„Ein Spielplan muss eine abwechslungsreiche und farbenreiche Mischung sein“ – Ein Gespräch mit Dr. Swantje Köhnecke, Konzertdramaturgin an der Staatsoper Hannover

Was sind die Aufgaben einer Konzertdramaturgin? Zu diesem Thema war ich am Telefon mit Dr. Swantje Köhnecke verabredet, die diese Position an der Staatsoper Hannover wahrnimmt. Viele Fragen waren für mich nach diesem freundlichen und informativen Gespräch klarer – und ein paar Andeutungen über die neue Konzertsaison gab es auch. Keine Sorge, es wurde nichts verraten, es bleibt spannend!

Copyright: Staatsoper Hannover

Achim Riehn:
Sie waren in der letzten Zeit intensiv mit den Arbeiten am Konzertspielplan für die nächste Saison beschäftigt. Ist das jetzt abgeschlossen, sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, das Spielplanheft geht diese Woche in Druck, und wir hoffen, dass wir alles so umsetzen können. In dieser Corona-Zeit mit ihren sich ändernden äußeren Bedingungen werden künstlerische Planungsprozesse ja immer wieder umgeworfen. Ich freue mich sehr auf die Saison. Es ist ein sehr vielfältiges Konzertprogramm, wir haben ganz tolle Solistinnen und Solisten, Dirigentinnen und Dirigenten gewinnen können. Und auch für seine eigenen Konzerte hat unser GMD Stephan Zilias ein wunderbares Programm gemacht.

Achim Riehn:
Über die Inhalte dürfen Sie ja noch nichts erzählen, da frage ich auch nicht nach. Aber vielleicht können Sie einige Hinweise geben, die es noch spannender machen.

Dr. Swantje Köhnecke:
Um ein bisschen neugierig zu machen: Es ist Altes dabei, Neues und ganz Neues. Es ist Großbesetztes und Kleinbesetztes dabei, bekannte und ungewöhnliche Soloinstrumente. Es sind Komponisten dabei, bei denen sie sich hinterher freuen werden, sie kennengelernt zu haben. Es ist ein Spielplan voller Entdeckungen.
Natürlich gibt es auch bekannte Namen und große Titel, wir betätigen uns nicht nur als Schatzgräber. Ein Spielplan muss eine abwechslungsreiche und farbenreiche Mischung sein – das ist uns gelungen. Wir spielen hoffentlich auch wieder in großen Besetzungen, was unserem Orchester mit über hundert Musikerinnen und Musikern als größtem Orchester in Niedersachsengemäß ist.

Achim Riehn:
Wenn ich jetzt nicht schon ein Konzertabo hätte, dann würde ich mir das nach diesen Andeutungen sofort zulegen. Ich liebe Neuentdeckungen und auch die richtig guten, bekannten Stücke. Ich bin gespannt darauf, ob Sie mich mit dem Neuen wirklich überraschen können!
Die meisten Leute wissen glaube ich nicht so richtig, was eine Konzertdramaturgin konkret macht. Was sind die Hauptaufgaben? Ich stelle mir vor, dass Sie Brücken bauen, zwischen Musikern und Werk, zwischen gastierendem Künstler und Orchester, zwischen Musikern und dem Publikum.

Dr. Swantje Köhnecke:
Eine Konzertdramaturgin ist erst einmal beim Machen des Spielplans dabei. Welche Stücke spielen wir und warum? Welche Gäste wollen wir einladen und warum? Wir arbeiten daran in einem wundervollen Team, mit Intendantin, Generalmusikdirektor und Orchesterdirektor Das ist ein sehr konstruktives Arbeitsverhältnis. In diese Vorbereitung gehen natürlich konzeptionelle Fragen mit ein. Wer sind wir eigentlich, als Orchester, als Opernhaus? Was für Konzerte wollen wir spielen? Wie überraschend können oder wollen wir sein, wie viel Bekanntes wollen wir präsentieren? Das sind alles Aspekte, die in den Bereich der Spielplanung gehören.

Achim Riehn:
Und was passiert, wenn der Spielplan steht?

Dr. Swantje Köhnecke:
Dann geht es, wie Sie beschreiben, um das Brücken schlagen. Erstmal Richtung Publikum. Wie vermitteln wir das, was wir uns dabei gedacht haben, das, was wir toll finden an dieser Musik?

Achim Riehn:
Wie geht das konkret?

Dr. Swantje Köhnecke:
Auch wenn das für einige vielleicht ein etwas altmodisches Medium ist, haben wir immer noch sehr schöne Programmhefte. Da versuche ich, unsere Gedanken zur Musik zu teilen – durch Interviews oder durch Texte, die ich selbst schreibe. Wir wollen nicht einfach Ausschnitte aus einem Konzertführer abzudrucken. Wir wollen das Publikum daran Anteil haben lassen, warum wir gerade dieses Stück faszinierend finden. Ich führe zum Beispiel Gespräche mit Orchestermusikerinnen und Orchestermusikern, für das Programmheft und als Podcast für das Internet. Da bekommt man einen Eindruck davon, was Orchestermitglieder an bestimmten Werken schätzen.

Achim Riehn:
Auch die Einführungsveranstaltungen im Marschnersaal dienen ja diesem Anliegen. Ich schätze die sehr.

Dr. Swantje Köhnecke:
Die haben wir zusammen mit Stephan Zilias neu konzipiert und hoffen, dass sie bald wieder live möglich sind. Auch da sollen regelmäßig nicht nur Dirigenten dabei sein, sondern auch Kolleginnen und Kollegen aus dem Orchester, die auch etwas zu sagen haben

Achim Riehn:
Gehört auch dazu, dem Publikum mehr Informationen über das Orchester und die dort spielenden Menschen zu geben?

Dr. Swantje Köhnecke:
Auf jeden Fall! Wer spielt eigentlich in unserem Orchester? Viele Menschen im Saal sehen das Orchester vielleicht eher als anonyme Gruppe. Man fragt sich, ob man den einen oder die andere schon einmal gesehen hat, ob zum Beispiel eine unbekannte Oboistin ein Gast oder neues Orchestermitglied ist. Dahinter stehen Geschichten. Wer spielt welches Instrument, wer kommt neu, wer wird verabschiedet? Wer ist wie musikalisch geprägt und sozialisiert? Wie sind alle diese Personen eigentlich zur Musik als Beruf gekommen? Das für das Publikum erfahrbar zu machen, ist mir auch ein großes Anliegen.

Achim Riehn:
Das klingt nach einer sehr schönen und spannenden Arbeit!

Dr. Swantje Köhnecke:
Das ist es! Ein weiterer Aspekt beim Machen eines Spielplans ist das Erfinden von Projekten, die Entwicklung neuer Formate für das traditionelle Sinfoniekonzert. Wir haben jetzt die Konzertreihe „more than music“ ins Leben gerufen,mit dem „Visual Concert“ zur Musik von Sibelius und Videoprojektionen von Tal Rosner. Da erweitern wir das Konzerterlebnis um performative Elemente, um Elemente des Theaters.

Achim Riehn:
Ich finde den Ansatz spannend, die Sparten der Staatsoper und ihren ganzen Reichtum an künstlerischem Wissen in die Konzerte hineinzubringen.

Dr. Swantje Köhnecke:
Wir sind ja ein Opernhaus, unser Orchester ist ein Opernorchester. Das auch in Konzerten wiederzufinden, ist uns ein Anliegen. Uns interessiert, was performative Künste für das Konzert leisten können, und dadurch auch Impulse für die Orchesterarbeit zu gewinnen.

Achim Riehn:
Ich fand „Mythos“ sehr gelungen und habe es genossen. Ich habe es bedauert, dass ich es nicht live auf der Bühne sehen konnte.

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, das war wirklich toll, es im Opernhaus live zu erarbeiten. Wir wollen es auf jeden Fall auch noch live für Publikum spielen. Sollte es bis zum Sommer nicht klappen, dann wird es wohl für die übernächste Spielzeit eingeplant werden.

Achim Riehn:
Für Ihre Arbeit als Konzertdramaturgin müssen Sie kommunikativ sein, Sie müssen Kenntnisse über Musik haben, sie müssen Kenntnisse über den Musikbetrieb haben. Aber es geht wohl darüber hinaus. Sie müssen eigentlich den ganzen Theaterbetrieb und seine Möglichkeiten im Kopf haben. Sehe ich das richtig?

Dr. Swantje Köhnecke:
Für mich ist das zumindest für „more than music“ sehr wichtig. Wenn man den Opernbetrieb nicht kennen würde, wäre man bei dieser Reihe ziemlich aufgeschmissen. Oder man müsste sehr phantasievoll sein und kreativ, das ist in diesem Beruf ja auch nicht verkehrt. Dass ich lange als Operndramaturgin gearbeitet habe, ist natürlich hilfreich dabei, so eine neue Konzertreihe zu konzipieren.

Achim Riehn:
Sie haben ja schon einige Dinge angesprochen, die bei der Zusammenstellung eines Konzertprogramms wichtig sind. Das möchte ich noch etwas vertiefen. Haben Sie auch im Kopf, welche „Herausforderungen“ man dem Orchester stellen möchte?

Dr. Swantje Köhnecke:
Natürlich denken wir darüber nach, was unser Orchester „braucht“. Es gibt einen künstlerischen Beirat, mit dem wir im Gespräch dazu sind, was das Orchester selbst für wichtig hält. Darüber sind wir dann im Dialog. Was ist mal wieder dran, was braucht das Orchester, wohin soll die Entwicklung gehen? Wie kann Flexibilität in verschiedenen Musikstilen, bei Musik aus verschiedenen Zeiten erreicht werden?

Achim Riehn:
Das Orchester muss ja breit aufgestellt sein. Das Anforderungsspektrum ist weit gespannt, wenn ich so an die letzten Konzerte zurückdenke.

Dr. Swantje Köhnecke:
Es ist wichtig, dass man alte und neue Musik spielen kann. Wir sind kein Spezialensemble, unsere Musikerinnen und Musiker sind Generalisten. Wir spielen ja auch in der Oper von Barock bis Uraufführungen alles. Es ist schön, wenn diese Vielfalt, zumindest zurück bis Haydn, in jeder Saison der Sinfoniekonzerte vorkommt. Natürlich tummelt man sich gern im großen spätromantischen und modernen Repertoire. Bruckner, Mahler, Strauss, das spielen alle gern, das ist das Kernrepertoire des Orchesters. Aber gerade die „Ränder“ des Repertoires, historisch gesehen, von Haydn bis hin zu wirklich zeitgenössischer Musik, die sind spannend. Es ist sehr wichtig, das immer wieder aufs Programm zu setzen.

Achim Riehn:
Geht es auch um den Publikumsgeschmack?

Dr. Swantje Köhnecke:
Natürlich spielt der Publikumsgeschmack eine Rolle (lacht). Es ist ja wichtig, dass die Menschen unsere Konzerte hören wollen. Wir spielen sie für das Publikum und nicht für uns. Uns ist aber auch wichtig, dass sich das Publikum mal überraschen lässt.

Achim Riehn:
Was wünschen Sie sich von den Menschen, wenn die das Konzertprogramm durchblättern? Aufgeschlossenheit? Neugier?

Dr. Swantje Köhnecke:
Wir wünschen uns, dass das Publikum uns vertraut, dass die Stücke auf dem Konzertspielplan tolle Musik sind. Dass es uns vertraut, dass wir bestimmte Gründe haben, warum wir diese Musik spielen. Auch wir entdecken ja Stücke neu, unser Orchester hat manche Werke noch nie gespielt. Wir wünschen uns, dass das Publikum uns bei diesem Weg des Entdeckens begleitet, dass es mitgeht. Das ist das Wichtigste, das ist das Essentielle im Dialog mit dem Publikum. Es ist wichtig, dass ein Vertrauen wächst über die Jahre, Vertrauen über künstlerische Entscheidungen, Vertrauen darüber, dass wir ein gutes, schönes, interessantes Programm machen, selbst wenn es auf den ersten Blick unbekannt erscheint. Das sind die Grundpfeiler unserer Konzertarbeit.

Achim Riehn:
Ich glaube, hier in Hannover ist in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren die Akzeptanz für diese Mischung aus alt und neu gestiegen. Ich erinnere mich an früher, da hatte ich immer so den Gedanken „Es steht kein Beethoven, Brahms auf dem Programm, da wird wahrscheinlich ein Teil der Plätze leer bleiben“. Aber das ist ja inzwischen ganz anders. Ich habe den Eindruck, die etwas gemischteren und originelleren Programme kommen sehr gut an.

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, das erlebe ich auch so. Um das zu unterstützen, geben wir den Konzerten seit zwei Jahren Titel. Das erfordert einiges an Hirnschmalz und Diskussionen. Einerseits ist so ein Titel immer simplifizierend. Aber man wird dabei doch gedanklich schärfer und genauer: Was ist eigentlich der Kern, der die Stücke des Programms verbindet? Dieser Kern eines Programms lässt sich auch vermitteln. Wir haben schon Menschen an der Konzertkasse gehabt, die zum Beispiel nach einer Karte für das Konzert „Kult“ gefragt haben. Sie interessiert nicht, ob es das dritte oder vierte Sinfoniekonzert ist, sie interessieren sich für den Titel. Das verdeutlicht für mich auch einen gewissen Wandel des Publikums.

Achim Riehn:
Diese Titel dienen also auch dazu, neue Publikumsschichten anzusprechen?

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, und das hat wieder mit der Frage zu tun, für wen wir unsere Konzerte spielen. Durch die thematische Setzung der Konzerte macht man die Programme noch mal anders interessant, weil es nicht die Kenntnis eines bestimmten Standardrepertoires voraussetzt. Wir bewegen uns nicht mehr in diesem Kanon von Werken, die man kennen muss, um überhaupt ein Konzert wahrnehmen zu „dürfen“. Jeder Mensch kann Musik hören, jeder Mensch hat Assoziationen, hat Gefühle, wenn er oder sie Musik hört. Wir spielen unsere Konzerte für jede und jeden, die gewillt sind, sich anderthalb Stunden hinzusetzen, Musik anzuhören und so ihre Erfahrungen zu machen.

Achim Riehn:
Wenn Sie so ein Motto für ein Konzert haben, bestimmt dann das Motto auch die endgültige Auswahl der Stücke oder ist es umgekehrt, erst Stücke, dann Motto?

Dr. Swantje Köhnecke:
Wir machen die Programme von der Musik aus. Erst ganz am Ende stellt sich die Frage nach dem Titel. Das wirkt wie eine Marketing-Herangehensweise, aber es entwickeln eben nicht meine geschätzten Kolleginnen aus der Kommunikationsabteilung, sondern ich als Dramaturgin. Wir diskutieren dann aber im Team darüber, denn der Titel muss ja funktionieren, ohne dass ich ihn erkläre.

Achim Riehn:
Und er muss die Menschen ins Opernhaus locken!

Dr. Swantje Köhnecke:
Und er muss mit dem Inhalt zu tun haben. Er darf keine Luftblase sein. Das ist eine sehr schöne und reizvolle Arbeit.

Achim Riehn:
Wenn Sie die Konzerte für eine Saison planen, nehmen Sie dann Bezug auf die Premieren an der Oper, die in der Saison gespielt werden, auf deren Komponisten, deren Zeit?

Dr. Swantje Köhnecke:
Eine solche Verknüpfung wird es nächste Spielzeit geben. Wir wünschen uns, dass Konzert und Oper in einen Dialog treten, dass es zu großen Opernpremieren ein Echo im Konzert gibt. Aber das ist leider nicht immer möglich. Zum Beispiel werden wir in der nächsten Spielzeit in der Oper eine deutsche Erstaufführung von einem Komponisten spielen, der kein einziges großes Konzertstück geschrieben hat.

Achim Riehn:
Wenn man sich ein Konzert mal ansieht: Gibt es erst eine Auswahl der Stücke und dann wählt man Dirigenten und Solisten aus oder geschieht das umgekehrt?

Dr. Swantje Köhnecke:
Da gibt es keinen normalen Ablauf. Als Dramaturgin erträume ich mir natürlich ein Programm und überlege dann, welchen Dirigenten ich mir dafür wünsche, und dann hat er auch noch Zeit und macht das. Aber ist in der Realität sehr unterschiedlich. Manchmal hat man Hauptstück und Dirigenten, dann geht man ins Gespräch über die anderen Werke.

Achim Riehn:
Beeinflussen GEMA-Gebühren und Verlagskosten auch, was auf den Spielplan kommt?

Dr. Swantje Köhnecke:
Nein, das hat auf das Konzertprogramm keinen Einfluss. Wir können wirklich spielen, was wir wollen. Das ist sehr schön!

Achim Riehn:
Wie groß ist insgesamt der Aufwand, so ein Jahresprogramm zusammenzustellen und zu planen? Wie lange sind Sie damit beschäftigt? Ich vermute mal, mindestens ein halbes Jahr durchgehend, oder?

Dr. Swantje Köhnecke:
Das lässt sich schwer beziffern, denn viele Dinge überlagern sich. Mit der Planung für die Saison 2021/22 haben wir konkret vor einem dreiviertel Jahr begonnen. Wenn wir jetzt den aktuellen Spielplan unter Dach und Fach haben, können wir anfangen, über den nächsten Spielplan nachzudenken. Aber wir sind auch schon in Gesprächen für Projekte für die Spielzeit 2023/24. Auf der anderen Seite ist man in dieser Corona-Zeit immer auch noch damit beschäftigt, das Aktuelle umzuplanen: wie sind die Bedingungen, welche Orchestergröße können wir eigentlich auf die Bühne bringen?

Achim Riehn:
Jetzt möchte ich vom konkreten Spielplan auf ein anderes Thema kommen. Was war Ihr konkreter Ausbildungsgang? Gibt es spezielle Ausbildungswege für Konzertdramaturgie oder – wenn nicht – wie kommt man hinein in diesen Beruf?

Dr. Swantje Köhnecke:
Ich habe Musikwissenschaften und Germanistik studiert. Als ich anfing zu studieren, da wusste ich noch nicht, was ich werden will. Ich wollte das studieren, was mich interessiert. Dann habe ich im Studium Praktika gemacht im journalistischen Bereich und am Theater. Direkt im Anschluss an mein Studium habe ich eine Stelle als Dramaturgin für Oper und Konzert am Theater Lübeck angetreten.

Achim Riehn:
Gab es Dinge aus Ihrer Jugend, die diesen Weg ins Theater beeinflusst haben? Ohne Interesse für Musik und Theater würde man ja wahrscheinlich diesen Weg nicht einschlagen.

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, als Jugendliche habe ich Querflöte gespielt und war Mitglied im selbstverwalteten Landesjugendorchester in Hamburg. Wir Jugendliche haben, natürlich mit Anleitung des Dirigenten, die Programme selbst gemacht. Zum einen habe ich so eine tolle Zeit als Musikerin im Orchester gehabt. Und zum anderen war es ein Orchester, in dem man viele Dinge als Jugendliche mit entscheiden und beeinflussen konnte.

Achim Riehn:
Sowohl Spielpraxis und Orchesterkenntnis als auch Organisation und Planung – das klingt nach einer guten Voraussetzung für Ihren Beruf.

Dr. Swantje Köhnecke:
Ich habe damals als Schriftführerin im Orchestervorstand die Probespiele organisiert, später war ich Organisationsleiterin mit Verantwortung für die Orchesterreisen. Ich denke oft an diese Wurzeln zurück und wie sehr mich das eigentlich geprägt hat. Natürlich bin ich keine ausgebildete Musikerin, bringe aber zumindest ein Grundverständnis davon mit. Als ausschließlich wissenschaftlich denkender Mensch würde aus meiner Sicht etwas fehlen, jedenfalls für die Art und Weise, wie ich den Beruf ausüben möchte.

Achim Riehn:
Und was war das Thema Ihrer Doktorarbeit?

Dr. Swantje Köhnecke:
„Literaturoper am Ende des 20. Jahrhunderts“, fächerübergreifend zwischen Literaturtheorie und Musikwissenschaft. Ausgehend von der Literaturtheorie habe ich im ersten Teil der Arbeit ein Analyse-Instrumentarium für Literaturopern entwickelt, also für Opern, die auf literarischen Vorlagen basieren. Im zweiten Teil der Arbeit habe ich dann dieses Instrumentarium an konkreten Werken angewendet, den Opern von Detlev Glanert. Im letzten Kapitel habe ich dann noch quer geschaut auf verschiedene andere zeitgenössische Modelle von musiktheatralen Umgängen mit Literatur.

Achim Riehn:
Das klingt auch spannend – und ist ja nicht so weit weg von Ihrer augenblicklichen Tätigkeit. Kommen wir noch einmal auf Ihre tägliche Arbeit zurück. Sie sind ja für die Konzerte zuständig. Arbeiten Sie mit den anderen Dramaturgen, Oper und Schauspiel, zusammen? Gibt es regelmäßige Abstimmrunden? Wie wird die Arbeit so organisiert?

Dr. Swantje Köhnecke:
Ich arbeite am Opernhaus, im Team von Chefdramaturgin Regine Palmai und Opernintendantin Laura Berman. Mit den Schauspieldramaturgen treffen wir uns einmal im Jahr, aber diejenigen, mit denen ich wöchentlich bis täglich zu tun habe, das sind die Kolleginnen und Kollegen der Opern- und Ballettdramaturgie. Wir sind ein eng zusammen arbeitendes Team.

Achim Riehn:
Zum Abschluss ein paar eher „persönliche“ Fragen. Welche Art von Musik haben Sie am liebsten, welches Werk würden Sie selbst gern mal wieder im Konzert hören?

Dr. Swantje Köhnecke:
Oh … (lange Pause) …. welche Art von Musik mag ich am liebsten …. (weitere lange Pause)

Achim Riehn:
Alle?

Dr. Swantje Köhnecke:
Nein, es gibt schon Musik, die ich überhaupt nicht mag. Aber die Frage ist schwierig, weil die Bandbreite von Gesualdo bis Grönemeyer reicht, von Johann Sebastian Bach bis Anna Depenbusch, der wunderbaren Liedermacherin aus Hamburg. Dann habe ich lange im Chor gesungen, Chormusik liegt mir sehr am Herzen. Ich höre wirklich sehr viel sehr gern. Laura Berman bezeichnet sich als „musikalische Allesfresserin“, das passt für mich auch.

Achim Riehn:
Und ein Wunsch für ein Konzert?

Dr. Swantje Köhnecke:
Das ist echt schwer. Das ist wahrscheinlich so, als wenn Sie als Koch gefragt werden: „Was möchten Sie mal wieder essen?“. Beim Machen des Spielplans schaue ich so viele Rezepte durch!

Achim Riehn:
Mir haben Sie im Mythos-Konzert so einen Wunsch erfüllt, das war „En Saga“ von Sibelius.

Dr. Swantje Köhnecke:
Ja, das Programm mochte ich auch wahnsinnig gern. Es war toll, mal sich ein Konzert lang nur mit Sibelius zu beschäftigen. Da haben wir uns selbst ein Geschenk gemacht.

Achim Riehn:
Dann komme ich jetzt mal mit einer vielleicht einfacheren Frage. Was hat Sie in der Oper hier in den letzten Jahren am meisten beeindruckt? Was war ihr Highlight der letzten Jahre?

Dr. Swantje Köhnecke:
Da gehe ich etwas zurück: „Peter Grimes“ in der Inszenierung von Barrie Kosky. Diese Oper ist mir wegen der Musik von Benjamin Britten sehr nah und, ich komme ja aus Hamburg, wegen der Hafenatmosphäre, dem Meer in der Musik. Und ich fand das wirklich großartig umgesetzt. Mein lieber Nachbar Robert Künzli war ein toller Peter Grimes, das war eine Rolle und Inszenierung wie für ihn geschaffen.

Achim Riehn:
Das war doch die Inszenierung mit den ganzen Kisten und zum Schluss war die Bühne leer, oder?

Dr. Swantje Köhnecke:
Wie mit diesen Bootskisten, also einem einzigen Symbol, auch im Bühnenbild so kreativ umgegangen wurde, das fand ich wirklich umwerfend. Aber natürlich, immer wenn man sich festlegt …. war da nicht noch diese „Traviata“, war da nicht noch „La Juive“? So viele großartige Inszenierungen – aber „Peter Grimes“ liegt mir sehr am Herzen.

Achim Riehn:
Halten Sie das hannoversche Publikum für offen und aufgeschlossen? Was würden Sie sich von Publikum mehr wünschen?

Dr. Swantje Köhnecke
Ja, es ist aufgeschlossen! Und ich wünsche mir nicht „mehr“. Ich wünsche mir einfach, dass die Menschen kommen, um Musik zu hören. Ich wünsche mir, dass sie auch mal Leute mitbringen, die Konzert eigentlich doof finden. Menschen einladen, Kinder- und Jugendliche mitbringen!

Achim Riehn:
Die GFO unterstützt die Staatsoper ideell und auch finanziell bei Produktionen. Gibt es etwas, was Sie sich von der GFO wünschen oder was Sie der GFO als Anregung mitgeben möchten? Wo könnten wir Sie in Ihrer Arbeit unterstützen?

Dr. Swantje Köhnecke:
Was ich an der GFO schätze, was für uns wichtig ist und was sie NIE genug machen können, ist, von der Staatsoper zu erzählen. Diese GFO als aktive Gruppe von Menschen, die Oper und Konzert lieben, ist wichtig.

Achim Riehn:
Zum Schluss noch zwei Fragen. Was freut Sie am meisten an Ihrer Arbeit und was stört Sie manchmal?

Dr. Swantje Köhnecke:
Mich freut am meisten an meinem Beruf, dass ich mit ganz unterschiedlichen Menschen und ganz unterschiedlicher Musik zu tun habe. Das ist wirklich eine große Freude, beides so zu miteinander verbinden zu können, nicht nur Menschen, nicht nur Musik, das ist sehr schön.
Was stört mich an meinem Beruf … (längeres Überlegen) Ich sage Ihnen offen, als Dramaturgin könnte man ein bisschen mehr Geld verdienen (lacht). Ich habe zwei Kinder, ich arbeite dreißig Stunden, was wunderbar ist, weil ich dadurch Beruf und Familie vereinbaren kann. Es gibt natürlich andere Bereiche der Gesellschaft, wo man finanziell komfortabler gebettet ist. Aber es ist schon in Ordnung. Mein erster Chefdramaturg hat immer gesagt: „Augen auf bei der Berufswahl!“. Am Theater hat man keinen Beruf, mit dem man reich werden kann. Aber es ist ein Beruf, in dem man sich mit dem beschäftigen kann, was man liebt. Das ist schon viel wert!

Mit diesem schönen Schlusswort endete unser Gespräch. Es war ein Vergnügen, mit einer so offenen und kommunikativen Gesprächspartnerin zu sprechen. Wir unterhielten uns viel länger als geplant und es hätte gut noch weitergehen können. Konzertdramaturgie ist eben sehr spannend und vielseitig, das Gebiet liefert eine Fülle an interessanten Gesprächsthemen. Im nächsten Leben möchte ich Konzertdramaturg werden!

Achim Riehn

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