Kostprobe „Sweeney Todd“ am 16.11.2021 – Schritt für Schritt in den Untergang

Wieder eine sehr schöne „Kostprobe“, wieder ein spannender Probenbesuch. Ich liebe dieses Format, hier bekommt man Einblicke, die einem sonst verwehrt bleiben. Auch diese Kostprobe war wieder gut besucht. Viele junge Menschen waren im Publikum, was mich gefreut hat. Trotz „2G“ behielten die Meisten ihre Masken auf, das gab ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit.

Sweeney Todd (Foto und Copyright: Sandra Then)

Dramaturgin Julia Huebner führte zusammen mit dem Regisseur Theu Boermans und dem Dirigenten James Hendry in das Stück ein. Ich fand es faszinierend, wie unterschiedlich diese drei Personen waren: Julia Huebner offen und kommunikativ, Theu Boermans ruhig und konzentriert, James Hendry agil und übersprudelnd.

„Sweeney Todd“, eine Mischung aus schwarzer Komödie, Musical, Operette und Oper, so fasste es Julia Huebner zusammen. Warum wird der Held zum Mörder? Die Inszenierung wird diese Frage in den Mittelpunkt stellen und nicht allein auf die schaurigen Effekte setzen.

Für Theu Boermans geht es in diesem Stück um einen Konflikt Unterschicht gegen Oberschicht. Sweeney Todd rächt sich für das Unrecht, das ihn in die Verbannung und seine Familie in den Untergang geführt hat. Er war ein untadliger, eher armer Mann. Was ist der Grund für seinen Rachefeldzug? Darum geht es – es ist eine Geschichte um Rache für einen Missbrauch, um Rache für ein Geschehen, das bei ihm das Vertrauen in eine gerechte Gesellschaft völlig zerstört hat. Er hat keinerlei Vertrauen mehr. Die Botschaft ist: Gibt man sich dieser Rache hin, dann gibt es kein zurück mehr. Wir sehen in dem Stück Schritt für Schritt seinen Weg in den Untergang.

Julia Huebner ergänzte, dass Sweeney Todd dann in Mrs. Lovett eine Verbündete findet, die auch ihre Beweggründe für ihre Komplizenschaft hat. Sie will eine Liebe, eine Beziehung. Und so tritt sie ein in dieses Perpetuum mobile und wird unausweichlich mitgerissen.

James Hendry gab dann in seiner begeisternden Art Erläuterungen zur Musik. Hier kommt viel zusammen, es gibt Einflüsse aus der Oper, aus der Operette, aus der Filmmusik großer Horrorfilme. Es gibt Ensembles, Balladen, Sprechgesang, es ist unglaublich komplex für ein Musical. Orchester, Sängerinnen und Sänger müssen zusammenkommen und eine Einheit werden, damit diese spezielle Musik wirkt. Seine Aufgabe als Dirigent ist es, den großen Rahmen zu spannen, allen Energie zu geben. Wegen der komplexen, kleinteiligen Musik mit ihren ständig wechselnden Stimmungen ist das Dirigat keine einfache Aufgabe. „Vor einem „Otello“ kann ich gut schlafen, vor „Sweeney Todd“ nicht so.“

In der Probe sahen wir dann das, was Julia Huebner eine „klassische Arbeitsprobe“ nannte. Zum ersten Mal findet alles wieder auf der großen Bühne statt. Im letzten Jahr war die Inszenierung kurz vor der Bühnenreife und musste dann gestoppt werden. Heute muss das alles unter den neuen Bedingungen wieder aufgenommen werden. Es ist zum ersten Mal eine Probe mit Licht, ohne Orchester, nur mit Klavierbegleitung.

Geprobt wurde dann die erste Hälfte des Musicals, es sah schon sehr gut aus. Auf der Drehbühne befindet sich eine Art viereckiges Labyrinth, dessen Teile auseinander gezogen werden können und so Gänge bilden können. An den Seiten dieses Blocks befinden sich dann Mrs. Lovetts Pastetenladen und der Barbiersalon von Sweeney Todd. Der Ablauf wurde geprobt, die Sänger sangen nicht aus, es gab auch nur Andeutungen von Kostümen. Es ist viel Bewegung auf der Bühne, die Abläufe sind komplex und auch darstellerisch herausfordernd. Trotzdem machte es schon einen faszinierenden Eindruck.

In der Nachbesprechung in kleinerem Kreis gab Julia Huebner dann noch ein paar weitere Erläuterungen. Hinten auf der Bühne war eine große Leinwand zu sehen, die in der Probe dunkel blieb. Hier kommen dann später noch Videos/Bilder dazu, die jeder Szene ihre bildliche Kontur und ein Kolorit geben werden. Für mich sah es aber auch jetzt schon sehr überzeugend aus, wie aus einem Horrorfilm, eine Art Mischung aus „Gothic Novel“-Stimmung und klinischer Atmosphäre.

Die Übertitel für die englischen Songs (die gesprochenen Texte sind auf deutsch) sind noch in Arbeit. Die Aufstellung des Chors heute war ein erster Versuch, das kann sich noch ändern. Auch die Farbdramaturgie, die farbliche Abstimmung von Kostümen und Beleuchtung, ist noch in Arbeit. Für die Entsorgung der Leichen auf der Bühne gibt es eine spektakuläre Lösung, wir sollen uns überraschen lassen.

Dieser „Sweeney Todd“ wird ein Ereignis, das kann ich nach dieser Probe sagen. Es wird gruselig, es wird lustig, es wird spannend, es gibt was zum Nachdenken. Man sollte allerdings Sinn für schwarzen Humor haben und vielleicht kein Liebhaber von Pasteten sein. Mehr Kostproben dieser Art bitte (aber nicht von DEN Pasteten!).

Achim Riehn

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