„Eine Produktion wie „Trionfo“ wäre ohne Covid überhaupt nicht entstanden.“ Ein Gespräch mit Laura Berman, Intendantin der Staatsoper Hannover.

Bestes Opernhaus 2020! Das war die Auszeichnung der Zeitschrift „Oper!“, die ein bisschen Licht und Optimismus in diese Zeit brachte. Laura Berman ist es laut Begründung gelungen, die „Staatsoper Hannover als interessantestes Haus auf der musikalischen Landkarte zu positionieren“. Für die GFO war dies ein wunderbarer Anlass, ein Interview zu führen.

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Wegen der Corona-Situation wurde dieses Gespräch am Telefon geführt. Laura Berman ist offen, den Menschen zugewandt, erfrischend ehrlich – ich hätte mich daher auf ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht gefreut. In ihrer uneitlen Art erinnert sie mich immer an die Entertainerin Gayle Tufts. Die Kunst und deren Vermittlung stehen im Mittelpunkt, nicht die eigene Person.

Achim Riehn:
Vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben für das Gespräch, das freut mich sehr! Der Gesprächsanlass ist ja etwas richtig Schönes. Erst einmal Gratulation zum „Oper! Award“. Wie fühlt man sich als Intendantin des besten Opernhauses des Jahres?

Laura Berman:
(lacht) „Opernhaus des Jahres“ wird man in der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“. Es heißt einfach „Bestes Opernhaus“, ein Award, der von dem Magazin „Oper!“ vergeben wird!

Achim Riehn:
Für mich sind Sie aber trotzdem das beste Opernhaus des Jahres, auch wenn der Titel ein anderer ist. (Laura Berman lacht) Wann haben Sie denn davon erfahren, dass es diese Auszeichnung geben wird? Und gab es danach dann wenigstens eine kleine Feier im Opernhaus?

Laura Berman:
Nein, da wir alle schweigen mussten. Ich durfte das nicht weitererzählen. Es ist sehr wichtig für die Zeitschrift, dass der Preis öffentlich verliehen wird. Eigentlich sollte dies im Renaissance Theater in Berlin am 30. November stattfinden. Es war vielleicht ein Monat im Voraus, dass wir das erfahren haben. Aber: Wir mussten schweigen!

Achim Riehn:
Das fällt aber bestimmt schwer, glaube ich!

Laura Berman:
Ja, das ist so!!! (lacht)

Achim Riehn:
Kommen wir doch mal ein bisschen zu den Hintergründen. Aus meiner Sicht haben sowohl die hohe Qualität als auch das Innovative und Frische den Ausschlag für diesen Preis gegeben. Das geht ja nur mit einem hochklassigen Team. Das haben Sie ja. Das finden wir als Gäste des Hauses ganz toll. Fangen wir mal mit den Personen auf der Bühne an. Ich bin ganz begeistert von dem großen Potenzial, das das Ensemble hat. Wie schafft man es, so gute Sängerinnen und Sänger zu verpflichten? Wie geht das vor sich?

Laura Berman:
Man benötigt jemanden, der hauptberuflich Sängerinnen und Sänger sucht. Durch die Globalisierung kommen Künstlerinnen und Künstler von überall. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der es exotisch war, Sängerinnen und Sänger aus Russland in einem deutschen Opernhaus zu hören. Ich habe einfach in Christian Carlstedt einen der besten Casting-Direktoren, für mein Empfinden, in ganz Europa. Er hat endlose Kontakte, aber natürlich arbeitet er nicht nur für uns. Die Endauswahl machen wir dann gemeinsam.

Achim Riehn:
Es klappt aber ganz wunderbar.

Laura Berman:
Wenn man nicht so viel herumfahren kann wie er, und regelmäßig Kontakt zu so vielen „Quellen“ halten kann, dann findet man nicht so viele tolle Sängerinnen und Sänger. Wenn wir ein Vorsingen bei uns veranstalten, dann ist oft bloß eine Person interessant oder manchmal auch keine.

Achim Riehn:
Aber auch alle weiteren Beteiligten, die es so gibt am Opernhaus: Dramaturgie, Regieteams, Kostümabteilung, Bühnenbild, die leisten alle sehr gute Arbeit. Bisher war das Niveau ja auch schon sehr hoch. Nach welchen Kriterien suchen Sie dann neue Leute aus? Haben Sie dafür eine Art „Leitlinie“ im Kopf? Worauf achten Sie da?

Laura Berman:
Ja, natürlich – einen Award als „Bestes Opernhaus“ gewinnt man nur durch hervorragendes Teamwork! Natürlich habe ich bei jedem Job vor Augen, was die für mich wichtigsten Kriterien sind. Nehmen wir zum Beispiel unseren Ballettdirektor. Ich wusste, welche Künstlerinnen und Künstler für Hannover interessant wären, welche Namen kursieren, wer in Frage käme. Ehrlich gesagt, kannte ich von Marco Goecke nur den Namen, wusste aber ansonsten nicht sehr viel über ihn. Ein paar Kolleginnen und Kollegen haben sogar ein wenig vor ihm gewarnt: „Er ist ein sehr ungewöhnlicher Mensch, das könnte anstrengend werden“. Da aber alle anderen Vorschläge und Besetzungsideen mich nicht überzeugt haben, habe ich eine Freundin um Marcos Kontakt gebeten. Bei meiner Recherche bin ich auch auf einen Film über ihn gestoßen. Ich habe ihn angeschaut und war komplett begeistert. Wir haben uns getroffen und Organisations- und Leitlinien festgelegt. Es war natürlich nicht leicht, ihn zu überzeugen, hierher zu kommen, aber ich war sicher, dass dies für ihn der richtige Schritt wäre – und eine unglaubliche Bereicherung für die Staatsoper.

Achim Riehn:
Er ist auch eine gute Wahl gewesen! Ich war letzte Saison wahrscheinlich genauso wie die Juroren vom Magazin „Oper!“ von den Premieren angetan, die ein so ganz breites Spektrum abgedeckt haben. Es ging ja von der großen französischen Oper bis zur Operette. Das fand ich sehr spannend. Politik und Gegenwartsthemen gab es, „La Juive“ war ja bestürzend aktuell. Wie aktuell muss für Sie Oper sein, wie „plakativ“ darf Oper sein? Was bedeutet es, einen Spielplan zu machen?

Laura Berman:
Die Eröffnung „La Juive“ war ein großer Erfolg – ein sozio-politisches Statement mit einer Oper, die Rassismus und die Frage nach Assimilation und Koexistenz in den Mittelpunkt stellt. Dem ist Hannover mit Neugierde, Offenheit und auch Humor begegnet. Die Produktion wurde ja auch mit dem GFO-Wanderpreis geehrt. Ich finde es schön und mutig, dass eine Besucherorganisation eine so mutige Produktion auswählt, die sich rückwärts durch die Geschichte arbeitet und dabei sarkastisch rassistische Bilder auf der Bühne zitiert.
Wir leben in einer Zeit des Individualismus. Bis vor ungefähr zwanzig Jahren ist man Gleichgesinnten in Vorstellungen gegangen. Man hat sich sogar ähnlich gekleidet. Heute wählt man individueller aus, was man konsumieren möchte. Darum ist es von Vorteil, wenn ein Spielplan bei hoher Qualität extrem abwechslungsreich ist. Ich finde auch, dass die humorvollste Unterhaltung einen Bezug zum heutigen Leben haben muss, um wirklich witzig zu sein. Nicht so gute Operetten beziehen sich eher auf sich selbst und auf die Gattung, als wirklich auf uns und unser Leben. Dabei ist es eigentlich der Sinn der Operette, sich über uns lustig zu machen, ein Kommentar zu sein, ein Kommentar zu unserem Leben.

Achim Riehn:
Das fand ich bei allen Premieren so schön, es war immer auch wirklich was zum Staunen dabei. Das Stück stand dabei aber immer im Mittelpunkt. Es gab Botschaft und Spaß gleichzeitig. Gehört das für Sie zusammen, Botschaft und Spaß? Für mich gehört das zusammen.

Laura Berman:
Ja, auf jeden Fall! Durchaus! So ist auch „Sweeney Todd“ ein politisches Stück und total bösartig. Ich bin gespannt, wie das Publikum das findet. Wir haben unsere interne Premiere sehr genossen!

Achim Riehn:
Ich habe einige Kostüme gesehen im Internet. Also Schauwert ist da, das kann man schon sagen!

Laura Berman:
Es ist sarkastisch, lustig, total schrecklich! (lacht)

Achim Riehn:
Da bin ich richtig gespannt drauf!
Einem Stamm von Abonnentinnen und Abonnenten wird ja eher nachgesagt, dass er konservativ ist. Haben Sie diese Erfahrung hier in Hannover auch gemacht oder ist das hier anders? Sind die langjährigen, treuen Besucherinnen und Besucher vielleicht aufgeschlossener, als man allgemein denkt?

Laura Berman:
Ich finde das Publikum in Hannover erstaunlich offen. Das ist etwas, was ich gelernt habe, seitdem ich hier bin. Ich war extrem vorsichtig, als ich angefangen habe. Aber spätestens, als wir „Trionfo“ gemacht haben, habe ich bemerkt, dass die Leute hier offener sind als in anderen Gegenden. Das wurde mir zwar auch immer gesagt, aber man muss sowas immer selbst erfahren. (lacht)

Achim Riehn:
Mich hat gefreut, dass teilweise ein hoher Anteil von jüngerem Menschen im Publikum war. Gehört das zu Ihren Zielen, ein jüngeres Publikum in die Oper zu bekommen?

Laura Berman:
Ja! Wir haben zum Beispiel deswegen Änderungen vorgenommen in den Foyers. So ist die Einrichtung der Infotheke Teil der Strategie. Menschen, die zum ersten Mal in das Opernhaus kommen, gehen ungern auf uniformierte Menschen zu und stellen Fragen. Sie gehen lieber zu so einer einladenden Infotheke und stellen Fragen – in so einer Situation trauen sie sich mehr. Darum haben wir auch die Uniformen abgeschafft. Jetzt trägt das Vorderhauspersonal legere Kleidung, dazu einen Schal, den sie unterschiedlich binden können. So wird eine Atmosphäre geschaffen. Ein anderer Aspekt unserer Verjüngungsstrategie war die Einführung der Flatrate, mit der wir nun vermehrt Studierende erreichen. Wir hatten eigentlich im Frühsommer eine Publikumsumfrage geplant, die wir wegen Covid nicht durchführen konnten. Insofern können wir noch nicht so wirklich beurteilen, ob bereits eine Verjüngung des Publikums stattgefunden hat.

Achim Riehn:
Ein Thema bewegt uns alle und an dem kommen wir nicht vorbei, das ist die Pandemie. Wie sind Sie und das ganze Team mit den Einschränkungen umgegangen? Wie waren die Gefühle im März, als die erste Schließung bevorstand? Ich glaube, das war kurz vor der Premiere von „Greek Passion“.

Laura Berman:
Oh, das war furchtbar. „Greek Passion“ war so weit, dass man genau wusste, dass es eine ganz tolle Produktion werden würde. Wir haben alle geweint. Ich traf mich Ende der Woche mit den Vorständen von Chor und Orchester, beide Gruppen wollten die Produktion fertig bekommen. Am Samstagvormittag war ich dann auf der Probe und merkte, dass alle wahnsinnig nervös waren. Unter diesen Umständen konnten wir nicht weiterproben und ich musste entscheiden, den Probenbetrieb einzustellen. Wir sind dann mit dem Regieteam an die frische Luft gegangen und haben in einem Café erst einmal einen Schluck Sekt getrunken. Alle haben geweint und sich dann verabschiedet. Es war wirklich grauenvoll.

Achim Riehn:
Wie geht es denn jetzt weiter in dieser Pandemiezeit? Man muss ja realistisch sein, es wird wohl die ganze Saison kein regulärer Betrieb mehr möglich sein. Wie kann man in dieser augenblicklichen Unklarheit überhaupt planen? Wie kann man da ein Repertoire aufbauen, wie bekommt man da einen Roten Faden hinein? Ich stelle mir das total schwierig vor.

Laura Berman:
Es ist sehr schwierig, da wir ständig Produktionen, die geplant waren, in andere Spielzeiten schieben müssen. Dadurch werden unsere Leitideen über den Haufen geworfen – eine Linie mit zeitgenössischer Musik, die wir aufbauen wollten, ist jetzt gar nicht mehr erkennbar. Ein Stück, das in der ersten Spielzeit kommen sollte, kommt nun in der nächsten Spielzeit und ein Stück aus dieser Spielzeit kommt in meiner letzten Spielzeit. Das ist alles ein bisschen doof. Aber es ist nicht alles negativ. Eine Produktion wie „Trionfo“ wäre ohne Covid überhaupt nicht entstanden. Wir alle im Team haben daraus gelernt, wie weit wir gehen können. Ich glaube, sogar Abonnentinnen und Abonnenten orientieren sich nicht mehr so wirklich an Titeln. Wenn man früher einen Spielplan gemacht hat, dann hatte man eine Liste von Stücken, für die das Publikum allein wegen ihres „Titels“ Karten kauft. In dieser Liste war immer das letzte Jahr vermerkt, in dem dieser Titel das letzte Mal am Haus gespielt worden ist. Man hat geschaut, dass man nur ca. alle zehn Jahre eine Neuproduktion dieser wichtigen „Titel“ gemacht hat. Diese Liste ist sehr geschrumpft. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kennen viele dieser Stücke nicht mehr.

Achim Riehn:
Die sind einfach nicht mehr mit ihnen aufgewachsen.

Laura Berman:
Oder sie würden sich nicht einfach nur wegen des Titels eine Karte kaufen. Stücke wie „La Traviata“ oder „Die Zauberflöte“ funktionieren immer noch so, aber viele Stücke eben nicht mehr. Ich glaube einfach, dass Leute, wenn wir „Trionfo“ schreiben, denken „Hm, das hört sich interessant an“ und dann reingehen.

Achim Riehn:
Ich gestehe ehrlich, ich bin nicht so der Fan von Barockopern. Aber „Trionfo“ fand ich absolut genial, das kann ich nicht anders sagen. Das war sowas von spannend, die ganze Inszenierung und auch das Bühnenbild. Man hat einfach so dagesessen und den Mund aufgemacht und gestaunt. Ich glaube, das hat dem gesamten Publikum wirklich gut gefallen.

Laura Berman:
Das war ein richtiger Volltreffer. Aber das war soo crazy. Wir hatten die Idee im Mai gehabt, die Regisseurin [Elisabeth Stöppler] hatte zwei Wochen Zeit zu entscheiden, ob sie es macht und musste zwei Wochen später schon anfangen. Und das Bühnenbild ist komplett aus Sachen gebaut, die wir im Haus hatten.

Achim Riehn:
Das zeigt eigentlich, dass man wirklich was wagen kann und dass die Menschen viel aufgeschlossener für Frisches und Neues sind, als man denkt. Immer vorausgesetzt, man nimmt das Stück ernst. Das ist für mich die Grundbedingung. Wenn man das Stück nicht ernst nimmt, dann funktioniert das nicht.

Laura Berman:
Die Zeiten, wo junge Regisseurinnen und Regisseure die Stücke nicht ernst genommen haben, die sind wirklich vorbei. Mir ist auch Handwerk sehr wichtig. Es gibt manche Intendantinnen und Intendanten, die gerne Regisseure aus Film, Schauspiel oder aus ganz anderen Richtungen der bildenden Künste engagieren. Ich finde es durchaus wichtig, das von Zeit zu Zeit zu machen. Aber ich finde, dass man eine Anzahl von Regisseurinnen und Regisseuren braucht, die ihr Handwerk wirklich beherrschen. Sonst wird auch zum Beispiel der Chor unterbeschäftigt.

Achim Riehn:
Was ich auch spannend gefunden habe, das ist vielleicht auch durch die Pandemie gekommen, das ist diese Öffnung für Onlineangebote. Ist der Einsatz neuer Technologien bei der Vermittlung von Oper und Kultur für Sie wichtig? Ist er wichtiger geworden? Was ich schön finde ist, dass es ja auch zu einer überregionalen Wirkung und Ausstrahlung führt. Die ganze Welt wird erreicht. War das auch mit ein Grund, ein beabsichtigtes Ziel?

Laura Berman:
Opera Vision, die Plattform auf der wir „Trionfo“ und „Carmen“ streamen, gibt es schon länger und ist eine Art von Lobbyarbeit der Opernhäuser in eigener Sache. Es war für mich sehr wichtig, dass wir Mitglied von Opera Vision werden und hat erst einmal nichts mit Covid zu tun. So wie es aussieht, werden wir jedes Jahr zwei Produktionen über diesen Kanal veröffentlichen. Wir haben mit „Carmen“ den Rekord auf Opera Vision gebrochen, und hatten am ersten Abend über achttausend Zuschauerinnen und Zuschauer. Und das Ballett „Rastlos“, das auf unserer eigenen Homepage lief, hatte sogar über vierzehntausend Zuschauerinnen und Zuschauer am ersten Abend.

Achim Riehn:
Die Pandemie ist ja für den ganzen Kulturbereich sehr schwierig. Für mich ist das so etwas wie eine Zeitenwende, denn danach wird irgendwie alles anders sein. Brauchen wir eine Diskussion in der Gesellschaft, welche Zukunft die Kultur hat, wie wir Kultur sehen, was Kultur bewirken kann und soll, wie es mit Kultur weitergeht?

Laura Berman:
An das schlechteste Szenario glaube ich einfach nicht. Schauen wir uns „Trionfo“ an. Händel schrieb ein Oratorium, da zu der Zeit Oper in Rom verboten war. Menschen lieben Musik,Theater und Tanz – das hört nie auf, nie und nimmer. Sie werden immer einen Weg finden, Werke aufführen zu können. Aber: die Politik steht vor dem Problem, weniger Steuereinnahmen zu haben und Etatkürzungen vornehmen zu müssen. Wir lesen jetzt jeden zweiten Tag darüber in den Zeitungen, die Diskussion um die Universität ist ein Beispiel. Wir im Staatstheater werden nicht verschont bleiben. Wir führen jetzt schon Gespräche und wenn es um den Haushalt 2022/23 geht wird es richtig bitter werden. Die Politiker und Politikerinnen müssen sich die Frage stellen, was ihnen wichtig ist. Wollen sie Theater für Jugendliche im Ballhof haben, ja oder nein? Wollen sie eine tolle Balletttruppe haben, ja oder nein? Diese Fragen, die werden vorkommen.

Achim Riehn:
Dann haben Sie bei den ganzen Planungen für die nächsten Spielzeiten ja noch mehr Unsicherheiten!

Laura Berman:
Ja und nein. Wenn die Politik sich für solch große Kürzungen entscheidet, dann geht das nicht von heute auf morgen. Es gibt Verträge und man kann nicht plötzlich eine Sparte zumachen. Aber ich versuche, ein paar Sachen durch Sponsoring abzusichern.

Achim Riehn:
Es sind ja viele Premieren ausgefallen, „Greek Passion“, „Nixon in China“, „Otello“, „Lear“. Wird das nachgeholt?

Laura Berman:
Ja, das werden sie. Für „Lear“ haben wir noch keinen Termin. „Nixon in China“ und „Greek Passion“ sind schon geplant, „Otello“ auch. Das ist auch wichtig für die freien Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrer Gage gerechnet haben und diese für ihren Lebensunterhalt brauchen. Ich habe versucht zu ermöglichen, dass Bauproben durchgeführt und Pläne für Bühne und Kostüme fertiggestellt werden konnten.

Achim Riehn:
Wir haben ja schon kurz darüber gesprochen, dass das Publikum aufgeschlossener für Neues ist. Das Theater Osnabrück hatte in den letzten Spielzeiten jeweils eine Neuentdeckung pro Saison im Programm, mit großem Erfolg. Ich war zum Beispiel vollkommen hingerissen von Alberic Magnards „Guercoeur“. Wird das bei Ihnen auch so etwas geben, so etwas Unbekanntes?

Laura Berman:
Ich weiß, das ist so eine Spezialität von den Kolleginnen und Kollegen dort. Für unsere Dramaturgie und mein ganzes Team ist das kein Schwerpunkt. Es gibt aber ein angedachtes Projekt, wo wir vielleicht etwas Unbekanntes zeigen werden. Aber mehr kann ich noch nicht dazu sagen.

Achim Riehn:
„La Juive“, das muss man sagen, ist auch eine Oper, die eigentlich nicht so viele Leute gekannt haben. Ich jedenfalls kannte es nicht, fand es ganz klasse, wirklich schön.

Laura Berman:
Die Oper wurde in den letzten Jahren immer mehr gespielt. Ein wirklich tolles Werk.

Achim Riehn:
Sie sind ja Intendantin des ganzen Hauses. Da gibt es das Orchester mit seinen Konzerten, es gibt das Ballett, es gibt die „Junge Oper“. Alles macht uns viel Freude. Wird es vielleicht Projekte geben, die das noch mehr verzahnen? In der Oper muss ja nicht nur gesungen werden, da könnte man ja auch mal mit richtig viel Ballett arbeiten oder so. Herr Zilias, unser GMD, ist ja glaube ich für so etwas auch ganz aufgeschlossen.

Laura Berman:
Ja, das wird kommen, auf jeden Fall. Es dauert ein bisschen, aber da kommt so etwas.

Achim Riehn:
Da bin ich schon gespannt!Haben Sie schon gut Kontakte in Hannover geknüpft? Klappt die Zusammenarbeit in Kulturfragen? Hat da die Pandemie vielleicht sogar etwas zum Positiven verändert?

Laura Berman:
Mit Herrn Onay [Oberbürgermeister] habe ich ein wirklich eine gute Beziehung. Auch habe ich einen sehr guten Dialog mit Konstanze Beckedorf [Kulturdezernentin]. Eines der Projekte der Kulturhauptstadtbewerbung ist das „Kulturdreieck“. Das ist die Idee, dass man wirklich etwas macht aus den Beziehungen zwischen den drei Institutionen Künstlerhaus, Schauspielhaus und Oper und dass man dieses Dreieck wie ein Kulturquartier in der Innenstadt betrachtet und handhabt. Wir machen jetzt Workshops dazu, die Stadt hat signalisiert, dass die Umsetzung für sie nach wie vor wichtig ist. Ich weiß, dass es in der Vergangenheit nicht so einen starken Dialog gab zwischen Stadt und Staatsoper. Ich finde den Austausch im Moment aber wirklich großartig.

Achim Riehn:
Was haben Sie nach so einem Jahr Hannover für einen Eindruck vom Publikum, von der Stadt? Sind die norddeutsch verschlossen, es gibt ja dieses Vorurteil, oder sind die doch offen und zugänglich?

Laura Berman:
Na ja, dieses Norddeutsch-Verschlossene ist so ein Ding. Ich glaube, die Norddeutschen sind nicht wirklich verschlossen. Sie sind vorsichtig. Sie wollen wirklich überzeugt werden und sie spüren, ob etwas wirklich ehrlich gemeint ist. Es ist eine Art, die mir vertraut ist. Ich komme aus New Jersey, meine Eltern haben vor meiner Geburt sehr lange in Neuengland gelebt und ich hatte so etwas wie eine zweite Oma aus New Hampshire – die Mentalität ist sehr ähnlich. Ich habe in Hamburg studiert und ich habe mich immer in Norddeutschland am wohlsten gefühlt. Auch der hiesige Humor ist mir vertraut. Ich finde, das norddeutsche Publikum ist eigentlich offen. Ich glaube, sie freuen sich sogar, wenn sie ein bisschen überrascht werden – solange es nicht zu dolle ist. Sie möchten erahnen können, ob sie eine Komödie oder Tragödie sehen. Aber sie fällen kein Urteil im Voraus.

Achim Riehn:
Ich glaube, Sie haben die Mentalität hier sehr gut erfasst und ich glaube auch, Sie passen mit Ihrer Mentalität hier sehr gut hin!

Laura Berman:
Ja, das Gefühl habe ich auch. Ich fühle mich auf jeden Fall sehr wohl.

Achim Riehn:
Haben Sie vielleicht etwas, was Sie sich vom Publikum hier wünschen würden?

Laura Berman:
Hmmm….. (längeres Überlegen). Manchmal sind einige ältere Herrschaften im Opernhaus nicht so gelassen gegenüber dem jüngeren Publikum, das zum ersten Mal da ist. Nicht alle, aber manche. Ich würde mich freuen, wenn sie empfinden könnten, wie schön das ist, dass Leute sich jetzt zu uns trauen, die noch nie im Opernhaus waren.

Achim Riehn:
Wie könnte man aus Ihrer Sicht die Bindung der Mitglieder der GFO an das Haus noch weiter verstärken?

Laura Berman:
Mich beeindrucken in der Stadt wirklich sehr die „Jungen Freunde des Sprengelmuseums“ und die Idee dahinter. Ich finde die Arbeit mit den Jugendlichen in der GFO wirklich fantastisch, das ist modellhaft. Aber es wäre vielleicht eine Idee, so etwas wie die jungen Sprengelfreunde aufzubauen, wo richtig Veranstaltungen gemacht werden für jüngere Menschen. Das müsste sich nicht auf Schülerinnen und Schüler fokussieren, das ist auch für Studierende oder sogar „Young Professionals“ interessant. Darüber würde ich mich freuen. Das könnte vielleicht auch für die GFO eine Gelegenheit sein, sich für junge Mitglieder interessant zu machen. Das halte ich für sehr wichtig.

Achim Riehn:
Jetzt sind wir fast auf die Minute mit unserer Interviewzeit durch ….

Laura Berman:
Genau, ich habe jetzt gleich einen Termin mit unserem ganzen Chor (lacht).

Achim Riehn:
…. da passt auch die Schlussfrage: Wie werden Sie die Festtage und das Jahresende verbringen?

Laura Berman:
Oh, mit Freunden, aber natürlich nicht mit zu vielen auf einmal, immer nur eine Begegnung mit einem Haushalt. Und sonst Bücher, Spazierengehen, Filme schauen, ein bisschen Oper anschauen, Klavier spielen, entspannen. Und meine Nichte heiratet!

Achim Riehn:
Dann wünsche ich Ihnen im Namen der ganzen GFO schöne Feiertage, bleiben Sie gesund. Wir freuen uns darauf, wenn wir Sie bald mal wieder live sehen können!

Laura Berman:
(lacht) Ihnen auch, vielen Dank, es war sehr angenehm!

Achim Riehn:
Dankeschön, das finde ich auch!

Dieses informative Gespräch wurde diesmal aus einem besonderen Anlass geführt. Aber ich bin mir sicher, es fänden sich spannende Gesprächsthemen auch zu vielen anderen Gelegenheiten. Vielleicht bekommen wir das ja so einmal in der Saison hin. Die Mitglieder der GFO würden sich freuen!

Achim Riehn

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