Schon zweimal hat GMD Stephan Zilias sehr anregende und spannende Informationen über zwei Opern aus dem jeweils aktuellen Spielplan gegeben, das waren „Parsifal“ und „Lear“, damals noch im „aufhof“. Nun also die dritte Veranstaltung „Locker vom Hocker“, diesmal über „Salome“ von Richard Strauss, diesmal im Marschnersaal. Und wieder war es ein vor Begeisterung und vor Wissen sprühender Vortrag. Ich bin froh, ihn nicht versäumt zu haben!
„Salome“ war 2019 das erste Dirigat von Stephan Zilias hier an der Staatsoper Hannover. Diese Oper war eines „der aufwühlendsten Dinge, die ich je dirigiert habe“, die Oper ist für ihn „ein Faszinosum“, sie ist ohne jede Frage „ungeheuer faszinierend“. Das Stück wurde 1905 uraufgeführt, es gab mehr als 10000 Aufführungen bis zum Jahr 2000. Das war ein Siegeszug und das trotz der radikalen Musik, ohne die die Musik des 20. Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre. Diese Oper ist gekennzeichnet durch „wahnsinnige Vertiefung und Konzentration“.
Stephan Zilias ging dann durch Musikbeispiele am Klavier auf wichtige Details der Oper ein. Ich gebe es so wieder, wie ich es mir notiert habe, Fehler sind also allein meine Verantwortung. Es gibt keine Ouvertüre, es geht gleich mitten hinein ins Geschehen. Aber sofort und ganz eindrücklich wird eine zauberische Stimmung aufgebaut. Wie „heiße Luft über Asphalt“ klingt das Tremolo der zweiten Violinen. Das Motiv des Narraboth erinnert an den Beginn von Tristan und Isolde, Liebessehnsucht pur. Katzenhaft erklingt die Klarinette. Dieser Klarinettenlauf vereinigt cis-Moll und G-Dur, zwei ganz gegensätzliche Tonarten. Am Schluss der Oper erklingen dieselben Töne, aber jetzt in Akkorde zusammengeschoben. Dann „Man töte dieses Weib“, zwei c-Moll-Akkorde, ein ganz abrupter, endgültiger Schluss. Nichts lässt dieser Schluss offen, es ist das Ende, kurz, knapp, brutal.
Die Person Salome ist musikalisch am Anfang der Oper eine andere als am Ende. Zu Beginn ist sie ein Mädchen, ein Mädchen, das gern tanzt. Dies hört man in den ihr zugeordneten Melodien und dem leuchtenden As-Dur: „Ich bin Salome, die Tochter der Herodias“. Zu einem wahren Gefühlsausbruch kommt es bei der Begegnung mit Jochanaan, auf einmal hören wir eine ganz andere Melodik. Fast trotzig klingt es, „Ich will deinen Mund küssen“, das pochende Trotz-Motiv verwandelt sich später in das „Gib mir den Kopf des Jochanaan“. Strauss ordnet den Personen so etwas wie Leitmotive zu, aber diese Motive ändern sich ganz drastisch im Verlauf der Oper.
Jochanaan ist ein Fundamentalist und Frauenfeind, dazu braucht man nur auf den Text zu schauen. Aber dieser Text wird in eine sehr harmonische Musik gekleidet, As-Dur erklingt, geht in C-Dur über. Erhaben klingt das, weihevoll, das Gift des Fundamentalismus schleicht sich in unsere Ohren.
Herodes ist melodisch nervös und ziellos. Seine Musik ist durch Ganztonleitern geprägt, die auch keinen Zielton haben. Wir hören „Bluthochdruck-Akkorde, Herzrythmusstörungen in der Musik“. „Der Mann hat keine hohe Lebenserwartung“, so Stephan Zilias. Herodias sagt dagegen zu allem Nein, sie ist eine musikalisch klare Realistin. Größer könnte der Gegensatz zu dem von Visionen geplagten Herodes kaum sein.
Unheimlich viele Details gibt es im Orchester, die Inhalte des Textes unterstützen, visualisieren, verdeutlichen. Stephan Zilias gab hier tolle Beispiele. Wenn Salome zum Beispiel den Mund des abgeschlagenen Kopfes küsst, vereinigen sich zum einzigen Mal kurz die Musikwelten von Salome und Jochanaan, in einem leuchtenden, außerweltlichen Cis-Dur. Und dann „Aber das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“. Zu dieser Passage, dem Abschied von der Welt, erklingt eine zwölftönige Reihe. Für die grundlegenden Wahrheiten braucht man alle Töne.
Mit viel Beifall wurde diese wunderbare Reise durch die Welt von „Salome“ bedacht. „Salome“ steht gerade auf dem Spielplan, ich werde mir diese Oper noch einmal ansehen. Im April wird es wohl wieder einen „Locker vom Hocker“-Termin geben, dann zu “Greek Passion“. Das darf man nicht versäumen! Ein Getränk ist im Preis für die Karte enthalten, man kann es sich also bei einem tollen Vortrag auch noch gut gehen lassen.
Achim Riehn