Kostprobe „Der Barbier von Sevilla“ 13.01.2020

Ab dieser Saison gibt es als Angebot für das Publikum die „Kostprobe“. Sie ermöglicht die Teilnahme an einer Probe für ein neues Stück, umrahmt von Vor- und Nachgespräch. Auch heute war der Marschnersaal wieder voll von erwartungsvollen Gästen, bei der Probe gab es dann fast keinen freien Platz mehr im ersten Rang.

Zur Einführung war das ganze Leitungsteam der Inszenierung da, die Dramaturgin Julia Huebner moderierte.

Wie bringt man ein solches Stück – eine eher komische Oper, uraufgeführt 1816 – in die heutige Zeit? Das Stück zeigt eine von Intrigen durchseuchte Gesellschaft. Jede Figur versucht, für sich das Bestmögliche herauszuholen. Für die Regisseurin Nicola Hümpel ist es reizvoll, gerade dies in einer Inszenierung für das Heute abzubilden. Das Mittel Video wird genutzt, um den Figuren tiefer in die Seele zu blicken. Für die Regisseurin ist ein Videoeinsatz anders auch nicht sinnvoll. Das Video dient hier als Opernglas in die Seele. Wir werden die Gedanken der Menschen sehen können, die manchmal etwas anderes aussagen als das, was sie singen. Der Abend wird sozusagen ein Film, der während der Vorstellung live erzeugt wird. Das ist eine enorme Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.

Der Bühnenbildner Oliver Proske führte aus, dass das Bühnenbild ein eigentlich ganz klassisches ist. Drei Räume auf der Drehbühne, die Rückwand dient als Leinwand für die Videos. Die Kameras für die Livevideos sind links und rechts fest positioniert.

In der Klavierprobe (also ohne Orchester) sahen wir dann den Beginn des ersten Aktes. Die Kostüme waren Probenkostüme, sie deuteten also die realen Kostüme nur an. Wir konnten miterleben, wie auf der Bühne das Agieren miteinander und mit den Kameras im Detail geprobt wurde. Es war auch sehr unterhaltsam, den Sängerinnen und Sängern beim Agieren zuzuschauen. Hubert Zapior als Barbier war herrlich, ein Kobold, der mit allem flirtet, das auf die Bühne kommt.

Für mich ist so ein Probenprozess genauso aufregend wie die Aufführung selbst. Man taucht in den Prozess des Entstehens ein, ist so der Inszenierung ganz nah. Ich inszeniere in Gedanken immer mit, Varianten gehen durch meinen Sinn, Fragen kommen auf. Für mich erhöht das den Reiz einer Inszenierung außerordentlich, sie wird so auch „meine“ Inszenierung.

In der Nachbesprechung mit Julia Huebner wurden dann intensiv und konstruktiv Fragen beantwortet und Ansichten ausgetauscht. Erzeugt der Videoeinsatz mehr Nähe oder erhöht diese weitere Ebene die Distanz? Auf welche Ebene richtet sich die Aufmerksamkeit? Kann man als Zuschauer von einer Ebene in die andere springen. Alle waren sich einig, dass dies ein spannender Abend wird, der aber etwas höhere Anforderungen an des Sehen stellen wird (jedenfalls zu Beginn). Lässt man sich ein, dann ist man dem Geschehen unheimlich nah. Mehr möchte ich aber nicht verraten.

Das Angebot der „Kostproben“ ist angekommen beim hannoverschen Publikum. In der Nachbesprechung wurde deutlich, dass alle wirklich interessiert sind – so viele sachliche und konstruktive Fragen und Anregungen habe ich selten gehört. Besonders gefreut hat mich, dass viele jüngere Menschen unter den Besuchern waren. Vielleicht springt der Funken der Opernbegeisterung durch so ein Format besonders gut über!

Hans-Joachim Riehn

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