„Tosca“ von Puccini, ein Renner im Repertoire, viel gespielt und inszeniert. Kann man hier Neues finden?
Für mich persönlich sind folgende Fragestellungen bei einer Inszenierung wichtig. Bringt die Inszenierung frische Ideen? Arbeitet die Inszenierung den Wesenskern der Geschichte heraus? Brennen die Inszenierenden für das, was sie tun?
Einführungsmatineen sind für mich aufschlussreich, weil man genau auf diese Dinge achten kann. Ein „Nein“ auf eine meiner Fragestellungen lässt dann eine altbacken-biedere, eine Regietheater-Themaverfehlung oder eine uninspirierte Aufführung (oder gar alles zusammen) erwarten.
Als Gäste begrüßte die Chefdramaturgin Regine Palmai zu dieser gut besuchten Veranstaltung Kevin John Edusei (Dirigent), Liene Kinca (Tosca), Seth Carico (Scarpia) und am Klavier Carlos Vazquez. Der Regisseur Vasily Barkhatov war leider verhindert, offenbar hatte es auf der Bahnstrecke Berlin – Hannover Probleme gegeben. Der zentrale Adressat für meine drei Fragestellungen war also nicht dabei – es gab aber doch genügend aufschlussreiche Informationen.
Die drei Gäste erzählten zuerst davon, wie die letzten Wochen vor einer Premiere so ablaufen, wie man sich fit und in der richtigen Spannung hält. Alle sind „wie in einem Tunnel“, wie es Kevin John Edusei ausdrückte. Als Zuhörer bekam man einen guten Einblick in die Abläufe an einem Opernhaus mit den teilweise großen organisatorischen Anforderungen. Beide Sänger erzählten, dass sie immer möglichst spät vor einer Vorstellung ins Opernhaus kommen, um sich nicht von der allgemeinen Aufgeregtheit anstecken zu lassen. In den letzten zehn Minuten hört Seth Carico Hiphop-Musik. In meinem Kopf blitzte kurz die Vorstellung auf, wie Scarpia in seinen einsamen Mußestunden diese Art von Musik hört …. aber das wäre ein sehr modernes Regiekonzept.
Nach dieser kurzweiligen Einleitung näherte man sich dann dem Kern der Sache. Regine Palmai gab eine kurze Einführung in Entstehung und Hintergrund der Oper. „Tosca“ wurde 1900 uraufgeführt und zählte schnell (und bis heute) zu den meist gespielten Opern der Welt. Puccini wollte als Gegensatz zur „Boheme“ eine ganz dunkle, finstere Story haben. Er war begeistert von der Darstellung der Tosca durch Sarah Bernhardt im Theaterstück „La Tosca“ von Victorien Sardou. Puccini hatte kein Wort verstanden, war aber durch die Geschichte – ein Mord auf offener Bühne durch eine bedrängte Frau – sofort gefangen. Sein Anliegen war es dann, auch musikalisch diese Verbindung von Realität und Fiktion zu schaffen.
Kevin John Edusei ging zuerst auf Besonderheiten der Musik ein. Die Orchesterbesetzung ist sehr reichhaltig, in allen Orchestergruppen gibt es Extrafarben (z.B. Piccoloflöte, Englischhorn). Es gibt viele Klanggeflechte, welche die Handlung verorten. Authentizität dieser Art war für Puccini sehr wichtig. Für die Kirchenszene des ersten Akts hat er sich z.B. sehr genau über die liturgischen Abläufe informiert. Der dritte Akt beginnt in Rom auf der Engelsburg, mit Blick auf den Petersdom. Die Glocken des Doms sind in die Melodie des Orchesters verwoben, eine „unbelastete Morgenatmosphäre“ wird so erzeugt. Carlos Vazquez spielte die entsprechende Stelle auf dem Klavier vor. Puccini hatte sich die Glocken und ihre Stimmungen genau erklären lassen. Sie erklingen verteilt auf verschiedene Richtungen von der Hinterbühne (Regieanweisung: „in der Ferne“). Dies wird oft durch eine aufgezeichnete Einspielung gelöst. Die hochengagierte Schlagzeugtruppe des Orchesters wollte dies aber unbedingt live und mit echten Glocken spielen. Als der Dirigent in Südspanien im Urlaub war, hatte er dazu von den Schlagzeugern sogar eine dringliche Mail erhalten. Für mich zeigt diese kleine Anekdote die hohe Professionalität unseres Orchesters.
„Tosca“ ist ein Stück mit dem für die italienische Oper typischen Dreieckszentrum aus Sopran, Tenor und dem Bariton-Bösewicht. Musikalisch geht sie aber über das damals Gewohnte heraus. Scarpias Tod zum Beispiel ist ein auskomponiertes Melodram mit Anklängen an den Stil Schönbergs (den Puccini genau studiert hatte). Liene Kinca warf ein, dass es sehr anspruchsvoll ist, die Balance zwischen den verschiedenen Emotionen ihrer Figur zu finden. Aber es sei zweifelsohne eine „Schokoladenpartie“ ihres Faches.
Alle wollten nicht zu viel über das Konzept verraten, aber einige aufschlussreiche Andeutungen gab es doch. Seth Carico sagte über seine Rolle, dass die Inszenierung versucht, mehr Facetten von Scarpia aufzudecken. Es wird kein plakativer Bösewicht, es wird versucht, einen Hintergrund für diese Figur zu finden. Es soll keine Entschuldigung für ihn werden, aber es soll eine Erklärung seines Verhaltens sein.
Die komplexeren Biographien aus der Vorlage für die Oper werden den Figuren zurückgegeben (das Libretto ist gekürzt und vereinfacht). Es geht ja nicht nur um Scarpia – auch die Geschichte hinter den anderen Figuren ist wichtig. Es muss zum Beispiel glaubhaft werden, dass Tosca innerhalb kurzer Zeit von einer Liebenden zu einer Mörderin wird.
Regine Palmai ging dann dankenswerterweise doch ein bißchen ins Detail. Es ist eine Herausforderung, ein solches Repertoirestück neu zu denken. Puccini will sein Publikum schockieren – aber das reicht heutzutage nicht mehr als Ansatz. Interessant heute ist die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass die Personen so geworden sind wie sie sind. Antworten auf diese Frage finden sich auch im gewählten Bühnenbild. Die Oper spielt in Rom, das wird aufgenommen (z.B. durch das Colosseum). Es wird aber auch das Innere der Figuren gespiegelt. Beim Tedeum läuft unten der Gottedienst ab, oben sieht man Scarpia in seinem Wohnzimmer. „Man sieht in der Inszenierung, was Scarpia denkt.“ Kevin John Edusei ist von dem „sehr opulenten Bühnenbild“ sichtlich begeistert. Morgen wird es zum ersten Mal vollständig aufgebaut – alle sind gespannt, ob es wie geplant funktioniert.
Scarpia ist die geheime Hauptfigur der Oper. Nicht zuletzt deswegen lässt Puccini das Stück mit seinem Leitmotiv beginnen und auch enden (Carlos Vazquez spielte es in seinen verschiedenen Facetten vor). Für diese Rolle braucht man einen großartigen Sänger UND Schauspieler. Seth Carico demonstrierte dies mit dem Beginn des zweiten Aktes „Tosca e un buon falco“. Er hat eine beeindruckende Stimme mit dämonischer Strahlkraft, es ist fast angsteinflößend. Hier kann man sich sehr auf sein Debüt in dieser Rolle freuen. Für Kevin John Edusei stand dann als Schlusswort fest, dass es dem Regisseur gelingt, die ganzen Ebenen in Scarpia offenzulegen. Für den Regisseur ist Scarpia die zentrale Figur, das düstere Herz der Oper.
Sind meine drei Fragestellungen damit beantwortet? Ich glaube ja. Meine Vermutung ist, dass wir ein ausgefeiltes Seelendrama sehen werden in einem spektakulären Bühnenbild, welches das Innere der Figuren spiegelt. Feuer brennt in den Beteiligten. Und das alles zusammen ist ja genau das, was Oper interessant macht.