Vorstellung „Toda“ am 16.10.2021 – klassischer Tanz mischt sich mit Pantomime, Akrobatik und irischem Riverdance.

Ein Ballett zur Eröffnung der Spielzeit! Mit „Toda“ des israelischen Choreografen Nadav Zelner startete die Saison. Aber Ballett ist hier als Bezeichnung zu kurz gegriffen, Kunstwerk trifft es besser. Goldene Farben, Inspirationen verschiedener Kulturen in den Kostümen und Masken, Musik unterschiedlicher Richtungen zwischen Tradition und Folklore, ausdrucksvoller Tanz – alles vereinigte sich zu einem faszinierenden und harmonischen Ganzen.

Toda (Foto und Copyright: Ralf Mohr)

„Toda“ ist das hebräische Wort für „danke“. Auf der Seite der Staatsoper zum Ballett erläuterte Nadav Zelner das so: „Ich bin an einem Punkt in meinem Leben und in meiner Karriere angekommen, wo ich innehalten und danke sagen möchte. Ganz besonders dankbar bin ich auch dafür, dass das Staatsballett mit Toda die erste Live- Premiere des Staatsballetts wieder vor Publikum tanzen und wir uns im Opernhaus direkt begegnen können.“

Nadav Zelner (geboren 1992) stammt aus Israel. Seine Arbeiten verbinden experimentelle Elemente mit traditionellem Tanz. Zelner lässt sich von Musicals inspirieren, mit Videos und Tanzkurzfilmen für das Fernsehen hat er über Israel hinaus für Aufsehen gesorgt. Sein Markenzeichen ist die Kunst des Verschmelzens von gegensätzlichen Elementen aus Musik und Tanztradition zu neuen, harmonischen Einheiten. Auf Einladung von Marco Goecke hat er „Toda“ für das Staatsballett Hannover kreiert, es ist seine erste größere Arbeit mit Orchester.

Ein abendfüllendes Ballett braucht eine Struktur, Nadav Zelner hat sie für „Toda“ anhand einer Geschichte entwickelt. Die Figuren auf der Bühne sind Gottheiten, allmächtig, voller unendlicher Fähigkeiten. Aber es fehlt ihnen der Lebenssinn. Eine der Figuren macht sich auf die Suche, trifft auf andere Gottheiten. Gemeinsam finden sie Halt und Sinn in der Gemeinschaft, lassen sich schließlich voller Vertrauen fallen (im wahrsten Sinn des Wortes). So finden sie schließlich ihren Platz in der Welt.

Wenn man zuschauend die Figuren auf ihrer Entdeckungsreise begleitet, dann braucht es diese Geschichte aber fast nicht. Was da geschieht, das ist menschlich und gegenwärtig. Wir alle sind auf der Suche nach Sinn, nach Freiheit, wir alle sind mit der Vielfalt unserer Welt konfrontiert. Wir alle begegnen unablässig Menschen mit anderen Hintergründen, als es die unseren sind. Wir alle setzen uns permanent mit uns selbst und anderen Menschen auseinander.

Die Musikauswahl zeigt den übergreifenden Ansatz des Stückes besonders deutlich. Irische Musik trifft auf Musik von Johann Sebastian Bach und Arvo Pärt. Zum Niedersächsischen Staatsorchester unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi kommt eine vierköpfige Celtic Band hinzu. Mit Gitarre, Violine, Flöte und Bodráhn (irische Trommel) und fröhlichen Klängen ergänzen und kontrastieren sie das traditionelle Instrumentarium des Sinfonieorchesters. Weiter kann man den Bogen kaum spannen.

Um die ganze Bandbreite dieser göttlich-menschlichen Entwicklungsgeschichte abzudecken, sind die Tänzerinnen und Tänzer nicht nur technisch stark gefordert. Blitzschnell müssen sie in verschiedene Aspekte der Geschichte eintauchen, die Choreografie bestimmt bis ins letzte Detail die Bewegungen und sogar die Gesichtsausdrücke. Zelners dynamische Tanzsprache fordert ständige Konzentration von allen. Elemente des klassischen Tanzes mischen sich mit Pantomime, Akrobatik und irischem Riverdance. Den Tänzerinnen und Tänzern gelingt es perfekt, die Spannung den ganzen Abend zu erhalten.

Nach ungefähr vierzig Minuten wird die eher harmonische Stimmung durch ein fast albtraumartiges Ereignis unterbrochen. Die Gottheiten stürzen nacheinander auf die Erde. Sie lassen sich nacheinander in den Orchestergraben fallen, der Aufprall ist zu hören. Man erschrickt! Dieses kleine Drama macht das Stück dann endgültig zum Erlebnis mit Wow-Effekt.

Nach dem Sturz wagen die Gottheiten den Neubeginn und werden sich ihrer Möglichkeiten bewusst. Sie begreifen sich endlich als Gemeinschaft. Das klingt religiös oder esoterisch, ist es aber nicht. Alles passt zusammen, dafür sorgt auch die frohe, fast wilde Musik der Band. Der Schluss des Balletts ist ein lebensbejahendes Fest. Nach der „Auferstehung“ endet das Stück in einem Ausbruch von Fröhlichkeit und Ausgelassenheit.

Zur Wirkung tragen ganz entscheidend auch Bühnenbild (Eran Atzmon), Licht (Elana Siberski) und die Kostüme (Maor Zabar) bei. Goldenes Licht beherrscht die Bühne, Gelb und Orange, halbdurchsichtige Säulen wie große Windlichter, Tänzerinnen und Tänzer tanzen in Gold. Das Licht verwandelt alles in eine göttlich schöne Einheit. Die Kostüme sind dünn, fast durchsichtig, sie wirken wie Bemalung. Frauen und Männer sind fast nicht zu unterscheiden. Jedes Kostüm besitzt dabei Volants, an jedem Kostüm an anderer Stelle.

Zu Beginn des Abends sitzt eine Art Fabelwesen vor dem Vorhang, voll mit diesen Volants. Ist das die Einheit, die die Gottheiten anstreben? Sind die Gottheiten diese komplexe Wesenheit, in Teile zerfallen? Sind wir alle Teile eines geheimnisvollen Ganzen? Ich finde es beachtlich, dass ein Ballettabend zum Nachdenken über solche Fragen anregt.

Zelner arbeitet mit so vielen Bildern aus so vielen Kulturen, dass eine eindeutige Zuordnung wegfällt. Ich fühlte mich bei manchen Bildern an ägyptische Gottheiten, antike Statuen oder an Dämonen aus der Sagenwelt erinnert. Für mich ist das alles transkulturell, über einzelne Kulturen hinausgehend, es sind universelle Zeichen – so wie es für Gottheiten angebracht ist.

All diese Details verschmilzt Nadav Zelner zu einem mitreißenden Gesamtkunstwerk. Verschiedenartigste Elemente vereinen sich zu einem Welttheater. In dieser lichtdurchfluteten Farbigkeit ist „Toda“ ein überraschender und gleichzeitig prickelnder Kontrast zur dunklen Welt der Choreografien von Marco Goecke. Sonne und Dunkelheit, die zwei Seiten von allem. Es ist großartig, dass wir ein Ballett haben, das so unterschiedliche Arten von Tanz kongenial auf die Bühne bringen kann!

Ein Ballett als Saisonstart, das zeigt auch die Wertschätzung, die die Intendanz der Ballettsparte entgegenbringt. Zu Recht – mit „Toda“ können wir einen faszinierenden, großartig getanzten Abend erleben. Es bleibt zu hoffen, dass Hannover die Ballettsparte erhalten bleibt. Der begeisterte Schlussapplaus wurde mit einer Demonstration auf der Bühne gegen die Sparpläne der Niedersächsischen Landesregierung beendet. #RetteDeinTheater – diesen Appell kann ich nur aus vollem Herzen unterstützen!

Achim Riehn

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