Probenbesuch „Orfeo ed Euridice“ am 14.03.2024 – Gesang und Tanz als Spiegel der Emotionen

So eine volle Kostprobe habe ich noch nie erlebt. Im Marschnersaal gab es fast keinen freien Platz mehr. Im Internet hatte ich es gesehen, dass es eine Warteliste für Karten gegeben hatte. Auch viele junge Menschen waren unter den Besuchern, was mich besonders gefreut hat.

Staatsoper Hannover (Foto und Copyright: Achim Riehn)

Die Einführung machten Dramaturg Martin Mutschler und Regisseurin Lisaboa Houbrechts. Lisaboa Houbrechts stammt aus Belgien. In ihren Stücken verbindet sie gern verschiedene Kunstformen wie Schauspiel, Musik, Bildende Kunst und Tanz. Sehr spannend gaben sie uns Einblicke in ihre Sicht auf das Stück.

„Orfeo ed Euridice“ ist in Hannover seit Jahrzehnten nicht aufgeführt worden. Jetzt kommt es hier in der ersten Wiener Fassung in Originallänge auf die Bühne. Um die Botschaft des Stückes und den Umgang der Regisseurin mit dem Stoff klarer herauszuarbeiten, ist das Stück mit kleinen textlichen Erweiterungen ergänzt worden.

Für Lisaboa Houbrechts ist Euridice kein Opfer. Sie ist selbst in den Tod gegangen (das Stück selbst lässt die genauen Umstände des Todes offen). Die Figur des Amor tritt in der Inszenierung als Ärztin auf, die dieses Sterben begleitet hat. Wir sehen in der Inszenierung, wie Orfeo durch den Prozeß der Trauerbewältigung geht, von verzweifelter Wut und Trauer bis hin zur Akzeptanz des Todes. Die Inszenierung soll die Tragik des Todes zeigen, aber gleichzeitig uns auch weitere Fragen stellen. Gibt es eine Schönheit des Trauerns? Die Musik legt das ja nahe. Gibt es in diesem schweren, abgrundtiefen Gefühl eine Art von Schönheit?

Wir sahen dann eine Bühnenorchesterprobe, in der es vor allem darum ging, die Balance zwischen Bühne und Orchester herzustellen. Wir konnten einem Durchlauf der ersten zwei Akte zuschauen. Das uns etwas Besonderes erwartete, wurde uns durch kleine Details deutlich. Es gab gleich zu Beginn kleine textliche Ergänzungen, die die Lesart dieser Inszenierung verdeutlichten. Da wir noch vor der Premiere sind, kann ich dazu aber nichts verraten (ich sage nur Triggerverwarnung, verzweifelter Orfeo während der Ouvertüre und Sprachnachricht). Das waren aber die einzigen Ergänzungen, die ich während dieser beiden Akte bemerkt habe.

Das Bühnenbild ist streng und fast würdevoll monumental, es erinnert an eine große Trauerhalle auf einem Friedhof, fünf hohe Pfeiler im Hintergrund. Ich musste sofort an das 1999 fertig gestellte Krematorium Baumschulenweg in Berlin denken, eines der herausragenden, zeitgenössischen Gebäude Berlins. Die Farben sind gedeckt, dunkel, auf und ab schwebende Scheinwerfer verändern das Licht. Gluck hat das Stück als Mischung aus Oper und Ballett angelegt, das wurde auf faszinierende Art und Weise so umgesetzt. Der Chor (neben Orfeo die zweite Hauptperson des Stückes) ist mit seinen Bewegungen in die Choreografie integriert. Das Geschehen machte einen poetischen, fast hypnotischen Eindruck. Lisaboa Houbrechts hatte ihre Intentionen dazu in der Einführung dargelegt: Emotionen sollen in Bewegung umgesetzt werden. Tanz, Chor und die Soli haben eigene Arten von Bewegungen, die aus alltäglichen Bewegungen abgeleitet worden sind. Mein Eindruck: das Geschehen auf der Bühne reflektiert die Emotionen Orfeos.

In der Nachbesprechung mit Martin Mutschler waren wir dann in etwas kleinerem Kreis. Die Probe fand noch ohne Kostüme statt, die realen Kostüme werden sich in das Bühnenbild einfügen. Martin Mutschler erläuterte dann die Prämisse der Inszenierung genauer: Euridice, unter lebenslangen Depressionen leidend, hatte schon lange den Wunsch gehabt zu sterben. Und die Inszenierung greift das auf, was uns die Musik sagt: Die schönste Musik findet sich in der Unterwelt. Es gibt also Schönheit im Tod. Intensiv diskutieren wir dann, ob eine der textlichen Ergänzungen zu Beginn nicht zu plakativ sei. Hier bin ich gespannt, ob es da noch Änderungen gibt.

Gluck hat diese Oper als „Azione teatrale per musica“ („Theatralische Aktion zur Musik“) bezeichnet und damit klar als Mischung verschiedener Künste deklariert. Ich glaube, das könnte in dieser Inszenierung sehr gut umgesetzt sein. Uns erwartet eine hypnotische, meditative Mischung aus Oper, Ballett und Schauspiel, die uns viel zum Thema Tod zum Nachdenken gibt. Ich bin gespannt! Die Premiere ist am 22. März.

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