Neben meiner Mitarbeit in der „Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover“ (GFO) interessiere ich mich auch noch für andere Themen. Für den Blog „Morningfog“ über die Komponistin und Sängerin Kate Bush schreibe ich ab und zu Beiträge. Marco Goeckes neue Choreographie „Kiss a Crow“ benutzt Musik von Kate Bush, es ist seine erste neue Arbeit für das Ballett der Oper Hannover, seit er hier Ballettdirektor ist. Eingebettet wird sie in den Ballettabend „3 Generationen“, zusammen mit zwei Arbeiten anderer Choreographen. Kate Bush – da MUSSTE ich einfach für Morningfog ein Interview mit ihm führen!
Als ich am Opernhaus ankam, machte Marco Goecke mit einigen Mitarbeitern Pause vor dem Bühneneingang. Eine Probe des Ballettabends war gerade zu Ende gegangen. Ich wurde sehr freundlich begrüßt. Für das Interview zogen wir uns in ein dunkles Foyer zurück, stellten uns zwei Stühle zusammen und fingen an. Marco Goecke hatte wie immer in einem Tragekorb seinen betagten Dackel Gustav dabei, der dem Geschehen ganz gelassen beiwohnte. Auf dem Weg ins Foyer erzählte ich ein bisschen über den Blog und Marco Goecke fing spontan an, Zeilen aus Kate Bushs Lied „The morning Fog“ zu singen. „I’ll tell my mother – I’ll tell my father – How much I love them“.
Es wurde ein sehr angenehmes und interessantes Gespräch. Marco Goecke redet mit Bedacht, leise, sehr konzentriert. Ich spürte, wie er er seiner Arbeit verbunden ist, wie sehr sie ihn bestimmt. Allgemeinplätze sind nicht zu erwarten. Wir beschlossen, uns zu duzen. Im Gespräch konnte ich das nicht durchhalten, als Hannoveraner muss das Duzen bei mir erst einmal in der Seele ankommen, das braucht Zeit.
Achim: 2013 haben Sie bereits Musik von Kate Bush in einer Choreographie umgesetzt, es war der Song „Suspended in Gaffa“, soweit ich mich erinnere. Was verbindet Sie mit der Musik von Kate Bush und wann haben Sie sie für sich entdeckt?
Marco: Ich habe sie ganz früh entdeckt. Ich habe eine Schwester, die ist fünf Jahre älter als ich. Ganz früh habe ich das bei ihr im Zimmer entdeckt, als ich Kind war. „Never for ever“ ist vom Ende der Siebziger, kann das sein?
Achim: 1980.
Marco: Echt 80? Gut, da war ich acht, neun – und da habe ich diese Platten bei meiner Schwester entdeckt. Ich fand das immer geheimnisvoll, weil ich da auch Töne und Mischungen drin gehört habe, Effekte und Geräusche, Dinge, die ich so von Musik nicht kannte. Da fing das eigentlich an, das hat mich dann immer begleitet. Dann hatte ich nochmal so 88, 89 – da war ich gerade Ballettstudent – so eine richtige Kate Bush-Phase, meist mit dem Album, auf dem „Cloudbusting“ ist.
Achim: Hounds of Love.
Marco: Hounds of Love, richtig. Es ist interessant, dass man oft immer noch Lieder im Kopf hat. Da steht man morgens auf und macht sich einen Kaffee und hat plötzlich so ein Lied im Kopf. Und weiß eigentlich auch nicht, warum man das gerade im Kopf hat, oder?
Achim: Das Phänomen kenne ich auch!
Marco: Ja. Da gibt es auch Stellen in den Kate Bush-Liedern, die ich seit Jahren vor mich hin singe. Und dann habe ich 2013 gedacht, ich mach was damit und das hat auch ganz gut geklappt. Es ist trotzdem immer eine Gratwanderung zwischen Popmusik und meiner Arbeit. Ich brauche auch Popmusik dafür, ich kann das nicht nur mit klassischer Musik oder moderner Musik machen. Aber man muss immer schauen, bei Kate Bush ist es sehr schwierig einzuschätzen. Es gibt Lieder, die mir sehr gut gefallen und plötzlich kippen die Lieder in eine andere Richtung, was sicherlich auch zu ihrer Kunst gehört, was ich dann aber nicht mehr gebrauchen kann. Es ist schwierig.
Achim: Es geht in der Musik von Kate Bush ja oft um die existentiellen Fragen des Lebens – wer bin ich, wie finde ich meinen Platz in der Welt, wie gehe ich mit Vergänglichkeit um. Das sind ja Themen, die bei ihr immer wieder auftauchen. Hat sie das gereizt?
Marco: Das sind ja Themen, die wir alle haben, natürlich. Im Moment ist eine Phase, die nicht so einfach ist in meinem Leben, weil mein Vater sehr schwer krank ist, sehr sehr schwer krank. Und ich habe was Tiefes gerade gesucht und trotzdem auch das Traurige. So empfinde ich das in meiner Arbeit und so ist es auch in der Musik von Kate Bush. Jede Kunst, die so tief geht, die sich dem stellt, hat immer auch eine Erlösung in sich und auch etwas Versöhnliches.
Achim: „Kiss a Crow“ heißt Ihre Choreographie, ich schätze sie ist als Drittel des Abends ungefähr 25 Minuten lang. Welche Songs kommen da drin vor.
Marco: Ich habe witzigerweise weniger von den alten Sachen benutzt. Es gibt natürlich auch Hits, die nicht zu benutzen sind, weil sie uns einfach mit etwas anderem verbinden. Ich habe benutzt „Jig of Live“, weil das auch so ein bisschen in die Irre führt mit dem irischen Touch.
Achim: Da geht es ja darum, dass man der eigenen Zukunft eine Chance gibt.
Marco: Okay. Ich habe den Song immer geliebt. Weil es da auch Assoziationen gibt mit irischem Tanz, musste ich da aber auch vorsichtig sein. Entweder man nimmt davon was, deutet das an – aber dann muss man auch wieder schauen. Dann habe ich „Sat in your Lap“.
Achim: Sehr wilder Titel, in dem es um existentielle Fragen geht, darum, wie man im Leben weiterkommt.
Marco! [nickt] Dann habe ich „Snowflake“, von einem der späteren Alben.
Achim: Ah, sehr schön! Etwas ganz Ruhiges, Meditatives – Musik, in der man in der Nacht steht, der Schnee fällt. Musik, in der eigentlich der Tod um jede Ecke schaut.
Marco: Dann habe ich noch einen Teil von „Among Angels“, auch von dem Album. Aber da bin ich noch nicht ganz sicher, das probiere ich gerade im Tanzstudio. „Snowflake“ ist sehr lang, da habe ich das Gefühl, ich verzettele mich vielleicht, da wird das so ein bisschen „dämpfig“. Und am Schluss habe ich „Get out of my House“.
Achim: Die Shining-Paraphrase!
Marco: [lacht] Und es funktioniert!
Achim: Da frage ich mich sofort, gibt es zwischen den Liedern in Ihrer Choreographie einen roten Faden, den sie da drumgewunden haben?
Marco: Nein, nicht von der Aussage und von den Texten her. Es ist reine Gefühlssache, was musikalisch da passen könnte.
Achim: Was reizt Sie denn ganz speziell als Choreograph an der Musik von Kate Bush? Ist es für Sie einfach Musik, die interessant ist, die sich abhebt vom Pop, die anders ist?
Marco: Als Erstes reizt mich natürlich das, was mich damit verbindet. Ich habe früher als junger Choreograph oft Musik benutzt, die grausig war, nur weil ich dachte, ich mache mich damit interessanter oder künstlerischer. Bis ich irgendwann in den letzten Jahren bemerkte, wenn ich die Musik benutze, die mir persönlich was bedeutet, dann ist das immer richtig. Und da ist es auch egal, was es ist. Hauptsache, es hat etwas mit mir zu tun.
Achim: Dann passt es zu einem selbst. Ich glaube auch, es passt auf eine andere Art. In der Musik von Kate Bush habe ich immer das Gefühl, sie kehrt ihr Innenleben nach außen. Das empfinde ich auch bei Ihren Choreographien. Es sieht da so aus, als ob die ganzen Tänzer alles von sich preisgeben.
Marco: Das Risiko muss man eingehen, da ist man natürlich auch verletzlich. Ich habe das bei mir auch, das Menschen das nicht mögen, das ist auch okay. Wenn ich in Youtube bei Kate Bush geschaut habe, wieviele hunderte Daumen nach oben so ein Clip hat, aber auch nach unten!
Achim: Ja, sehr kontrovers manchmal! Es gibt Songs von ihr, die ich nicht so mag und welche, die ich jeden Tag hören könnte. Wie ist es so, wenn Sie eine Choreographie entwickeln? Haben Sie zuerst die Musik im Ohr oder haben Sie zuerst eine Vorstellung, was Sie auf die Bühne bringen wollen?
Marco: Ich habe nur mein tägliches Ins-Studio-Gehen. Dann ist da erstmal ein Tänzer, den ich auf den Probenplan gesetzt habe, der kommt an dem Tag und dann fangen wir an mit Schritten. Und dann habe ich vielleicht ein, zwei Lieder im Kopf oder auf CD mit oder im Computer. Dann probiere ich das so langsam und so wächst das dann.
Achim: Iterativ geht es voran?
Marco: Eine ganz mühevolle, zehrende, schreckliche Arbeit oft. Ich merke nur gerade so, ich werde auch nicht jünger. Je mehr Erfolg man hat und je mehr man gemacht hat, desto kritischer und brutaler wird man mit sich selbst und das ist schon eine harte Angelegenheit.
Achim: Der Titel ist „Kiss a Crow“. Da habe ich mich natürlich gefragt, was er bedeutet. Das klingt nach Naturerlebnis. Haben Sie vielleicht die vielen Krähen inspiriert, die man hier in der Eilenriede [der Stadtwald von Hannover] im Winter so sieht, die hier überwintern?
Marco: Ja, das ganze Stück hat damit zu tun. Ich wohne ja noch nicht so lange hier, aber Gustav und ich wohnen direkt an der Eilenriede. Diese langen Spaziergänge da mit ihm, das ist das Beste. Im Stück ist alles, was mir da in den Sinn kam oder was ich da für Gefühle oder Ängste hatte oder was ich da gesehen habe. Auch die Krähen natürlich, die da so „rumwachen“. Eine Krähe zu küssen ist sicherlich unmöglich, vielleicht genauso unmöglich, wie jemand anders zu küssen.
Achim: Aber es sind ja sehr intelligente Tiere. Wenn man ihnen Geschenke bringt, Nüsse zum Beispiel an einen festen Platz, dann findet man da irgendwann auch einmal Geschenke von ihnen, eine Maus vielleicht.
Marco: Ja, es sind tolle Tiere. Ich habe so das Gefühl, die hüpfen und sitzen da oben in den Bäumen und gucken Gustav an und so. Sie haben natürlich auch irgendwas ….
Achim: Dunkles.
Marco: Ja.
Achim: Ich habe mich auch gefragt, ob eine Inspiration vielleicht auch Edgar Allan Poes „Der Rabe“ gewesen sein könnte.
Marco: Nein. Aber gestern hatte ich auch so eine Idee. Da hat jemand gesagt, „wie Edgar Allan Poe, mit dem Mantel des Teufels“. Das kannte ich aber überhaupt nicht. Mit Poe habe ich mich garnicht so viel beschäftigt.
Achim: Er ist in der Literatur ja ein bisschen so, wie es Kate Bush in der Musik ist – ein bisschen merkwürdig, unheimlich.
Marco: Ja, genau! Anselm Kiefer hat mal gesagt, ein Kunstwerk, das nicht auch etwas Bedrohliches ausstrahlt, das ist keines.
Achim: Eine Freundin von mir war zu einem Probenbesuch hier und sie hat mir danach über Ihre Choreographie gesagt „Faszinierend, aber irgendwie verstörend unheimlich“.
Marco: Ja, hoffentlich! [lacht]
Achim: Sie können das also nachvollziehen?
Marco: Ja, ich beantworte das mit Anselm Kiefer. Es ist so, es hat immer etwas Bedrohliches. Aber es hat auch immer etwas mit Versöhnlichem zu tun. Also da gibt es in der Musik von Kate Bush Momente, jetzt in dem Stück, die auch versöhnlich, die auch tröstend sind.
Achim: Auf ihrem letzten Album sind ja so ganz unheimliche, lange Stücke drauf. „Snowflake“ hatten Sie ja schon erwähnt. „Lake Tahoe“, ganz dunkel, dann „Misty“, über die Liebe zu einem Schneemann, die vergebliche Liebe natürlich. In dem Album geht es ja eigentlich nur um Vergänglichkeit.
Marco: Dieses Album [„50 words for snow“], das hat sie wohl nur für sich gemacht, glaube ich. Das war ganz privat. Das ist bei mir schwierig, weil ich natürlich das direkte Publikum habe. Ich hoffe, ich komme mal irgendwann so weit. Noch möchte ich auch geliebt werden dafür, das ist immer das Fatale bei so einer Arbeit, weil es nicht möglich ist, von allen geliebt zu werden. Aber das ist so ein naiver Hintergedanke, dass man damit Liebe bekommt.
Achim: Ich glaube, Hannoveraner sind ein bisschen zurückhaltend zuerst, sie schauen sich alles erst einmal so an.
Marco: Bist Du Hannoveraner?
Achim: Ich wohne schon sehr lange hier, bin gebürtiger Niedersachse, das ist von der Art her ungefähr gleich.
Marco: Das ist nicht so einfach hier, das muss ich sagen.
Achim: Aber wenn die Leute einen erst einmal ins Herz geschlossen haben, dann werden sie für immer Ihnen gehören.
Marco: [lächelt] Ich gehe jetzt ein halbes Jahr in ein Café hier in der Nähe. Es hat echt gedauert, bis die einen anlächeln, obwohl die mich jeden Tag sehen.
Achim: Ja die Menschen hier können manchmal besonders stur sein!
Marco! Ja? [lautes Lachen]
Hier mussten wir das Interview kurz unterbrechen. Am Handy musste eine Frage zur Musik des Ballettabends geklärt werden.
Achim: Drei Choreographien gibt es an dem Abend, die sind alle glaube ich musikalisch und darstellerisch ganz unterschiedlich. War das von Anfang an beabsichtigt oder hat sich das im Laufe der Arbeit daran ergeben?
Marco: Also ich habe dem ersten Choreographen, dem jungen Choreographen Emrecan Tanis, einfach Carte blanche gegeben, er konnte machen was er will. Dann hatte ich den Jahrhundertchoreographen Hans van Manen dabei mit einem Stück aus seinem riesigen Repertoire. Hans van Manen ist unser aller Meister in seinem Minimalismus, da habe ich viel von gelernt. Ja, drei Generationen. Mir ist wichtig, ich will da garnicht so eine Art Rahmen haben. Jeder soll seine dreißig Minuten, seinen Moment haben und das Publikum soll sich aussuchen, was für den Einzelnen am meisten stimmt. Da sehe ich keine Verbindung.
Achim: Ich finde das total reizvoll, weil es drei ganz unterschiedliche Sachen sind.
Marco: Ja, da haben die Leute was zu quasseln. Da können sie sagen „das war aber schlimm“ und „das war toll“ – oder umgekehrt.
Achim: Ich liebe das. Aber ich gehe nie zu Premieren, weil ich da immer mitfiebere. Ich habe für eine spätere Vorstellung Karten, dann schaue ich mir das an.
Marco! Okay, gut!
Achim: Dann schreibe ich auch für die GFO einen Bericht. Darf ich Ihnen nun „toi toi toi“ wünschen?
Marco: Ja, danke Dir. Wir duzen uns doch!
Beim Hinausgehen in den sonnigen Tag plauderten wir noch angeregt weiter. Kommt Kate Bush zur Premiere? Wir glauben nicht, aber die Vorstellung an sich ist schön. Beim Verabschieden klappte es mit dem Duzen bei mir endlich und draußen dachte ich bei mir, dass ich als Hannoveraner an spontaner Offenheit noch ein bisschen arbeiten muss. Aber bei einem nächsten Interview kennen wir uns ja. Ich durfte einen Menschen kennenlernen, der seine Choreographien ganz tief aus seiner Seele schöpft, der sich in seiner Arbeit nach außen kehrt. Wer sich so für sein Publikum öffnet, der ist ein besonderer Mensch. Wenn er die Krähe Hannover küsst, dann wird sie es lieben.
Premiere von „3 Generationen“ war am 22. Februar, weitere Vorstellungen sind im März (4., 5., 13., 18., 22. und 31.), im April (10., 17.) und im Juni (4., 9. und 30.).
Hans-Joachim Riehn