„Große Ambitionen“ – Das waren die Worte, die mir nach der Vorstellung vom 21.04.2022 im Sinn geblieben sind. Die Inszenierung der romantischen Oper von Heinrich Marschner war voll mit Meta-Kommentaren und zeitgenössischer Gesellschaftskritik. Allerdings hat diese mich nicht besonders angesprochen.
Dabei war ich am Anfang positiv überrascht; die Ouvertüre und das imposante Bühnenbild, gepaart mit dem kostümierten Chor waren eine Szene, wie ich sie vorher noch nie so groß auf einer Bühne gesehen hatte. Die zerstörte Synagoge mit dem abgebrochenen Davidstern und die mystischen Gestalten erzeugten eine mächtige und düstere Stimmung.
Diese wurde aber meiner Meinung nach unmittelbar gebrochen, sobald der „ewige Jude“ und Lord Byron auftraten. Der „ewige Jude“ schien mir fehl am Platz zu sein und trägt meiner Meinung nach nicht zur Geschichte bei, denn die Metaphysik und die soziologischen Beobachtungen der Figur haben sich nicht mit meinen Zuschauerinteressen gedeckt.
Lord Byron schien mir noch stärker fehl am Platz zu sein und trug meiner Meinung nach noch weniger zur Geschichte bei. Sein Auftreten sowie sein äußeres Erscheinungsbild sind campy und erinnern an die stereotype Darstellung vom „schwulen (oder bisexuellen) hypersexuellen Mann“ (umgangssprachlich auch „predetory gay“). Diese Figur fällt im ersten Akt visuell und charakterlich aus dem sonstigen Rahmen der Handlung. Besonders durch Lord Byron wird in dieser Inszenierung Gesellschaftskritik geübt; sei es in Form eines wenig subtilen Seitenhiebs in Form eines von Shell gesponsorten Kleids oder die direkte Kritik an der „sexistischen Oper“ (Zitat Lord Byron). Diese Dinge, unabhängig von ihrer Daseinsberechtigung, haben für mich keinen Bezug zum eigentlichen (Original-) Stück und lenken so meiner Meinung nach eher ab.
Der zweite Akt war für mich visuell etwas zu viel. Die Kulisse der zerstörten Kaufhauswand mit Neonlichtern war auf Dauer für meine Augen recht anstrengend. Auch hier sah ich nicht den Bezug der Konsum- und Kapitalismuskritik zum Stück. Auch fand ich die schwarz glänzenden Kostüme, die den zweiten Akt dominierten, anstrengend, was gewiss aber zu einem Großteil mit meinem persönlichen Geschmack zu tun hat. Das und z.B. die kostümierten Kinder, die wie Aliens/Gnome aussahen, waren für mich vom Geschehen ablenkend und ich habe nicht die Verbindung zur Geschichte gesehen.
Das Finale wiederherum hat mir sehr gefallen. Das Bühnenbild und die Musik erzeugten wieder die imposante Atmosphäre des Anfangs und leiteten eine mitreißende Klimax ein. Die originale Oper wurde gespielt und gesungen und zwar unironisch und im Moment unkommentiert; im anderen Zuge wurde dann aber fast schon wechselhaft mit dem Zeigefinger in die verschiedensten Richtungen gewedelt.
Insgesamt habe ich sehr gemischte Gefühle zu dieser Inszenierung. Noch während des Stücks hatte ich den starken Eindruck, dass zwei Stücke parallel, sich abwechselnd, auf derselben Bühne laufen: Eins die romantische Oper mit großen Szenen, Arien und einer emotionalen Geschichte. Eine Katastrophe, ein werdender Unfall, von dem man nicht wegschauen kann. Das andere ein Theaterstück, dass probiert, große Probleme anzuprangern und es, zumindest aus meiner Sicht, nicht schafft, da die Kritik an nichts gebunden scheint und wie aus der Luft gegriffen wirkt.
Dieser Mangel an Kohärenz führt leider auch dazu, dass der Teil, der mir eigentlich gut gefallen hat, die „originale“ Oper, gestört wird. Kritik wird links und rechts geübt, aber erreicht den Zuschauer meiner Meinung nach nicht. Die Inszenierung steht gefühlt mit beiden Füßen in jeweils anderen Lagern und hätte von mehr Kohärenz und einer klareren Identität sicherlich profitiert.
Jan Jingyang, Jg. 13, Neue Schule Wolfsburg