Opernraritäten #6: Wilhelm Killmayer „Yolimba“ – ein wunderbarer, musikalischer Spaß

Wirklich witzige und freche „Anti-Opern“ sind nach Jacques Offenbach kaum noch geschrieben worden. Die hinreißende „Yolimba“ von Wilhelm Killmayer ist eine Ausnahme, ein herrliches, absurdes Stück, das sich jeder Einordnung verweigert, ein wunderbarer, musikalischer Spaß irgendwo zwischen Operette, Singspiel und Revue. Münster hat das Stück 2019 mit großem Erfolg endlich einmal auf die Bühne gebracht. Andere Bühnen sollten das nachmachen!

In meiner Aufnahme aus dem Jahr 1992 dirigiert Peter Schneider das Münchner Rundfunkorchester, unter den Solisten ist auch der damals noch junge Christoph Prégardien. Erschienen ist die Aufnahme bei Orfeo.

Wilhelm Killmayer (1927 – 2017) war ein eigenwilliger, origineller Komponist. Schüler von Carl Orff, später Musikprofessor in München – neben der Avantgarde der Sechziger ging er seinen eigenen Weg. Moderne und Tradition vereinen sich in seiner Musik auf sehr hörenswerte Art und Weise, frei von Dogmen aller Art. Er fand seinen Stil in der Auseinandersetzung mit der Musiktradition vor allem des 19. Jahrhunderts.

Für „Yolimba“ arbeitete er mit dem Dramatiker Tankred Dorst zusammen. Es entstand ein Werk, in dem Text und Musik eine Einheit bilden. Das Ergebnis war etwas für die Avantgarde ganz Seltenes: Absurdes Theater, Parodie und musikalischer Humor vertreiben den dogmatischen Mief der in Serialismen erstarrten Moderne. Neben der Musik ist auch der Text ein ironisches Vergnügen. Die vom Komponisten als gültig angesehene zweite Fassung des Einakters hatte 1970 am Münchner Gärtnerplatztheater Premiere. Killmayer selbst nannte das Stück eine „Musikalische Posse“.

Der Inhalt ist hinreichend absurd, um Spaß zu garantieren. Der puritanische Magier Möhringer hält die Liebe für die Ursache des Übels auf der Welt. Als Gegenmittel erschafft er das verführerische Kunstgeschöpf Yolimba, das darauf programmiert ist, jeden zu erschießen, der das Wort „Liebe“ sagt. Das klappt auch gut und ganze Horden von Männern müssen dran glauben – ein Operntenor (er singt auf der Bühne von „Amore“), Polizisten, ein Archäologieprofessor und alle 200 männlichen Bewohner eines Altenheims. Nur der Plakatkleber Herbert ist zu schüchtern, das Wort auszusprechen. Das bricht den Bann, Möhringer wird von der Müllabfuhr entsorgt, die Erschossenen werden wieder lebendig, Yolimba und Herbert heiraten. Wie schön ist der Mai!

Die Oper ist in zwanzig Nummern gegliedert, die jeweils einen bestimmten Aspekt der Musikgeschichte ins Visier nehmen. Der musikalische Bogen spannt sich dabei vom operettenhaften Schlager der Fünfziger über Finalfugen aus der komischen Oper, Kantate, Lobgesänge, Couplets, Madrigale, Koloraturgesang, Parodien, Slapstick, Revue, Zwölftonmusik und Musical bis hin zur italienischen Oper Rossinis. All diese augenzwinkernde Gelehrsamkeit ist mit wirklich schönen Melodien garniert. Man muss es einfach gehört haben – sonst glaubt man nicht, dass das funktionieren kann. Es ist witzig, intelligent und gut – eine seltene Kombination! Für Musikkenner ist es ein zusätzlicher Spaß, die sehr subtilen Anspielungen zu erkennen. Die rasanten Wechsel lassen kaum Zeit zum Durchatmen und wie im Nu ist die Oper nach siebzig Minuten schon wieder vorbei.

Eigentlich muss man sich die ganze Oper anhören, um den ganzen Witz auch mitzubekommen und zu genießen. Einige Nummern möchte ich aber doch gesondert herausheben.

Die Eröffnungsnummer „Im Park“ lässt das Stück im herrlichsten Operettenton beginnen. Die ersten instrumentalen Takte erinnern an den Cancan von Offenbach. Kunstvoll schlicht gehalten geht es aber schnell im Stil eines Schlagers aus den Fünfzigern weiter. Diese Melodie kann man sofort mitsingen (und man wird sie auch nicht wieder los). Das Frühlingslied wird dann von zusammenhangslos erscheinenden Gesprächsfetzen der Spaziergänger überlagert und die ganze Szene kippt herrlich ins Surreale.

Die Nummer 2 „Die Macht der Magie“ kommt im Stil eines Madrigals daher. Drei Herren singen das so, als ob die Comedian Harmonists wiederauferstanden wären. Fast a capella ist das, mit einer ganz leichten Begleitung, die den Rhythmus unterstützt.

Die Nummer 6 ist der Erste der Lobgesänge – der „Große Lobgesang auf die Post“. Es beginnt wie ein Oratorium, auch drei typische Oratorien-Solisten treten auf. Aber wenn man der Post mit absurden Texten huldigt, dann kann man diesen Ton schwer durchhalten. Der Lobgesang kippt schnell ins fast Operettenhafte. Ist das ein Operetten-Oratorium?

Ganz hinreißend ist die Nummer 9, der „Mord in der Oper“. Yolimba und der Tenor singen ein typisches Duett aus der italienischen Oper der Vor-Rossini-Zeit. Das ist schönster Koloraturgesang auf den sinnfreien Text „A“. Wenn schließlich der Tenor aus dem „A“ nach langen Anläufen dann doch noch ein „A….more“ macht, wird er erschossen. Aber passiert das Tenören in der italienischen Oper nicht immer?

In der Nummer 15 „Die sechs Witwen“ wird uns ein kunstvolles Ensemble geboten – ein Sextett aus Frauenstimmen, große Oper!

Der „Große Lobgesang auf den Ehestand“ (Nr. 17) ist ein großartiger Oratoriensatz, feierlich und getragen, sehr religiös und kirchlich im Ton. Mezzosopran-Tenor-Duette und Chor-Ritornelli parodieren äußerst kunstvoll barocke Musik. Der supersentimentale Text ist dazu der fast größtmögliche Kontrast.

Die Nummer 19 „Erlösung“ ist ein feierlicher Chorhymnus, der an das „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ aus dem dritten Satz der Faust-Sinfonie von Liszt erinnert.

Ich kann es nur wiederholen – eigentlich sollte man das alles von Anfang an in einem Stück hören – und am besten auf der Bühne sehen!

Auf Youtube kann man viele Nummern aus der Aufnahme mit der Suche „Killmayer Yolimba Orfeo“ finden und sich dem Vergnügen hingeben. Wie schön ist der Mai!

Achim Riehn

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