Kostprobe „Rusalka“ am 28.02.2023 – erster Einblick in ein Märchen über das Nichtverstehen

Diese „Kostproben“ sind immer wieder spannend und erhellend. Das Publikum bekommt Einblick in eine Produktion im Entstehungsprozess und erhält Einblicke in den Entstehungsprozess und die Absichten hinter der Inszenierung. Dann sieht man eine Probe und weiß damit schon früher als alle anderen Menschen, wie das wird. Das alles für 10 Euro, herrlich! Alle Karten waren für diese Probe verkauft worden, viele jüngere interessierte Menschen waren im Publikum.

Auch diese Kostprobe erfüllte wieder alle meine Erwartungen. Vor dem Probenbesuch gaben die Dramaturgin Sophia Gustorff und die Regisseurin Tatjana Gürbaca dreißig Minuten lang Einblicke in das Stück und in ihr Regiekonzept. Ich habe für mich eine Faustregel aufgestellt, ob von einer Inszenierung etwas Spannendes und Mitreißendes zu erwarten ist: ist die Regisseurin oder der Regisseur voller Begeisterung? Brennt sie oder er für das Stück? Heute war das wieder so: Tatjana Gürbaca loderte förmlich vor Begeisterung, so erfüllt von einem Stück habe ich selten eine Person gesehen. Zudem zeigte sie eine dem Publikum sehr zugewandte, freundliche Art. Sie hatte mich so schon nach den ersten Worten für das Stück gewonnen.

Foto und Copyright: Achim Riehn

Sophia Gustorff und Tatjana Gürbaca erläuterten dann die zentralen Punkte, die für die Inszenierung wichtig sind. Rusalken sind die (Fluß)Seejungfrauen der tschechischen Märchenwelt. Es ist aber ein Thema, das in den Märchen vieler Länder vorkommt, es ist ein archetypisches Märchen. Rusalken (oder Undinen) stehen dabei gegen alles, was menschliche Konvention ist. Sie sind Naturwesen und stehen für das, wonach wir uns im Herzen sehnen. Sie beinhalten das Versprechen eines paradiesischen Zustands ohne Zwänge. Der Verrat des Prinzen versperrt den Weg ins Paradies.

Die Geschichte ist aber komplexer, als es normalerweise Märchen sind. Rusalka ist Vertreterin der ungebändigten Natur. Sie möchte aber ihr eigenes, individuelles Leben haben. Die Oper ist die Geschichte einer permanenten Transformation, einer Suche nach Neuem, einer Suche nach Erkenntnis. Der Prinz fühlt sich in seiner Welt ebenfalls nicht richtig zuhause. Er hat Sehnsucht nach einer besseren, freieren Welt. Beide Welten haben Sehsucht nacheinander, weil in beiden Welten offenbar etwas fehlt.

In diesem Stück lernen wir also insbesondere etwas über unsere Welt. Wir lernen etwas über Sehnsucht, Betrug, Verrat, Suche und Liebe. „Wir“ sind die blasierte Welt am Hofe des Prinzen, uns wird ein Spiegel vorgehalten. Wir in unserer Welt werden mit der Welt der Natur konfrontiert und müssen feststellen, dass wir sie nicht verstehen. Zwei Welten prallen aufeinander und die Personen beider Welten scheitern.

Rusalkas Wunsch nach Menschwerdung verändert nicht nur unsere Welt, sondern auch die Wasserwelt. In der Inszenierung sind der Wassermann und die Hexe Jezibaba Elternfiguren. Sie haben ihre eigene Vorgeschichte und auch darüber erfahren wir etwas in dieser Inszenierung. Was, das wurde nicht verraten – ich habe aber eine Vermutung.

Musikalisch ist das ein düsteres Musikdrama, es ist psychologisierende Musik. Dvorak zeigt sich hier bei aller Eigenständigkeit von Richard Wagner beeinflusst.

Die Probe heute war die erste Bühnenorchesterprobe. Zum ersten Mal probten alle mit dem Orchester zusammen. Geprobt wurde in Bühnenkostümen, also hauptsächlich in Alltagskleidung. Bei der Festgesellschaft konnte man aber schon erahnen, in welche (elegant tiefrote) Richtung hier die Kostüme gehen. Die Beleuchtung war noch im Experimentierstadium, so Tatjana Gürbaca. Mir erschien das aber schon sehr stimmig. Sängerinnen und Sänger sangen nicht aus, aber die Schönheit der Stimmen ließ sich schon bewundern.

Zentral für die Inszenierung ist, dass wir sehen und mitfühlen, wie die Wasserwelt und die Menschenwelt zusammenhängen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen, wie sie sich gegenseitig verändern. Das wird auch in den Wandlungen des Bühnenbilds deutlich. Wir sahen in dieser Probe den ersten Akt (Wasserwelt) und den zweiten Akt (Festgesellschaft beim Prinzen – Menschenwelt). Ich fand es sehr stimmig und stimmungsvoll (und spektakulär), wie sich diese beiden Welten nahtlos ineinander verwandelten. Motive der Wasserwelt fanden sich so als Interieur im Schloss wieder, übergroße Flußkiesel dienten nun als eine Art von Sesseln. Dies zusammen mit der Personenführung und der so klaren Musik Dvoraks machte es mir möglich, die Emotionen auf der Bühne und die Handlungen zu verstehen, ohne den Text zu kennen. Das ist für mich immer ein Signal dafür, dass hier alles stimmig und durchdacht ist.

In der Nachbesprechung mit Sophia Gustorff gingen wir dann ausführlich auf viele Punkte ein, die uns aufgefallen waren. Ich bin jetzt sehr gespannt auf die ganze Oper. Wer Märchen, Geheimnis, Drama und tiefere Bedeutung in einer Oper liebt, der wird hier richtig sein. Ich freue mich sehr auf die Vorstellung, die ich besuchen werde! Und ich freue mich unbändig auf die nächste Kostprobe!

Achim Riehn

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