Eröffnungskonzert der Spielzeit 19/20 an der Staatsoper Hannover am 31.08.2019

Auf dieses Eröffnungskonzert waren die Operngänger in Hannover besonders gespannt. Es ist der Start der Intendanz von Laura Berman. Ein Großteil des Ensembles ist neu – ist es ein Aufbruch oder eine Enttäuschung? Viele aus dem wirklich guten alten Ensemble sind nicht mehr dabei, beim Publikum herrscht Abschiedsschmerz. Für mich kann ich sagen, dass ich sehr positiv überrascht worden bin. Ich bitte zu entschuldigen, wenn im folgenden Bericht zu oft Wörter wie „wunderbar“ und „klangschön“ vorkommen sollten – aber anders kann ich es nicht sagen.

(Foto und Copyright: Friederike Schlömer)

Hochsommer draußen begleitete das Fest vor dem Haus, bei den Besuchern des Konzerts überwogen sommerlich fröhliche Farben. Das mit Tüchern mit Opernmotiven neu ausgestattete Saalpersonal trug zum frischen Eindruck bei. Der Saal war klimatisiert, die postgelben Programmzettel wurden trotzdem eifrig als Fächer benutzt. Überall bunte Farben. Laura Berman führte dann durch das Programm, in leuchtendem Orange, den Sommer und den Schalk in der Stimme. Sie hat eine wunderbare Art, auf das Publikum zuzugehen – wahrscheinlich könnte sie auch gut eine Talkshow moderieren. Unterstützt wurde sie in ihrer Moderation durch die Dramaturgen Regine Palmai, Julia Huebner und Martin Mutschler, die kenntnisreiche Kurzeinführungen zu den Opern beitrugen, aus denen Ausschnitte zu hören waren. Frau Berman erläuterte das Hauptziel des Abend: Die neuen Ensemblemitglieder stellen sich vor. Die Spannung stieg.

Zu Beginn waren Ausschnitte aus „La Juive“ von Fromental Halevy zu hören, einem Zeitgenossen Meyerbeers. Mit dieser französischen Oper voll Liebe, Romantik und Drama startet die Spielzeit. Ein unbekanntes Werk, „große französische Oper“, die Musik erinnert an den ernsten Rossini, an Donizetti, die Nähe zu Meyerbeer ist zu spüren. Zwei Stücke des Chors („Hosanna, plaisir, ivresse“ und „Quel plaisir, quelle joie“), wunderbar gesungen, gaben Vorahnungen auf grandiose Massenszenen. Hailey Clark sang dann die Romanze der Rachel „Il la venir“ und sorgte mit ihrem leuchtenden, klaren Sopran für das erste Aufhorchen. Zoran Todorovich wird als Gast sein Rollendebut als Eleazar geben. Sein Otello-gestählter Tenor hatte keine Mühe, sich über die Orchesterklänge zu erheben, bei aller Energie klangschön und textverständlich. Diese Oper wird ein Fest der großen Stimmen werden. Wie ich gehört habe, soll es an die fünfhundert Kostüme geben, also wird es wohl auch ein Fest fürs Auge. Valtteri Rauhalammi, Erster Kapellmeister der Oper, dirigierte das Niedersächsische Staatsorchester mit der gewohnten Präzision.

Wie immer zu Beginn war das hannoversche Publikum mit dem Beifall noch etwas zurückhaltend, es steht immer das für hier typische „darf man enthusiastisch sein?“ im Raum. Das Eis wurde dann mit den Ausschnitten aus „Il Barbiere di Siviglia“ von Rossini gebrochen. Hier dirigierte Michele Spotti, ein junger italienischer Dirigent, der in dieser Saison als Gast verschiedene Stücke leiten wird. Hier steht jemand am Pult, der mit Schwung und spürbarer Begeisterung alle mitreißt. Die Ouvertüre dieser Oper habe ich selten so lebendig und glühend erlebt. Danach war auch das Publikum entflammt. Nina van Essen und Hubert Zapior zeigten dann mit dem Duett Rosina/Figaro „Dunque io son“, dass man das noch steigern kann. Voller Spielfreude agierten sie, Liebesfunken sprühten. Nina van Essen erfreute mit ihrem beweglichen, sinnlichen Mezzosopran, Hubert Zapior mit seinem klangschönen Bariton. Dieses Paar auf der Bühne zu erleben wird eine Freude sein. Hannover traute sich den ersten Beifallssturm. Aber die Oper hat noch einen weiteren Figaro zu bieten – German Olvera betrat die Bühne und wickelte das Publikum mit „Largo al Factotum“ von der ersten Sekunde an um den Finger. So selbstsicher und gleichzeitig ironisch sieht man selten einen Figaro, dazu mit absolut sicherer Beherrschung der Stimme, warm und temperamentvoll. Jetzt war das Publikum vollkommen außer sich. Wahrscheinlich werden Einige so wie ich den Gedanken gehabt haben, sich die Oper zweimal anzuschauen, einmal mit Hubert Zapior und einmal mit German Olvera. Das wird ein echter Wettstreit der Womenizer auf hohem Gesangsniveau!

Nach so viel Sinnlichkeit auf der Bühne kamen zwei Arien aus „Alcina“ von Händel gerade recht, um die Gefühle ein bißchen „abzukühlen“. Händels Musik ist ja ebenfalls sinnlich, aber auf eine etwas distanziertere „britische“ Art. Evgenia Asanova sang die Arie des Bradamante „E Gelosia“, agil und mezzo-funkelnd schön. Sie wird neben Nina van Essen als Rosina zu hören sein, auch das ein spannender Wettstreit zweier hinreißender Stimmen. Rupert Charlesworth brillierte in seiner Arie des Oronte „E un Folle“ mit fast akrobatischen Gesangslinien, jeder Ton präzise auf den Punkt. Mich bringt solche Kunst einfach nur zum Staunen. Ich bin nicht so ein Fan von Barockmusik, diese beiden Darbietungen könnten einen aber zum Fan machen. Mit viel Beifall endete der erste Teil des Konzerts. In der Pause drehten sich die Gespräche um das Gehörte, freudige Erregung war zu spüren.

Den zweiten Teil des Konzerts startete das Orchester unter Valtteri Rauhalammi mit dem „Tropical Storm“ aus „Nixon in China“ von John Adams. Minimal Music geht mit Anklängen an Wagner, Strauß und Filmmusik eine faszinierende und mitreißende Mischung ein. Eine hochemotionale Klangwoge rauschte durch den Saal, phantastisch gespielt. Das ist Musik, die dem Publikum zugewandt ist. Danach präsentierte Mercedes Arcuri ein Glanzstück für Koloratursopran, die Arie „I am the wife of Mao Tse-Tung“ aus dieser Oper. Das ist ein Stück, das hohe Töne wie Giftpfeile ins Publikum schleudert, auftrumpfend und fast dämonisch. Laura Berman nannte in ihrer Anmoderation diese Rolle „die Königscobra im Haus“. Absolut präzise und voller Energie bewältigte Mercedes Arcuri die großen Tonsprünge und die gleißenden Spitzentöne.

Dann übernahm Carlos Vazquez das Dirigentenpult, der neue Studienleiter der Oper. „Märchen im Grand Hotel“ von Paul Abraham stand auf dem Programm. Im Duett Isabella/Andreas („Hoheit, heute bin bezaubert“ und „Ich wär so gerne Königin“) konnte Mercedes Arcuri eine andere Seite ihres klaren Soprans zeigen, das Lockere und Beschwingte. Philipp Kapeller glänzte mit seinem jugendlich und unbeschwert klingenden Tenor. Alexander von Hugo als Gast sang dann als Albert „Ich habe sie heute früh gesehen“ im besten Operettenton. Seine perfekte Stepeinlage riss das Publikum zu Bravos hin. Das Duett Isabella/Chamonix „Mon Ami“ schloß sich an, in dem Frank Schneiders sein komödiantisches Talent ausspielen konnte. Mit der Märchensuite schloß dieser leichte, beschwingte Teil. Der Appetit auf diese Operette war bei mir geweckt.

Ausschnitte aus „La Boheme“ beschlossen den Abend, wieder mit Michele Spotti am Pult. Das ist keine neue Inszenierung, aber die Stimmen sind neu. Nach diesen Ausschnitten steht fest, dass man sich Karten besorgen muss, denn die Stimmen dafür sind großartig und staunenswert. Long Long begann mit der Arie des Rodolfo „Che gelida manina“. Ganz frei erstrahlte die Stimme, voller Leben. Es klang wie das Natürlichste auf der Welt. Dann sang Barno Ismatullaeva die Arie der Mimi „Mi chiamano Mimi“. Ihre Stimme ist ein dunkel getönter Sopran, ein Wunder an Klang. Während der Arie saß das Publikum vollkommen still da, wie festgebannt, danach erhob sich so wie bei Long Long ein Beifallssturm. Das Programm schloss dann mit dem Walzer der Musetta und dem Finale des zweiten Bilds der Oper. Für die Musetta ist Hailey Clark eine Idealbesetzung, mit leichter, leuchtender Stimme, kokett. Das Ensemble hier auf der Bühne (jetzt dabei noch Patrick Jones, James Newby, Darwin Prakash und Richard Walshe) harmonierte perfekt, das Zuhören machte einfach Spaß. Von den jetzt neu Dazugekommenen hätte ich gern mehr gehört, aber so ein Eröffnungskonzert kann wohl nicht alle Wünsche erfüllen. Den enthusiastischen Beifall des Publikums belohnten alle Auftretenden mit dem schwungvollen „Die Majestät wird anerkannt“ aus der Fledermaus. Michele Spotti dirigierte so mitreißend, dass kein Halten mehr war. Das Publikum raste, es gab Bravos und dann die für Hannover so seltenen standing ovations. Wir müssen uns um die neue Saison keine Sorgen machen. Da kommt etwas Großes auf uns zu. Es sind Künstler von Weltklasse hier angekommen.

Hans-Joachim Riehn

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