Das 4. Sinfoniekonzert der Saison in der Staatsoper Hannover stand unter dem Motto „Verwandlungen“. Dirigent Stephan Zilias, 1. Kapellmeister der Deutschen Oper Berlin, erläuterte dies im Programmheft so: „Allen drei Komponisten geht es darum, zwischen den einzelnen Sätzen ihrer Werke Einheit zu stiften. Das ist eher eine strukturelle als eine dramaturgische oder emotionale Gemeinsamkeit.“ Alle Stücke des Programms befassen sich mit den Verwandlungen und den Veränderungen musikalischen Materials.
Zu Beginn erklang „Métaboles“ von Henri Dutilleux, eine Komposition aus den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts. Das Stück ist eine Art Konzert für Orchester, es ist eine Klangreise, die in fünf ineinander übergehenden Sätzen alle Instrumentengruppen des Orchesters präsentiert. Das Material des Beginns wird verarbeitet und so weit verwandelt, dass dahinter ein neues Motiv auftaucht. Mit diesem Motiv wird dann genauso verfahren. Diese unablässige Metamorphose endet zum Schluss des Stückes wieder mit dem Motiv des Beginns und schließt mit einem glitzernden, fast prächtigen Finale.
Es ist kaleidoskopische Musik der Moderne, die auch für konservativere Ohren geeignet ist. Das Orchester präsentierte die vielen Klangfarben delikat und präzise. Dirigent und Orchester gelang eine fast impressionistische Herausarbeitung aller Details.
Das zweite Violinkonzert von Béla Bartók mit Tobias Feldmann als Solisten folgte. Tobias Feldmann holte sich 2012 den dritten Preis und den Publikumspreis beim Internationalen Joseph Joachim Violinwettbewerb, 2015 war er Preisträger des Königin Elisabeth Wettbewerbs.
Der erste Satz des Konzerts wird von schroffen Stimmungsunterschieden beherrscht, ungarische Klänge wechseln sich mit heftigen Passagen und gespenstischen Nachtmusiken ab. Der zweite Satz ist dagegen eher ein ruhiges Idyll. Ein sangliches Thema wandert in sechs Variationen durch unterschiedlichste Klangwelten von hell bis unheimlich dunkel. Im dritten Satz spiegelt sich der erste Satz, aber das thematische Material ist ins Groteske verzerrt. Fast wilde, tänzerische Abschnitte mischen sich hinein, bis das Konzert in einer auftrumpfenden Steigerung endet.
Tobias Feldmann gestaltete das wunderbar. Er spielt mit glühendem Klang, die Töne rein und fast kristallin. Jede musikalische Passage war von Emotionen und Feuer erfüllt. Das Konzert stellt sehr hohe Ansprüche auch an das Orchester und den Dirigenten, das gelang hier so, als ob das keine Mühe wäre. Solist und Orchester wirkten wie eine Einheit, sie spielten in perfekter Abstimmung.
Für den begeisterten Beifall bedankte sich Tobias Feldmann mit einer Zugabe. Zusammen mit dem Konzertmeister Ion Tanase spielte er zwei bezaubernde kleine Stücke für zwei Violinen von Bela Bartok.
Nach der Pause folgte die Sinfonie Nr. 2 C-Dur von Robert Schumann. Es ist eine Sinfonie, die sich auf dem Weg macht weg von Beethoven in eine romantische Zukunft. Schumann war vor der Komposition der Sinfonie gesundheitlich angeschlagen, die Sinfonie ist voller Überlebenswillen und voller Freude am Leben.
Der erste Satz ist ein fast heroisches Durchringen. Das Motivmaterial des Beginns wird dabei ständigen Transformationen unterworfen. In das von elfenhafter Musik durchwebte Scherzo des zweiten Satzes sind zwei Trios eingebettet, ein tänzerisch-hüpfendes und ein eher feierliches, das an die Themen des Beginn der Sinfonie anknüpft. Für Stephan Zilias ist der ruhige dritte Satz einer der schönsten Sinfoniesätze überhaupt, in der Einführung nannte er ihn „einen komponierten Gottesbeweis“. Der Beginn der Triosonate aus dem „Musikalischen Opfer“ von Bach ist hineingewoben. Im vierten Satz wechseln melancholische und heldische Stimmungen einander ab. Themen aus den vorigen Sätzen werden aufgegriffen, die Melodie aus Beethovens Lied „Nimm sie denn hin, diese Liebe“ wird motivisch mit verarbeitet. Dieses Thema leitet dann die Rückkehr zu den Motiven des Beginns der Sinfonie ein, mit einem lichtdurchströmten Finale endet die Sinfonie.
Schumann wird oft nachgesagt, dass seine Instrumentation zu schwer ist. Heute war davon nichts zu spüren. Dies war ein durchsichtiger Schumann, bei dem jedes Detail in klarem Licht erschien. Die Ecksätze waren von fiebriger Hitze erfüllt, das Scherzo klang wie Musik aus einem Feengarten. Der langsame Satz kam in seiner Schönheit einem Gottesbeweis ganz nah. Stephan Zilias und dem großartig aufgelegtem Orchester gelang so fast mühelos der Nachweis, dass Schumann nicht nur ein großer Komponist war, sondern auch ein großer Instrumentator. Der lang anhaltende Beifall war verdient. – hier: Staatsoper Hannover.
Hans-Joachim Riehn