Virtueller Gesprächsabend zu Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ am 30.04.2021 mit Stephan Zilias und Regine Palmai – Zoom, Schwarz und Weiß, Geistermusik

Wie bleibt man in diesen Pandemiezeiten miteinander in Kontakt? Wie verlieren sich GFO-Mitglieder und die Oper nicht aus den Augen? Am 30. April gab es die wunderbare Gelegenheit, wenigstens virtuell über Zoom so etwas wie Foyer-Atmosphäre zu erleben. Generalmusikdirektor Stephan Zilias und Chefdramaturgin Regine Palmai luden alle GFO-Mitglieder ins Laves-Foyer ein, um über die Inszenierung von „Turn of the Screw“ zu berichten und Fragen dazu zu beantworten. Wer nicht dabei war, der hat was verpasst!

Foto und Copyright: Achim Riehn

Live ist natürlich noch schöner, aber auch so ein Treffen über das Internet hat was. Ich hatte mein gemütliches Sofa mit genügend Platz und einen großen Tisch, um meinen Schreibblock abzulegen und Getränke und Knabberzeug hinzustellen. (Ja, ein bisschen rede ich mir Videokonferenzen schön.) Auch technisch funktionierte es gut. Niemand braucht eine Scheu davor zu haben.

Die Bühne im Lavesfoyer ist für solche Gelegenheiten in ein kleines Wohnzimmer umgewandelt worden. Neben plüschigen Sesseln steht dort ein Tischchen für die Getränke, ein Grünpflanze und eine Stehlampe. Und es gibt ein Klavier! Es macht einen gemütlichen Eindruck. Mit einem großen Bildschirm ist es fast so, als ob man live dabei ist.

Johanna Paulmann-Heinke, Vorsitzende der GFO, begrüßte uns alle. Neben Mitgliedern der GFO waren auch Mitglieder des Richard-Wagner-Verbands Hannover und der Opernstiftung zugeschaltet. Die GFO hat die Produktion „The Turn of the Screw“ gefördert, das war der Anstoß zu diesem Exklusivgespräch.

Foto und Copyright: Achim Riehn

Frau Palmai und Herr Zilias berichteten dann informativ und sehr interessant über die Oper und die Produktion. Sehr schnell ging es in die Tiefen, viele Details wurden erläutert. Die Beiden hatten auch im Vorfeld schon bei den GFO-Teilnehmern gesammelte Fragen bekommen, auf die dann eingegangen wurde. Zum Abschluss wurden dann noch Fragen beantwortet, die sich aus der Veranstaltung selbst noch ergeben hatten. Im Folgenden möchte ich die Inhalte der Veranstaltung zusammenfassen.

Das Opernhaus versucht, sich trotz der Pandemie nach außen lebendig zu zeigen. Das kleine Wohnzimmer im Lavesfoyer ist dazu extra aufgebaut worden. Es ist wie ein kleines Fernsehstudio, es gibt professionelle Unterstützung bei Kamera, Licht und Technik.

Geplant war „Othello“ als durch die GFO geförderte Produktion, aber dies wäre eine personenmäßig sehr stark besetzte Oper gewesen. Wegen der pandemiebedingten Einschränkungen konnte das nicht umgesetzt werden.

„The Turn of the Screw“ ist in aller Schnelle auf die Bühne gestellt worden. Ziel war es, mit so wenig Bühnenbild wie möglich so viel wie möglich herauszuholen. Auch die Werkstätten sind ja zum großen Teil in Kurzarbeit. Der Regisseur Immo Karaman war für „Othello“ eingeplant. Im November wurde er darauf angesprochen, was man als Ersatz machen könnte. Es musste ein klein besetztes Stück sein, denn die Abstandsregeln müssen auch im Orchestergraben eingehalten werden. Mehr als dreißig Personen passen auf keinen Fall in den Graben. Es sollte aber auch ein Originalstück für eine kleine Besetzung auf der großen Bühne sein. Immo Karaman schlug dann „The Turn“ vor und kurz vor Weihnachten fiel die Entscheidung. Hier benötigt man dreizehn Musiker und Musikerinnen, dazu sieben Personen auf der Bühne. Schnell wurde zusammen mit dem Regisseur eine ästhetische Konzeption gefunden. Die Oper war von Britten als Opernfilm geplant, daher wurden filmische Mittel schnell in die Konzeption mit einbezogen. „The Turn“ lief in Hannover zum letzten Mal vor vierzig Jahren, damals in Herrenhausen. Auch der Neuheitsfaktor war also hoch.

Britten hatte eine sehr weite Spannweite in seiner Musik, von Kammermusik bis Oper. Viele seiner Opern behandeln psychologisch spannende Themen, so auch „The Turn“. Die Oper ist in filmische Szenen mit musikalischen Zwischenspielen gegliedert. Stephan Zilias erläuterte die Musik der Oper und gab viele Beispiele am Klavier. Das Stück ist symmetrisch aufgebaut, unglaublich klar strukturiert, unglaublich übersichtlich in der Anlage. Musikalisch basiert es auf einer zwölftönigen Reihe, dem „Schraubenthema“. Das klingt nach Zwölftonmusik, ist es aber nicht. Das Thema ist in drei Gruppen aus vier Noten gegliedert, es ist in tonalen Mustern strukturiert. Dieses Thema ist das Fundament der ganzen Oper. Es ist die Welt der Geister, die „das Anwesen von Beginn der Zeit an befallen haben“. Die Oper ist eine klug gemachte Komposition mit extrem wenigen, konzentrierten Mitteln. Dabei sind bestimmte Instrumente oft Situationen und Personen zugeordnet. Die Celesta zum Beispiel ist das Instrument der Geisterwelt. Es ist immer mit Quint verbunden. Im Gegensatz dazu steht Streicherklang in Verbindung mit der Gouvernante. Eine wichtige Rolle spielt das Lied „Malo“, das der kleine Miles singt. Es ist ein völlig entrücktes Lied, ein Mantra, mit einer ganz ausgedünnten Instrumentation. Es ist „wie auf einem anderen Planeten“. Möglicherweise ist es eine Erinnerung an eine bessere und unschuldigere Welt, möglicherweise hat der Geist Quint es Miles beigebracht.

In der Inszenierung ist Flora mit einem Sopran (Weronika Rabek) besetzt und wird als sich entwickelnde junge Frau dargestellt. Oft wird diese Rolle mit einer Mädchenstimme besetzt, aber ein jugendlicher Sopran wie hier ist auch üblich. Die Begründung ist ganz einfach: es sollten so viele Personen wie möglich aus dem Ensemble beschäftigt werden.

Das Besondere an dieser Oper ist, dass alle Ebenen verschwimmen, sowohl im Stoff als auch in der Musik. Auch die Vorlage von Henry James lässt vollständig offen, ob wir hier in einer Geistergeschichte, einer psychologischen Studie, einem Krimi oder was auch immer sind. In der Inszenierung hätte man sich für eine Sicht entscheiden können, aber auch hier wird bewusst alles offen gelassen. Am Ende des Opernabends hat man mehr Fragen als am Anfang! Aber das Publikum soll sich der Interpretation auch nicht entziehen. Grundthema der Oper ist „die bedrohte Unschuld“, die Bedrohung des „Heiligtums der Unschuld“. Dieses Motiv zieht sich durch das ganze Opernwerk von Britten, in „The Turn“ tritt das in den Vordergrund.

Das Bühnenbild setzt das Geisterhafte und Unbestimmte des Geschehens ganz konsequent in eine Schwarz-Weiß-Welt um. Das ist eine ungewohnte Ästhetik für die heutigen Augen. Da man keine großen Bühnenbilder bauen konnte, wurden die Hintergründe wie die Umrisse des Hauses usw. durch Videoprojektionen dargestellt. Es war nicht einfach, dieses Schwarz-Weiß hinzubekommen. Dies wurde nach ausgiebigen Probieren durch u.a. die Beleuchtung erzielt. Schaut man genau hin, dann sieht man Anklänge an Farben in den Stoffen, auch die roten Kehlen der Sängerinnen und Sänger sind zu erkennen.

Stephan Zilias erzählte dann noch, wie für ihn der Einstieg in dieser Pandemiezeit gelaufen ist. Anfang Februar 2020 stand fest, dass er GMD wird. Er ist dann in die bestehenden Pläne für die Saison eingestiegen. Aber nur einen Monat später begann die Pandemie und alles wurde anders als geplant. Alles musste neu gemacht werden. Gastengagements fielen aus, daher konnte er dann aber fast alles Anfallende machen wie z.B. die neu gedachte, reduzierte „Carmen“.

Die Oper ist unheimlich stolz auf die durchweg guten Kritiken zu „The Turn“. Stephan Zilias verriet aber, dass er Kritiken meist nicht liest.

Regine Palmai und Stephan Zilias gingen bei der Beantwortung der Fragen dann auch auf Dinge ein, die keinen direkten Bezug zu „The Turn“ hatten.

Das Streaming-Konzert „Mythos“ hat viel Anklang gefunden. Es soll auf jeden Fall noch einmal live mit Publikum stattfinden. Die angedachte Reihe „More than Music“ soll spätestens ab der übernächsten Spielzeit Fahrt aufnehmen. Ziel ist es, die engen Rituale für Konzerte aufzubrechen. Einen Schwerpunkt auf bestimmte Komponisten will Stephan Zilias in den Sinfoniekonzerten nicht setzen, es soll ein abwechslungsreiches Programm werden. Einige Kernstücke des Repertoires werden aber auf jeden Fall dabei sein.

Streaming als reguläres Angebot über die Pandemie hinaus ist schwierig. Dazu benötigt man ein professionelles Filmteam. Das ist recht teuer, auch die einzuholenden Rechte sind ein Problem. Es ist aber geplant, jeweils zwei Vorstellungen je Saison für „OperaVision“ aufzunehmen. Auf der großen Bühne war bisher immer das gleiche Filmteam im Einsatz, das seine Sache großartig macht.

Zu den Vorstellungen gab es jeweils Einführungen als Podcast. Das soll fortgeführt werden.

Mit den Vorbereitungen und dem Spielplan für die neue Saison 21/22 ist man fast fertig. Man ist optimistisch und plant dies als regulären Spielplan. Alternativen hat die Oper aber in der Hinterhand. Bis dahin wird der Online-Spielplan wie im Augenblick fortgeführt.

Die Staatsoper ist sehr gerührt über die Unterstützung durch die GFO. Es ist schön, wenn man Freunde hat. Wunsch an die GFO-Mitglieder ist, als Multiplikatoren zu wirken. „Reden Sie über uns! Machen Sie klar, dass Kultur relevant und wichtig ist!“

Das war der passende Schluss für einen informativen und wunderbaren Abend unter Freunden. Wer nicht dabei war, der hat etwas verpasst. Scheu vor der Technik ist nicht nötig, das funktioniert alles ganz einfach. Ich freue mich auf ein nächstes Mal – über Internet oder noch schöner natürlich live, dann hoffentlich mit noch mehr Teilnehmern!

Achim Riehn

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