich es einfach machen musste. Das war eine Industriebrache, 1.000.000 qm nur Dreck, Altlasten im Boden, Öl, Teer, Gleisanlagen, Hafenanlagen, ein riesiger, industrieller Komplex. Im Laufe von fünf Jahren sollte daraus eine blühende Landschaft werden. Es hat geklappt!.
Nach der Gartenschau bin ich dann ans Schauspielhaus Bochum gegangen als Kaufmann. Aber mit dem Intendanten bin ich nicht klargekommen. Ich bin dann nach Freiburg gegangen und habe da drei Jahre mit Amélie Niermeyer zusammengearbeitet, eine schöne Zeit. Aber kaum war ich da, hatte sie für sich entschieden, dass sie Freiburg verlassen will. Sie ist dann nach Düsseldorf gegangen
Dann kam 2006 das Angebot, hier nach Hannover zu kommen. Ich bin Nordlicht, ich gehöre hier her. Nichts gegen die badische Küche, aber die badische Mentalität ist anders als die norddeutsche, die Sprache auch. Die Freiburger Zeit war schön, ich möchte sie nicht missen, ich fahre immer noch gerne in die Stadt. Aber ich fühle mich hier in Hannover eben sauwohl. Ich bin Norddeutscher, Punkt!

Achim Riehn:
Das war dann ja doch eine recht kontinuierliche Entwicklung, immer tiefer in den künstlerischen Bereich hinein.

Jürgen Braasch:
In den künstlerischen Bereich, nein, da will ich auch nicht hin. In das künstlerische Umfeld ja! Was qualifiziert mich für den Job ansonsten? Steuerberater ist hilfreich, ich kann eine Bilanz lesen und schreiben. Aber da habe ich einen Rechnungswesenleiter, der kann das auch. Personalchef war auch schön, aber ich habe hier meine Leute, die können das alles. Ich habe im früheren Leben intensiv Jugendarbeit gemacht, Jugendgruppenleiterausbildung, Jugendfreizeiten, Jugendzentrumsarbeit. Da lernt man eine ganze Menge über Gruppendynamik und Menschenführung. Das brauche ich hier mehr als die anderen Dinge.

Achim Riehn:
Kommunikation ist für ihre Arbeit ein ganz wichtiger Punkt, oder?

Jürgen Braasch:
Ja, es ist das A und O. Es ist das Wichtigste, dass sie mit den Menschen umgehen können. Und was sie auch brauchen, das ist die Liebe zum Theater, das geht nicht anders. Ein Vegetarier könnte auch nicht überzeugend eine Wurst verkaufen, das geht einfach nicht. Sie müssen als Kaufmann auch eine Liebe zum Produkt haben, die habe ich auch, das gehört dazu.

Achim Riehn:
Ein ganz wichtiges Projekt, das sie wohl im Augenblick stark beschäftigt, das ist das neue Werkstattgebäude an der Bornumer Straße. Wie geht es da voran? Wird es teuer als geplant?

Jürgen Braasch:
Wir sind mit der Baumaßnahme in eine Phase hineingekommen, in der die Baukonjunktur gnadenlos überhitzt ist. Wir hätten zwei, drei Jahre vorher das Ding deutlich billiger bauen können. Da hat man manchmal Pech, das ist so. Ja, das wird teurer, die Preise sind so abgegangen in den letzten Jahren, das ist wirklich verrückt.

Achim Riehn:
Wird der Zeitplan der Baumaßnahme eingehalten?

Jürgen Braasch:
Na ja, ich sag mal so, mit Schneefall und all dem Zirkus …. Wir werden im Sommer 2022 fertig werden. Es hat sich ein bisschen verzögert, weil Ausschreibungen wieder aufgehoben werden mussten und solche Sachen. Die Verfahrensfragen bei der Vergabe durch die öffentliche Hand sind eben sehr aufwändig.

Achim Riehn:
Sie arbeiten mit dem Schauspielhaus und mit dem Opernhaus zusammen. Nehmen Sie irgendeinen Einfluss auf die künstlerischen Planungen? Weisen Sie darauf hin, wenn Produktionen aus Ihrer Sicht zu teuer werden?

Jürgen Braasch:
Ich sage den Intendantinnen meine Meinung über die künstlerische Arbeit, wenn sie sie hören wollen, manchmal auch, wenn sie sie nicht hören wollen. Aber ich nehme da keinen Einfluss drauf. Ich steuere die beiden Häuser darüber, dass sie Budgets haben. Die werden vom Aufsichtsrat im Rahmen des Wirtschaftsplans beschlossen und wir gliedern die Budgets dann in Absprache mit den künstlerischen Leitungen in Einzelbudgets, sodass sie sehr genau anschauen können, wo das Geld hingeht. Sie können das so auch sehr präzise verfolgen. So lange die Zahlen im grünen Bereich sind halte ich mich da raus. Es ist dann ihre Entscheidung, ob sie fünf Opern machen oder den großen Wumms oder zehn Opern in klein. Das ist alles die Entscheidung der künstlerischen Leitung, sie muss mit den Ressourcen auskommen. Ich mische mich dann ein, wenn die Ressourcen überbeansprucht werden, also wenn zu viele oder zu große Anforderungen an die Werkstätten kommen. Dann sage ich schon mal „Schaut doch noch mal drauf!“. Aber ich versuche auch zu realisieren, was gewünscht ist. Das funktioniert ganz gut, die Intendantinnen haben ein gutes Augenmaß.

Achim Riehn:
Was bedeutet die Pandemie für das Budget, für den Betrieb des Staatstheaters? Es kommt ja zu Einnahmeverlusten.

Jürgen Braasch:
Es ist eine Katastrophe. Weniger wegen des Finanziellen. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich vom ersten Tag an in Kurzarbeit begeben, auf Gehalt verzichtet. Sie bekommen Kurzarbeitergeld, wir stocken das auf. Die kleinen Einkommen bekommen eine Aufstockung auf fast einhundert Prozent, die größeren etwas weniger. Dadurch spare ich natürlich Personalkosten und das sind ja 85 % der Gesamtkosten. Und darüber natürlich hinaus: wir heizen nicht mehr so viel, ich habe keine Reinigungskosten für das Foyer, ich habe auch weniger Wasserkosten, weniger Toilettenspülungen. Wir zahlen an die Verlage weniger, weil wir einfach nichts spielen. Wir haben natürlich massive Einnahmeverluste, im letzten Jahr sechs Millionen Euro weniger, das tut schon weh. Aber dadurch, dass wir die Kurzarbeit haben, können wir das auffangen. Aber das zu organisieren ist eben auch heftig.
Was ich viel schwieriger finde sind die psychologischen Auswirkungen dieser Kurzarbeit, diese Zwangsisolation, die Unmöglichkeit für die Künstler, ihren Beruf auszuüben. Mich sorgen noch mehr die freiberuflichen Künstler, die als „Satelliten“ zu uns ins Haus kommen für ein, zwei Vorstellungen oder für eine Produktion. Die sind plötzlich ins Bodenlose gefallen, weil sie keine Aufträge mehr haben. Sie haben zudem nicht diese Absicherung durch Kurzarbeit oder soziale Sicherungssysteme. Diese ganzen freiberuflichen, soloselbstständigen Künstler, die sind wirklich gekniffen.

Achim Riehn:
Irgendwann wird es ja weitergehen. Der Staat gibt jetzt in der Pandemie sehr viel Geld aus. Wahrscheinlich wird es dann irgendwann eine Einsparungsdebatte rund um die Kultur geben, oder?

Jürgen Braasch:
Die Debatte ist schon im Gange. Wenn man sich anschaut, dass hier in der Bundesrepublik ich glaube 0,8 Prozent des öffentlichen Haushalts für Kultur ausgegeben wird …. wer dann glaubt, dass man mit Kürzungen in der Kultur irgendwie auch nur ansatzweise zur Linderung der Finanznot beitragen kann, der ist auf dem Holzweg. Das wäre dann reine Symbolpolitik, damit spart man nicht wirklich etwas. Man macht nur was kaputt. Wir diskutieren die Frage natürlich auch. Wer glaubt „Das sind ja tausend Leute, da kann man ja mal eben was machen“, der irrt. Das geht nicht. Mein Tagesgeschäft ist, den Laden so zu organisieren, dass er optimal läuft. Da wo Luft ist, da hole ich die Luft auch raus. Wir versuchen natürlich ständig, den Betrieb zu optimieren und zu verbessern. Das ist ausgereizt. Wenn man dann sagen will, man will hier sparen, dann muss man ans Eingemachte gehen. Dann muss man auch sagen, worauf verzichten wir.

Achim Riehn:
Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Land? In so einer Situation ist ja eine gute Zusammenarbeit besonders wichtig.

Jürgen Braasch:
Wir haben zum Ministerium für Wissenschaft und Kultur ein sehr gutes Verhältnis. Mit dem Finanzministerium ist es gerade ein bisschen komplizierter. Ich als Kaufmann spreche ja eher die Sprache des Finanzministeriums als die des Kulturministeriums, aber das ist zur Zeit etwas schwieriger. Der Ministerpräsident selbst ist regelmäßiger Theatergänger, wenn auch eher Schauspielfan. Mit Oper hat er es nicht so, das hat er auch ganz offen zugegeben. Er findet es aber trotzdem spannend, was Frau Berman macht und begrüßt das auch sehr.

Achim Riehn!
Schauspiel und Oper hier in Hannover müssten für das Land Leuchtturmprojekte sein!

Jürgen Braasch:
Wir sind „Bestes Opernhaus“ geworden, wir haben mit Marco Goecke hier einen Weltstar des Balletts am Start, auch das Schauspiel hat fantastische Kritiken bekommen. Auch das Orchester bekommt durch seinen neuen GMD Stephan Zilias einen richtigen Kick. Wir sind wirklich in Deutschland in der ersten Liga und da gehören wir auch hin. Und solange wir da spielen wollen, das muss man auch sagen, kostet das auch Geld. Wenn man sagt „Kreisklasse reicht uns auch“, dann ist das eine andere Lage. Aber das will glaube ich keiner.

Achim Riehn:
Stadt und Region sind ja nicht am Staatstheater beteiligt.

Jürgen Braasch:
Garnicht mehr, leider!

Achim Riehn:
Gibt es trotzdem eine gewisse Zusammenarbeit?

Jürgen Braasch:
Wir sind zwar ein Staatstheater, aber wie alle Staatstheater, die in einer Stadt sitzen, spielen wir für die Stadt und für die Region Theater. Die Masse des Publikums kommt daher. Die Staatsoper München, die hat ihre touristischen Gäste, aber die Masse kommt auch aus München und Umgebung. Dass wir mal verkauft worden sind von der Stadt an das Land, das hatte ja weniger mit kulturpolitischen Engagement zu tun als mit Geld. Ich bin da nicht sehr glücklich drüber, denn wenn man aus dem Haushalt der Stadt raus ist, dann ist man auch ein bisschen aus dem Radar der Stadt raus.
Wir arbeiten aber gut mit der Stadt zusammen, es gibt sehr viele gemeinsame Initiativen aller Kulturschaffenden. Es ist in einer Stadt wie Hannover doch wirklich egal, wer wie an der Finanzierung beteiligt ist. Region und Stadt unterstützen uns auch bei Projekten, hauptsächlich ideell, aber im Bereich des „Jungen Schauspiels“ auch finanziell. Da passiert einiges. Dazu fördern ja auch die „schönen Töchter der Stadt“ wie Enercity und die Sparkasse die Kunst.

Achim Riehn:
Würden Sie sich mehr Sponsoring wünschen?

Jürgen Braasch:
Das wünscht man sich immer, aber da gehen ja alle an die üblichen Verdächtigen heran, das ist dann irgendwann auch ausgeschöpft. Wir sind da schon sehr gut aufgestellt. Wir haben zwei Mitarbeiter, die sich um Fundraising und Sponsoring kümmern, das läuft gut. Aber das hat hier in Deutschland nicht die Kultur, wie es sie in den USA hat. Das hat auch was mit Steuerrecht und dem Steuersystem zu tun und dem Umgang mit öffentlicher Kulturförderung. Diese Systeme lassen sich nicht vergleichen. Ich bin in diesen Zeiten auch ganz froh, dass das vom Staat gefördert wird. Wenn man schaut, was 2009 bei dem Börsencrash passiert ist, da gab es in Amerika plötzlich keine Theater mehr, die waren alle weg. Und jetzt: die Auffangsysteme für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort sehr viel schlechter als bei uns.

Achim Riehn:
Die GFO unterstützt die Staatsoper ja auch dadurch, dass Projekte finanziell gefördert werden. Besonders die Jugendarbeit liegt der GFO am Herzen. Gibt es etwas, was Sie sich von der GFO wünschen? Wo könnten wir Sie in Ihrer Arbeit unterstützen?

Jürgen Braasch:
Das tun sie schon sehr gut. Die GFO, diese Spendenbereitschaft der Menschen, das ist für mich gesellschaftliches Engagement, das zeigt „Wir stehen zu dieser Kultureinrichtung und wir wollen, dass die Kultur in dieser Stadt blüht“. Das ist für uns Gold wert. Es drückt eine Haltung gegenüber dieser Kultureinrichtung aus, das ist sehr wichtig. Dass dann auch noch finanzielle Unterstützung für einzelne Projekte stattfindet ist schön. Aber es ist mindestens genauso wichtig, dass sich die Menschen zeigen, dass sie eine Haltung haben.

Achim Riehn:
Zum Abschluss noch ein paar nicht so kaufmännische Fragen. (Jürgen Braasch lacht) Was schauen Sie sich in der Oper am liebsten an? Welche Inszenierungen, Sängerinnen und Sänger haben Sie am meisten beeindruckt? Was würden Sie gern noch einmal sehen? Ich zum Beispiel würde gern noch einmal „Fausts Verdammnis“ sehen.

Jürgen Braasch:
Die Oper, die mich hier am tiefsten von allen beeindruckt hat, das war „Aus einem Totenhaus“ von Janacek in der Inszenierung von Barrie Kosky. Das war unfassbar! Mein persönliches Verhältnis zu Nicole Chevalier prägt natürlich auch meine Leidenschaft für sie. Ich kenne sie schon aus Freiburg, wo sie damals als Stipendiatin der Volksbank angefangen hatte. Zu meinem sechzigsten Geburtstag hat sie mir ein Ständchen gebracht, „Somewhere over the rainbow“. Mein Gott war das schön! Ich habe gedacht, ich will jeden Tag Geburtstag haben! (lacht) Sie hat mich sehr beeindruckt und ihre „Traviata“ war fantastisch. Auch das, was sie in Berlin dann mit Kosky auf die Bühne gestellt hat, zum Beispiel „Hoffmanns Erzählungen“, wunderbar! Das waren für mich im Opernhaus die beeindruckendsten Geschichten, die ich gesehen habe,
Im Schauspiel fand ich damals „Im Westen nichts Neues“ in der Walburg-Inszenierung extrem spannend. Auch „Gewähltes Profil: lautlos“ von Ruedi Häusermann, das hat kaum einer gesehen. Das war eigentlich kein Schauspiel, es wurde keine Geschichte erzählt. Ich bin da reingegangen und dann fingen die da an und haben mit dem Filzstift fünf Striche an die Wand gemalt, und dann warfen die mit Punkten dagegen, das waren dann plötzlich Noten und die spielten sie dann auch. Das war ein Abend um Geräusche. Ich saß da jetzt drin, war nach dem Arbeitstag müde, dachte zuerst „Was ist das denn für ein Sch ….!“. Aber das wurde dann so faszinierend und toll! Da geht man dann raus und denkt nur noch „Geil!“. Also das waren so Ereignisse, die mich bewegt haben, die mich erreicht haben, die mich auf wirklich wunderbare Art und Weise berührt haben.

Achim Riehn:
Die Oper Hannover setzt auf eine ausgewogene Mischung aus Ensemble und Gästen. Andere Opernhäuser arbeiten teilweise überwiegend mit Gästen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Jürgen Braasch:
Ich finde es wichtig, dass man ein gutes Ensemble hat. Nur mit Gästen zu arbeiten, das schafft nicht so eine Verbindung der Opernliebhaber zu ihrem Haus. Die Verbindung von Kulturliebenden mit ihrem Theater entsteht eben durch das Ensemble.
Noch ein anderer Aspekt. In Freiburg hatte damals Amélie Niermeyer gerade den Sommernachtstraum inszeniert und ich habe den zwei Jahre später in gleicher Besetzung noch einmal gesehen. Da lagen Welten dazwischen. Man hat einfach gemerkt, wie das Ensemble inzwischen aufeinander eingespielt war. Diese Selbstverständlichkeit und Sicherheit, mit der die miteinander agieren, dieses sich die Bälle hin- und zurückwerfen, das gibt es nur in einem Ensemble. Diese Qualität bekommen sie sonst nicht hin.

Achim Riehn:
Zum Schluss: Was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten Spaß? Und was stört Sie manchmal wirklich?

Jürgen Braasch:
Oh Gott, was macht mir am meisten Spaß …. Also am meisten Spaß macht mir, wenn wir eine Premiere haben, wo es dann lebhaft wird. Ich will da nicht nur die Bravos haben, ich will auch die Buhs haben! Das gehört für mich dazu. Wenn anschließend die Menschen aufstehen wie z.B. nach der „Traviata“, da diskutierten die miteinander! „War das großartig!“ und „Das ist doch keine „Traviata!“, toll!

Achim Riehn:
Oder wie in der letzten Saison bei der „Tosca“!

Jürgen Braasch:
Da gab es das gleiche Spiel. Das finde ich toll, wenn Theater dazu beiträgt, dass man sich dann anschließend mit dem auseinandersetzt, was man gesehen hat. Das finde ich großartig, das liebe ich, das finde ich schön.
Was mir keinen Spaß macht …. (langes Überlegen) …. oh Gott, da gibt es so Pingelkram … (weiteres langes Überlegen). Nein, mir macht das alles schon Spaß. Klar, es gibt oft so eher lästige Arbeiten, bei denen ich manchmal denke „Muss das jetzt sein, ist das wirklich so wichtig?“. Was mich nervt, das sind Menschen, die nicht offen und wertschätzend miteinander umgehen, wo man einfach das Gefühl hat, lasst das doch einfach sein. Menschen also, die meinen, ihre Macht und Bedeutung dadurch heben zu können, dass sie andere Menschen kleiner machen. Das ist nervig, so etwas mag ich nicht. Ich möchte, dass wir anständig miteinander umgehen.

Das war ein wunderbares Schlusswort für dieses sehr angenehme Interview. Jürgen Braasch redet sehr lebendig und ich war beim Zuhören so gebannt, dass ich meinen Kaffee nicht angerührt habe. (Wer mich Kaffeejunkie kennt, wird das kaum glauben!) Im Staatstheater hat man als Außenstehender meist nur das Geschehen auf der Bühne im Blick. Ich hoffe, dieses Interview kann vermitteln, dass es da drum herum viele sehr interessante Aufgabengebiete gibt.

 

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