„Nixon von China“ von John Adams ist eine Oper von hoher musikalischer Qualität, voller musikalischer Farben, gespickt mit großartigen Gesangspartien. Dazu kommt ein interessantes und opernwirksames Libretto. Sie ist keine „richtige“ Rarität, sie steht ab und zu auf Spielplänen, mit steigender Tendenz. Noch aber gehört sie nicht zum Kernrepertoire. Unter den Opern des späten 20. Jahrhunderts ist sie eine der wenigen, die nicht wieder in der Versenkung verschwunden ist. Die Premiere hier in Hannover ist für den 24. Mai 2020 angesetzt – aber es steht in den Sternen, ob das klappen wird. Zum Glück habe ich von diesem klangmächtigen Werk eine Aufnahme. Sie ist aus dem Jahr 1987, erschienen bei Elektra Nonesuch, es spielt das Orchestra of St. Luke‘s unter Edo de Waart.
Die dreiaktige Oper nach einem Libretto von Alice Goodman hat den Staatsbesuch von Richard Nixon im Jahr 1972 zum Thema. Dieses Treffen von Nixon mit Mao Zedong nimmt John Adams zum Anlass, auf fast satirische Art und Weise moderne Heldenmythen zu hinterfragen. Die Uraufführung fand im Oktober 1987 in Houston statt.
Die Oper zeigt die Begegnung zweier Systeme und zweier Kulturen, aber auch zweier Ehepaare. Die Systeme und Kulturen treffen aufeinander, verstehen sich nicht, hier bleibt alles hohl. Gleichzeitig blickt das Stück tief hinein in die Seelen dieser Staatslenker und ihrer so unterschiedlichen Frauen. Fast dokumentarische Bilder werden dem Scheitern von persönlichen Beziehungen gegenübergestellt. Alice Goodman nutzte teilweise für das Libretto Redeausschnitte von Mao und Passagen aus den Erinnerungen von Nixon – allerdings in gereimte Verse übertragen. Das Zeitgenössisch-Dokumentarische kippt aber im Verlauf der Oper zunehmend ins Fiktiv-Surreale und wird ironisch überhöht, was den großen Reiz des Librettos ausmacht.
Der erste Akt beginnt ohne Ouvertüre mit einem Chor der wartenden Menschen auf dem Flugfeld, dann landet die Air Force One. In der ersten Szene begrüßt Premierminister Chou En-lai Nixon auf dem Flugfeld, in der zweiten Szene tritt Nixon mit Mao zusammen. In der dritten Szene folgt das große Staatsbankett mit Reden von Chou En-lai und Nixon. Die Handlung ist hier fast noch dokumentarisch und orientiert sich an den historischen Ereignissen.
Auch die erste Szene des zweiten Akts ist noch dokumentarisch. Patricia Nixon absolviert das Begleitprogramm und besucht zum Abschluss den kaiserlichen Sommerpalast und die Kaisergräber. In der zweiten Szene kippt dann die Handlung ins Surreale. Der Besuch eines Revolutionsballetts endet damit, dass die amerikanischen Gäste in die Bühnenhandlung verwickelt werden.
Der dritte Akt besteht nur noch aus einer Szene. Hier schaut die inzwischen ganz fiktive Handlung hinein in die Beziehungen der Personen und in ihr Innenleben. Chou En-lai trifft auf Kissinger, Mao tritt aus seinem Portrait hervor und tanzt mit seiner Frau. Mao und Nixon ziehen sich mit ihren Frauen zurück. Die beiden zentralen Paare der Handlung zeigen erschöpft und fast resignierend in ihren Schlafzimmern ihre innere, verborgene Seite.
John Adams wird der Stilrichtung der Minimal Music zugeordnet, in der große Strukturen durch die Überlagerung, Wiederholung und allmähliche Veränderung kleiner musikalischer Partikel gebildet werden. Im Gegensatz zu Steve Reich mit seinen schwingenden Klangflächen und zur durch pulsierende Dreiklangbrechungen bestimmten Musik von Philip Glass greift John Adams aber viel stärker herkömmliche Stilmerkmale auf. Seine Klangsprache vereinigt den Sound von Bigbands und des Broadway und die Farbenpracht der Spätromantik mit den pulsierenden Klangteppichen der Minimal Music.
In „Nixon in China“ werden diese verschiedenen Stilelemente fast ironisch eingesetzt, um das Geschehen auf der Bühne zu kommentieren. Es ist eine Oper mit großem Orchester, herausfordernden Solo-Arien, mit Duetten, Terzetten und Quartetten, mit Ballettszenen – eine „Grand opéra“ in modernem Stil. Unablässig scheinen vertraute Strukturen der Operngeschichte hindurch. Andererseits werden auch immer wieder Elemente der Unterhaltungsmusik aufgegriffen. Um dazu die passenden Klänge zu erzeugen, ist das Orchester um eine große Saxophonsektion, zusätzliche Percussion und einen elektronischen Synthesizer erweitert.
Jede der durchkomponierten Szenen beginnt mit einer Orchestereinleitung, eine Ouvertüre fehlt. Der Beginn des ersten Aktes ist symptomatisch für den ironischen Stil der Oper. Das Orchester leitet ein mit leisen, perlenden Klangketten, dann kommt der Chor der zur Begrüßung abkommandierten Massen dazu. „Soldiers of heaven hold the sky“ – leise, hypnotisch ertönt dieser Chor. Es sind mechanisch wiederholte Revolutionsfloskeln in Moll. Die Stimmung ist winterlich trübe, eine erwartungsvolle Spannung wird aufgebaut. Mit der Ankunft der Maschine des Präsidenten wendet sich die Musik nach Dur, sie wird bewegter, steigert sich ins Triumphale hinein. Die Ankunft des Präsidenten wird inszeniert wie eine überirdische Erscheinung, es ist eine wagnersche Gralsmusik.
Jede der Hauptpersonen bekommt in der Oper ihre große Arie, ganz klassisch. Es ist wunderbar, wie textverständlich und stimmunterstützend das komponiert ist. In diesen große Arien zeigen sich die Personen als klar gezeichnete Charaktere mit ganz eigenem Musikcharakter.
Nixons Arie „News has a kind of mystery“ nach der Landung ist an den Stil der Da-Capo-Arien der Mozartzeit angelehnt. Es ist eine klangvolle, virtuose, vorantreibende Arie zu einem pulsierenden Rhythmus. Nixon zeigt sich hier als gehetzter, sich in seinen Worten fast überschlagender Charakter.
Die Arie des Mao „We no longer need Confucius“ ist völlig anders im Charakter. Hier brüllt jemand seine staatstragenden Floskeln heraus, das ist aggressiv im Ton. Begleitet wird Mao von seinen drei Sekretärinnen, die seine Thesen unablässig wiederholen (und wohl für die Nachwelt dokumentieren). Hier wird die Pop-Musik der Nixon-Ära ironisch zitiert. Die drei Sekretärinnen sind angelegt wie die traditionelle Begleitung eines männlichen Lead-Sängers durch seinen Chor von Background-Sängerinnen.
Wiederum anders ist die große Arie des Chou En-lai auf dem Staatsbankett am Ende des ersten Aktes – „Ladies and gentlemen, comrades and friends“. Sie ist melodiös, romantisch, voller Leben. Diese fast wie eine Liebesarie klingende Musik setzt wieder einen ironischen Akzent, auf einem Bankett würde man sie nicht erwarten. Chou wird ausdrücklich als ein Mensch mit tiefen Gefühlen gezeichnet. Sanford Sylvan singt das in der mir vorliegenden Aufnahme klangvoll und intensiv.
Auch Pat Nixon wird positiv gezeichnet, als eine vielleicht zu sentimentale Frau mit Gefühlen. Ihre Arie „This is prophetic!“ aus dem zweiten Akt ist einer der Höhepunkte der Oper. Für mich ist dies eine der schönsten Arien des 20. Jahrhunderts. Carolann Page singt dieses Stück präzise und mit viel Gefühl. Diese Musik ist eher eine ausgedehnte Meditation, hochromantisch und sehr gesanglich. Die Stimme schwebt fast entrückt über dem leisen Teppich der Musik, das ist ganz großartig.
Im Gegensatz dazu wird Chiang Ch‘ing – Maos Ehefrau – ganz anders gezeichnet. Sie ist eine moderne Königin der Nacht. Ihre Koloraturarie „I am the wife of Mao Tse-Tung“ ist mit hohen Tönen gespickt, es gibt große Tonsprünge. Das Agressive dieser Person wird herausgekehrt und fast grell dargestellt.
Von den weiteren Szenen möchte ich noch den „Tropical storm“ aus dem zweiten Akt erwähnen. Dies ist eine außerordentlich klangprächtige und mitreißende Sturmszene. Die Minimal Music wird hier hochromantisch überhöht, sie ist durchzogen mit Klängen von Strauß und Wagner. Ich höre das Gewitter der Alpensinfonie und Anklänge an Motive aus Salome und dem Ring des Nibelungen (das Götterdämmerungsmotiv?). Diese Musik wird aber nicht kopiert, sondern wie eine Klangfarbe benutzt.
„Nixon in China“ ist ein Versuch, die französische „Grand opéra“ mit Minimal Music und Elementen der Populärmusik in die Gegenwart zu holen und gleichzeitig auch zu karikieren. Herausgekommen ist eine überraschend klangschöne und hörenswerte Oper, die ich nur empfehlen kann.
Die oben genannte Aufnahme der Oper kann in Youtube mit der Suche „john adams nixon in china waart“ gefunden werden.
Hans-Joachim Riehn