Schülerkritiken 2019/20: Tosca

Tosca
Lina Herrmann und Emma Tubbe, Geschwister-Scholl-Gymnasium Berenbostel

„Gewalt gefällt mir mehr als willige Hingabe.“ Das ist das Motto von Scarpia, dem skrupellosen Antagonisten von Tosca.
Die am 14. Januar 1900 in Rom uraufgeführte Oper TOSCA haben wir am 30. Oktober 2019 in der Staatsoper Hannover erleben dürfen. Das Melodram in drei Akten komponierte Giacomo Puccini, unter dessen Namen unteranderem auch LA BOHEME erschien. Puccini hatte klare Intentionen hinter seinem Werk. „Mit LA BOHEME wollten wir Tränen ernten, mit TOSCA wollen wir das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen aufrütteln und ihre Nerven ein wenig strapazieren. Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“ (Programmheft Tosca S. 4). Scarpia, ein hoher politischer und kirchlicher Machtträger, hegt eine obsessive Liebe für die bekannte Sängerin Tosca, die mit dem Künstler Mario Carvadossi liiert ist. Scarpia lädt Tosca ein und inszeniert eine Folterszene mit Cardvadossi, um an ihre sexuelle Hingabe zu gelangen. Nachdem Tosca jedoch Scarpia ermordet, kann sie es nicht verkraften, Teil von seinem persönlichen Plan gewesen zu sein, und bringt ihr Leben zu Ende. Vergleichbar ist TOSCA zum Beispiel mit LUCIA DI LAMMERMOOR, inspiriert von ROMEO & JULIA, oder NORMA, in der es um eine streng verbotene Liebesbeziehung und religiös geprägte Keuschheitsgefühle geht, wie auch die Figur Tosca. Beide sind im 19. Jahrhundert erschienen und die Verbindung wird auch im Bühnenbild von TOSCA als Gemälde dargestellt. Eine andere bekannte Aufführung sind aktuell auch in der Semperoper Dresden zu sehen. Die Inszenierung ist deutlich traditioneller und Scarpias Leiden werden weniger thematisiert.

In der Inszenierung in der Staatsoper Hannover führt Vasily Barkhatov Regie. Die Dramaturgin ist Regine Palmai und die musikalische Leitung übernimmt Kevin John Edusei. In den Hauptrollen zu sehen sind Floria Tosca (Liene Kinča), Mario Carvadossi (Damir Rakhmonov), Scarpia (Seth Carico). Wegen Erkrankung wurde Cesare Angelotti nicht von Yannick Spanier, sondern von Richard Walshe gesungen.
Laut Regisseur Vasily Barkhatov untersuche die Oper TOSCA Scarpia als Menschen. Zu seiner Figur gehört auch der Missbrauch in seiner Kindheit. Er sagt auch: „Unsere Inszenierung spielt in einem totalitären System, wo Staat und Kirche nicht getrennt sind.“ (Programmheft Tosca S. 9).

Durch das mobile Bühnenbild wird eine gute räumliche Kontrastierung erzeugt und es können dadurch zwei Handlungen gleichzeitig spielen, jedoch kommt es bei gleichlaufenden Bildern oben und unten schnell zu Unübersichtlichkeit und man bekommt das Gefühl, etwas verpassen zu können. Das Kostüm von Scarpia, welches später auch von Tosca getragen wird, ist schwarz und mit roten Applikationen besetzt und symbolisiert das Dunkel und die Gefahr sehr deutlich. Toscas Kostüm ist erst hell, jedoch zieht sie sich im Laufe der Oper mit zunehmender Bedrohung auch dunklere Kleidung an. Im Kontrast zu den dunklen Farben steht der aufgeweckte Knabenchor mit blauem Mantel und hellblauen Schals, wobei blau als Symbolfarbe für Treue und Sehnsucht steht. Diese Fröhlichkeit steht ironisch zu der Wirklichkeit vor dem Hintergrund von Scarpias Vergewaltigung. Als kleiner Junge von einem Priester missbraucht wird sein kindliches Leid durch das Hirtenlied (Leonard Lange) und dem jungen Scarpia (Jannik Fröhlich) an der Glocke verdeutlicht.

Die für uns begeisternde Musik stieß auch auf positive Resonanz bei unseren Mitschülern. Eindrucksvoll war vor allem der große, gut klingende Chor. Durch die vielen Leitmotive versprühte die Musik einen Charakter von Filmmusik. Durch die Verschmelzung von Orchester und Gesang wird die Geschichte und die Emotionen der einzelnen Rollen klar. So kann man allein durch die Musik die Gefahr und Scarpias Eintreffen erkennen. Die tiefe Instrumentation durch Chimbasso, Bassklarinette und Bassfagott steht im Kontrast zu den hohen Glocken und Flöten. Das weihnachtliche Bühnenbild passte gut zur weihnachtlich wirkenden Musik durch Glocken und abgesetzte Viertel. Jedoch stellt sich hierbei die Frage, weshalb man sich schlussendlich für ein weihnachtliches Bühnenthema entschied.
Eine für uns überraschende Reaktion im Opernhaus war im 1. Akt zu sehen: Nach Toscas Solo herrschte rege Begeisterung im Publikum.
Besonders war die Anfangsszene, in der ausschließlich mit Untertiteln auf der Bühne kommuniziert wurde. Auch der Wechsel der Lichtatmosphäre in den Rückblenden von warmem zu kaltem Licht erzeugte eine schöne, spannende Stimmung.
Beim Betrachten des Bildes allein lässt sich die Brutalität nicht direkt erkennen, und es kann für den Rezipienten schwierig werden, die Handlung nachzuvollziehen. Doch bei näherem Betrachten des Textes und den Intentionen der Dramaturgin und des Regisseurs wird sie schockierend bewusst gemacht. Deutlich wird das zum Beispiel durch die Figurenrede Scarpias: „Gebunden an Händen und Füßen, trägt Euer Geliebter einen Stachelring um die Schläfen, und bei jedem Leugnen dringen die Stacheln tiefer ins Fleisch!“ (Programmheft S. 22)
Unsere Empfehlung für den Besuch beinhaltet die vorherige Beschäftigung und Nacharbeitung mit dem Programmheft. Auch der Austausch mit anderen hat uns geholfen, das Stück besser zu verstehen.
Insgesamt war es ein toller Opernbesuch mit erneut beeindruckenden Bühnenbildern und bemerkenswerten musikalischen Beiträgen, und wir freuen und schon auf unseren nächsten Besuch im Januar.

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