„The Greek Passion“ von Bohuslav Martinů ist recht unbekannt, gehört nicht zum ständig wiederholten Kernrepertoire des Opernbetriebs. Die Staatsoper Hannover zeigt dieses Stück nun in einer bezwingenden Inszenierung von Barbora Horáková, es wurde ein glühendes Plädoyer für diese Oper. Der Regisseurin ist für mich hier eine Referenz-Inszenierung von „The Greek Passion“ gelungen.

Schlussapplaus für „The Greek Passion“ (c) Achim Riehn
Eigentlich sollte das Stück hier im Frühjahr 2020 auf die Bühne kommen, aber wenige Tage vor der Premiere musste alles wegen Corona abgebrochen werden. Nun endlich, nach fünf Jahren, kann dies zum Ende der Intendanz von Laura Berman nachgeholt werden. Zum Glück! Ein passenderes Werk zum zeitgleich stattfindenden Kirchentag rund um die Oper hätte sich für mich nicht finden lassen.
Die von mir gesehene Aufführung am 3. Mai 2025 war ein Glanzstück, sie überzeugte in jedem Bild, in jedem Moment. Dies ist eine Inszenierung ganz nah an der Geschichte, trotzdem niemals altbacken oder konventionell. Zum packenden Einklang aus Inszenierung und Bühnenbild kam ein grandioses Ensemble und ein ebenso grandios aufspielendes Niedersächsisches Staatsorchester unter der Leitung von Stephan Zilias. Was will man mehr!
Martinů hatte die Oper 1957 für die Londoner Oper Covent Garden in englischer Sprache komponiert, die das Werk aber ablehnte. Martinů überarbeitete das Werk grundlegend, diese nun viel konventionellere Fassung konnte 1961 in Zürich uraufgeführt werden. Die nur mühsam rekonstruierbare Urfassung kam dann 1999 erstmals bei den Bregenzer Festspielen auf die Bühne. In Hannover wurde nun diese Urfassung gespielt. Sie enthält viel mehr gesprochenen Text, ist weniger oratorienhaft. Sogar die Sprechrolle eines Erzählers gibt es.
Bei einem Probenbesuch am 07.04.2025 gab es durch Barbora Horáková Einblicke in die Inszenierung. Die Oper ist riesig besetzt, bis zu fünfzig Personen sind gleichzeitig auf der Bühne. Es gibt zwei Chöre, Kinderchor, Tänzerinnen und Tänzer, 18 Solisten, eine Sprechrolle. Für Barbora Horáková spielt der Chor die Hauptrolle. Gespielt wird die erste Fassung, weil sie den Rollen viel mehr Platz gibt, sie farbenreicher ist. Für die Regisseurin zeigt diese Fassung viel mehr von den Menschen.
Das Thema der Oper ist extrem aktuell. Sie erzählt von einem Flüchtlingsdrama in Griechenland und spielt zur Zeit des griechisch-türkischen Krieges in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Libretto basiert auf einem Roman von Nikos Kazantzakis. In einem kleinen Dorf wird gerade ein Passionsspiel vorbereitet und die Rollen werden verteilt, als ein Strom von Flüchtlingen Hilfe sucht. Es sind ebenfalls Griechen, deren Dorf zerstört wurde. Sie hoffen auf Solidarität, aber es gibt nur widerstrebendes Willkommen. Allein die für die Hauptrollen des Passionsspiels ausgewählten Personen zeigen Solidarität, wohl weil sie sich immer stärker mit ihren Rollen und damit der christlichen Botschaft der Nächstenliebe identifizieren. Besonders der den Christus spielende Schäfer Manolios steigert sich immer mehr in seine Rolle hinein und predigt schließlich sogar den Aufstand. Schließlich wird er von den Dorfbewohnern getötet, die Flüchtlinge müssen weiterziehen.
In einem sehr guten „Locker vom Hocker“ zur Oper am 23.04.2025 gab es durch Stephan Zilias Einblicke in Oper, insbesondere in die Musik. Es gibt keine Guten und keine Schlechten auf der Bühne, „die Figuren sind sehr schimmernd“. Die erste Fassung unterstützt die Idee einer Dorfgemeinschaft, die weder gut noch böse ist.
In der Musik geht es auf kurzem Weg von einer Stimmung in die nächste, es sind „Schnappschüsse“. Es ist „wie ein Film, in dem es nur harte Schnitte gibt“. Die Musik hat unheimlich vielfältige Stimmungen, die abrupt nebeneinander gestellt sind. Die Inszenierung bildet dieses „Spektrale“ fein ab. Die zweite Fassung der Oper dagegen ist viel konventioneller, sie ist opernhafter, glättet das alles.
Ein wichtiges Instrument ist die Oboe, sie steht für pastorale Stimmungen, für Schäfermusik und Schalmeienklang. Sie wird oft zu dritt eingesetzt, das ergibt dann eine fast grelle Schalmeienfarbe. Eine bedeutende Rolle spielt das Akkordeon, das auch auf der Bühne eingesetzt wird. Es steht für Folklore und ist sozusagen das Bindeglied zwischen der Realität und dem Passionsspiel. Oft werden in der Musik Kirchentonarten verwendet, was an die Stimmung alter Volkslieder und Kirchenlieder erinnert.
Die Musik mit ihren vielfältigen Stimmungen bildet alles ab, was in diesem Dorf passiert und was die Menschen dort geprägt hat: Kirchenlieder, Volkslieder, Tanzmusik, Gespräche, alles im schnellen Wechsel. Die Musik ist wie ein Kaleidoskop, wie die bunte Farbpalette zu einem impressionistischen Gemälde. Verschiedene musikalische Welten stehen schroff auf kleinem Raum nebeneinander, akzentuiert durch gesprochene Passagen. Wir hören so etwas wie eine musikalische Collage. Zum Schluss wird dann die Musik doch mehr zu einem durchgehenden Fluss, der zur Katastrophe hinführt.
„Das Thema der Oper ist Humanität“, so sagte es Regisseurin Barbora Horáková bei einer „Kostprobe“ zur Oper am 07.04.2025, in der sie Einblicke in die Inszenierung gab. Der Inhalt der Oper ist für eine Inszenierung nicht ganz einfach. Inszeniert man gegen den Strich, so wird man gefragt, warum. Ist man zu nah am Text, so wird das ein folkloristisches Oratorium. Stellt man die Flüchtlingsproblematik mit aktuellen Bezügen in den Vordergrund, so blendet man für das Publikum den Rest der Geschichte und des Inhalts aus. Barbora Horáková wählt einen sehr sensiblen Ansatz. Sie zeigt auf, was in einer Gesellschaft für Konflikte aufbrechen, wenn sich diese Gesellschaft mit Menschen konfrontiert sieht, die Hilfe brauchen, die nichts haben.
Sie nutzt dazu alle Mittel des Theaters. Zur Einstimmung gibt es vor Beginn der Vorstellung Videos und Texte der Solisten, die den Zuschauerraum fluten. Realistische Momente wechseln dann mit abstrakten und volkstümlichen Momenten. Präzise gezeichnete Szenen des dörflichen Lebens treffen auf ein Passionsspiel. Wir sehen Alltagsleben und echten Glauben. Ein kleines Tanzensemble (Choreographie: Andrea Tortosa Vidal) spiegelt subtil das Innenleben der Personen auf der Bühne. Der kaleidoskopische Charakter der Musik findet sich im Mosaik der Szenen auf der Bühne wieder. Wir sehen Personen miteinander agieren, die weder schwarz noch weiß gezeichnet sind. Wir können so die Bedürfnisse, Sorgen und Ängste beider Seiten nachvollziehen, die der Dorfbewohner und die der Flüchtlinge. Und nichts ist dabei plakativ. Aber auch die durchaus selbstsüchtigen Motive der vermeintlich Guten werden sichtbar, wie es bei „Jesus“ Manolios geschieht, der sich an seiner Rolle berauscht.
Perfekt wird dies durch das Bühnenbild von Susanne Gschwender und durch die Lichtgestaltung von Sascha Zauner unterstützt. Verschiebbare weiße Mauern können Wände des Dorfs sein, sie können aber auch ein Labyrinth werden, in dem sich die Personen verirren. Sie können Halt geben und Halt nehmen. Die Videos von Sarah Derendinger zeigen oft aus der Vogelperspektive, was sich innerhalb dieser Mauern abspielt, die mal Gänge sind, mal ein Kreuz bilden, durch das Prozessionen gehen. Symbole tauchen in diesen Videos auf, wie Ausschnitte aus barocken christlichen Bildern. Diese Symbole geben der Geschichte eine weitere Ebene aus Assoziationen. Sie sind aber nicht aufdringlich, da sie außerhalb der eigentlichen Bühne gezeigt werden. Diese zwei Videowände links und rechts zusammen mit der Bühne, ich wurde an einen Dreiflügelaltar erinnert.
Die Inszenierung zeigt eine realistische Dorfgemeinschaft, die Kostüme von Eva-Maria van Acker sind folgerichtig an Alltagskleidung angelehnt. Für Manolios orientiert sie sich an gebräuchlichen Jesus-Bildern, wie man sie aus Passionsspielen kennt.
Auch musikalisch war dies ein großer Abend. Stephan Zilias und das Niedersächsische Staatsorchester brachten diese Musik zum Strahlen und zum Schimmern. Nichts wurde geglättet, die kaleidoskopische und collagenhafte Musik wurde in all ihrer Ruppigkeit und Schönheit dargeboten. Das war manchmal fast harsch, wenn zum Beispiel Bühnenmusik in elegische Streicher hineinfuhr. Aber es war immer auf den Punkt, an Musik und Bühnengeschehen orientiert, herrlich durchhörbar, bis ins kleinste Detail genau.
Ganz großartig auch Chor und Extrachor der Staatsoper (Leitung Lorenzo Da Rio). Voller Pracht der Klang, jederzeit klar, jederzeit verständlich, sehr gut. Der Kinderchor (Leitung Tatiana Bergh) stand dem in nichts nach. Wann kommt die verdiente Nominierung für den Chor des Jahres? Hier schwang sich die Musik zu reiner Schönheit auf.
Und dann das Ensemble – hochklassig bis in die kleinste Rolle. Es ist ein Luxus, dass man auf so viele gute Stimmen aus Ensemble und Chor zugreifen kann! Wie kann man da jemand hervorheben? Ich muss mich auf die wichtigsten Rollen beschränken. Christopher Sokolowski gelang ein bewegendes Rollenportrait als Manolios. Die Stimme eines Heldentenors mischte sich immer mehr mit Erlösergehabe und Demagogie, hervorragend! Von leuchtender Schönheit der lyrische Sopran von Eliza Boom als Katerina, zu Herzen gehend ihr Duett mit Manolios im dritten Akt.
Die beiden Priester hätten gegensätzlicher nicht sein können. Shavleg Armasi mit gebieterischem Bass als Priester Grigoris der Dorfgemeinschaft stand gegen den viel lyrischeren Priester Fotis der Flüchtlingsgruppe, der von Marcell Bakonyi verkörpert wurde. Zwei stimmige, eindrückliche Rollenportraits!
Sehr gut gefielen mir auch der tenorschöne und witzige Yannakos von Marco Lee und die immer nur von Heirat singende, strahlende Ketevan Chuntishvili.
Der Erzähler (August Zirner) beeindruckte mich ebenfalls. Mit fast hypnotischer Stimme gab er der Geschichte eine weitere Ebene. Und August Zirner kann super Blockflöte!
Ja, „The Greek Passion“ ist eine anspruchsvolle Oper! Aber so wie heute gesehen und gehört erwies sie sich als zu Herzen gehendes Meisterwerk. Magisch und berührend die Inszenierung, intensiv und erstklassig die musikalische Umsetzung. Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus. Meine Meinung: Unbedingt empfehlenswert!
Text: Achim Riehn